14. Januar 2005

Zeitzeugin über Deportation: "Und das sollte man so einfach vergessen?"

Leserzuschrift zu dem in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 17. November 2004 von Anselm Roth vorgestellten Buch „Mädchenjahre hinter Stacheldraht. Sowjetunion 1945-1949.“ von Erika Feigl-Burghart (2003 im Hermannstädter hora Verlag erschienen).
Frau Burghart beschreibt in ihrem Erlebnisbericht die Zeit der Deportation in den Jahren 1945-1949 und erzählt dabei aus dem Lager im Donezbecken, wo sie mit vielen anderen Siebenbürgern festgehalten wurde, dass es auch positive Erlebnisse gegeben habe, dass man auch das Gute, was einem passiert sei, sehen sollte und keinen Groll über die manchmal ganz schlechte Behandlung aufkommen lassen dürfe; dass man nicht an Vergeltung und Rache denken solle und dass man verzeihen und vergessen müsse, so wie Jesus seinen Widersachern verziehen hat.

Es ist ja erfreulich, dass es auch Landsleute geben soll, die sich auch an schöne Tage erinnern können. Das war aber sicherlich nur ein Promille der Lagerbelegschaft, während der Großteil nur von Hunger, Kälte, schwerer Arbeit und Diskriminierung sprechen kann. Manche haben sogar die Kartoffelschalen vom Müllhaufen geholt, um sie zu essen, um nicht ganz entkräftet zu sein. Und das sollte man so einfach wegstecken können und vergessen oder beschönigen? Vielleicht noch erklären, dass es ja nicht so schlimm war? Ich befürchte, dass es unter den 70 000 Verschleppten nur ganz wenige gibt, die vergessen können, was ihnen zugestoßen ist. Natürlich kann man sich an niemandem rächen oder Wiedergutmachung verlangen, denn man weiß gar nicht, wen man zur Verantwortung ziehen sollte für das erlittene Unrecht. Vor allem sind die meisten der Meinung, dass man es den Kindern und der jungen Generation weitergeben soll, damit sich so etwas in Zukunft nicht wieder ereignet.

Ich selber war auch zwangsverschleppt und kam in ein Lager in der Stadt Lissitschansk im Donezbecken. Dort arbeitete ich mal im Steinbruch, mal im Schacht, meistens aber beim Kohlenwagentransport, wobei die Kohlenwägen zum Bahnhof befördert wurden. Dabei kam ich eines Tages unter die Kohlenzugmaschine und brach mir beide Beine und die Lendenwirbelsäule, so dass ich auch heute noch gehbehindert bin, trotz mehrerer Operationen. Von positiven Erfahrungen kann ich nichts berichten und vergessen auch nicht, weil ich jeden Tag daran erinnert werde. Ich frage mich, was Frieda Franz aus Heldsdorf bei Kronstadt aus Russland berichten könnte. Sie wurde verpetzt, die Tochter einer Millionärsfamilie zu sein, was aber nicht stimmte. Es lag eine Namensverwechslung mit einem anderen Dorfbewohner vor, der tatsächlich Millionär war. Natürlich ist Frau Franz immer bei der Wahrheit geblieben, trotz vieler Verhöre und Peitschenhiebe, die sie wegstecken musste. Dann wurde sie in einen Keller gesteckt, wo sie im kalten Wasser bis an die Hüften ohne Essen und Trinken fünf Tage und Nächte ausharren musste. Am letzten Tag wäre sie fast in der schmutzigen Brühe, wo ihre Exkremente und die ihrer Vorgänger herumschwammen, ertrunken, wenn nicht eine beherzte Kollegin an dem Posten vorbei ihr einen heißen Tee und etwas Essbares gebracht hätte. Als sie das Verbrechen, Millionärin zu sein, immer noch nicht zugeben wollte, brachte man sie in Handschellen nach Woroschilovgrad vors Kriegsgericht, wo sie zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Nachdem sie das Urteil nicht unterschreiben wollte, gab ihr der Richter noch einen Schlag ins Gesicht und sie wurde bis an den äußersten Norden Russlands in ein Straflager gebracht. Straflager war noch schlimmer als der Tod, aber jeder hoffte, doch wieder einmal nach Hause zu kommen. Frau Franz wurde erst im Jahre 1957 aus Sibirien entlassen, nachdem die rumänische Regierung der russischen Geheimpolizei die Namensverwechselung bestätigt hatte.

Was Viktor Stürmer, ehemaliger Professor am Temesburger Gymnasium, in einem Straflager erlebt hat, schreibt er in einem Buch, das er den Opfern des Stalinismus gewidmet hat und denen, die die Folter und Repressalien nicht überleben konnten. Niemand will Vergeltung und Wiedergutmachung. Wir haben ja Wiedergutmachung erfahren, als wir in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen konnten und hier aufgenommen wurden. Aber vergessen? Niemals!

Sofia Zikeli-Hoffmann, Happurg

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