19. August 2001

"Deutsches Kulturforum östliches Europa" gegründet

Der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien (BKM), Staatsminister Julian Nida-Rümelin, hat die Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte durch das in Potsdam gegründete "Deutsche Kulturforum östliches Europa" begrüßt.
Ein Aufbaustab unter der Leitung der Slawistin Dr. Hanna Nogossek hat seine Tätigkeit in Potsdam aufgenommen. In der Aufbauphase wird das Kulturforum verwaltungstechnisch vom Moses Mendelssohn Zentrum unter Leitung des geschäftsführenden Direktors Prof. Dr. Julius H. Schoeps betreut. Grundlage der Arbeit bildet die durch den BKM erarbeitete Konzeption zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte des östlichen Europas auf der Grundlage von Paragraph 96 des Bundes-Vertriebenenförderungsgesetzes. Besonderer Schwerpunkt ist Potsdam. Dort werden zwei wichtige Vorhaben der Wissenschaft und der Kulturvermittlung realisiert: das "Deutsche Kulturforum östliches Europa" und die Errichtung des vom Bund gestifteten Lehrstuhls zur Neueren Geschichte mit besonderem Schwerpunkt der deutsch-jüdischen Geschichte im östlichen Europa. Professorin Johanna Wanka hat diese Initiative der Bundesregierung konstruktiv aufgegriffen.
"Die Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte des östlichen Europas ist ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Die Gründung des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Potsdam zeigt, dass wir auf dem richtigen Wege sind. Die Sympathie, die dieser neuen Einrichtung der Kulturförderung in Brandenburg und in den Nachbarstaaten Polen und Tschechien entgegengebracht wird, macht deutlich, dass der Paradigmenwechsel der Bundesförderung erkannt und begrüßt wird. Nur wenn wir uns unserer Geschichte im östlichen Europa kulturhistorisch bewusst werden, finden wir den Weg zum unverkrampften Selbstverständnis als Kulturnation im Sinne Herders", sagte Nida-Rümelin.
Mit zahlreichen Veranstaltungen begeht das Deutsche Kulturforum östliches Europa ab August 2001 das diesjährige Preußenjahr. Das Kulturforum stellt sich die Aufgabe, durch eigene Veranstaltungen die östlichen Provinzen Preußens kulturhistorisch, künstlerisch und wissenschaftlich zu reflektieren. Ausstellungen wie "Polen, Deutsche und Kaschuben", "Atlantis des Nordens" oder die Kunstausstellung des Kaliningrader Künstlers Igor Isajew "Spuren und Zeichen" vermitteln ein facettenreiches Bild von "Preußens vergessener Hälfte". Auch an Potsdamer Gymnasien, in der Universität und in Veranstaltungen in der Nikolaikirche, im Alten Rathaus und in den Bahnhofspassagen wird man sich dem Thema widmen.
Das Forum definiert seine Zielsetzung und Aufgaben: Die Beziehungen mit Mittel- und Osteuropa haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdichtet. Umso größer ist der Wissensbedarf über jene östlichen Regionen, die dem Westen jahrzehntelang weitgehend verborgen blieben. Die Kulturtraditionen der historischen deutschen Ostgebiete und der Siedlungsgebiete der Deutschen in Ostmittel-, Nordost-, Ost- und Südosteuropa werden zunehmend in unseren Nachbarstaaten als gemeinsames Kulturerbe verstanden sie können als Fundament für partnerschaftliche und gute Beziehungen in Gegenwart und Zukunft dienen. Die historisch bedingten und gewachsenen Gemeinsamkeiten, in der Wissenschaft längst weitgehend unumstritten, gilt es einem breiten Publikum zu verdeutlichen und zu vermitteln. Schon das heute als beispielhaft apostrophierte französisch-deutsche Verhältnis hat bewiesen, dass Kenntnis, Akzeptanz und Verständnis nicht zuletzt der Kultur unabdingbare Voraussetzungen für einen dauerhaft tragfähigen Ausgleich sind. Gerade wegen der geographischen Nähe zu den nächsten EU-Beitrittsstaaten ist der Standort Brandenburg für das Deutsche Kulturforum besonders geeignet, zumal auch die Möglichkeiten zur Kooperation über Potsdam hinaus mit den zahlreichen Institutionen und internationalen Vertretungen umfassend genutzt werden.
Das Kulturforum stellt sich die Aufgabe, deutscher und gemeinsamer Kultur und Geschichte geeignete Foren zu bieten, in denen Institutionen, Wissenschaftler, Studenten, Schüler und allgemein an Kultur Interessierte zusammenwirken können. Die zentralen Arbeitsfelder sind Geistesgeschichte, Literatur, Musik und Bildende Kunst, wobei die Schwerpunkte beim 19. und 20. Jahrhundert sowie der Gegenwartskultur liegen, Meilensteine, die das Verhältnis zwischen Deutschen und ihren Nachbarn in den Regionen des östlichen Europas geprägt haben. Vielfalt, Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen gilt es zu verdeutlichen. Die Vermittlung von Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung der einschlägigen Institute in Deutschland und den Nachbarstaaten kann als ein Hauptauftrag formuliert werden. Das Kulturforum kommt dieser Aufgabe durch internationale Kooperation mit Kultur-Instituten, Museen, Bildungseinrichtungen, Universitäten, Autoren-, Musik- bzw. Künstlerorganisationen nach. Neben den klassischen Printmedien wird das Kulturforum besonders die multimedialen Möglichkeiten des Internets nutzen, um die Interessenten zu erreichen und neue Kreise zu erschließen.
Ein Beispiel sei die Literatur. "Die neue Generation der Autoren, die in den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten nach dem Zweiten Weltkrieg geboren ist, besonders in Polen (Ostpreußen, Nieder- und Oberschlesien, Pommern), aber auch in Böhmen oder im Kaliningrader/Königsberger Gebiet, in Ungarn und Rumänien, beschäftigt sich seit der politischen Wende der Jahre 1989/1990 sehr intensiv mit der Suche nach der eigenen Identität in der fremden, aber doch eigenen Umgebung. Die Suche ist mit der Entdeckung unbequemer Fakten und historischer Wahrheiten verbunden. Die damit einhergehende Erschütterung wirkt dennoch oft befreiend. Die östlichen Nachbarn nehmen dadurch eine große Chance zur Bildung einer Identität wahr, die nicht mehr auf Lüge, Unwissen und der Verdrängung geschichtlicher Wahrheiten aufgebaut ist. Die neue Generation der Schriftsteller will durch das genaue Kennenlernen der Vergangenheit der historischen deutschen Kulturlandschaften kreativ und kritisch zum Aufbau neuen Wissens, neuer Kultur und Lebensgrundlagen beitragen. Dazu suchen die Literaturschaffenden nach Gesprächspartnern in Deutschland, die weder der eigenen noch der Kultur der ostmitteleuropäischen Völker gleichgültig begegnen. Literatur gilt als der Königsweg, um die Vielfalt und Mentalität anderer Kulturen kennen zu lernen; deshalb stellt die Förderung deutscher Literatur in den Ländern des mittleren und östlichen Europa ein besonderes Anliegen des Deutschen Kulturforums östliches Europa dar. Ebenso setzen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Dialog mit denjenigen Autorinnen und Autoren aus den östlichen Nachbarländern ein, die in ihren Werken das kulturelle Erbe dieser Regionen reflektieren und von der deutschen Öffentlichkeit bislang weitgehend unbemerkt blieben. Die Förderung und Anregung von Übersetzungen und synoptischen Ausgaben gehört deshalb zu einem zentralen Anliegen. Lesereisen, Buchausstellungen, international besetzte literarische Tagungen, Diskussions- und Arbeitskreise sowie die Verleihung von Literaturpreisen sollen dazu beitragen, deutsche Literatur, besonders aus und über Ost- und Mitteleuropa, in Deutschland und im Ausland bekannter zu machen."
Mit Tagungen, Sommerakademien, Lesungen, Fellowships, öffentlichen Diskussionen und Ausstellungen will man Kunst und Kultur eines beispielhaften historischen Großraums, der durch ethnische und kulturelle Vielfalt gekennzeichnet war und zumindest z. T. noch ist, einem breiten Publikum näher bringen. Es gilt, beinahe Vergessenes bewusst und gegenwärtig zu machen. Auf Dialog und Austausch mit den Kulturschaffenden der Nachbarstaaten sind auch die geplanten Publikationen des Kulturforums ausgerichtet. Darüber hinaus wird der Verein ab 2002 Preise an Wissenschaftler und Publizisten, Denkmalpfleger, Literaten und Musiker vergeben sowie durch Stipendien junge Künstler fördern. Im zweijährigen Turnus soll der Internationale Georg-Dehio-Preis verliehen werden. Hinzu kommen die Edition von Texten und Publikationen zu Kulturgeschichte und Kulturpolitik (Themen, Analysen), Ausstellungskataloge, CD-Rom-Materialien und Informationen für Multiplikatoren (Journalisten, Lehrer, Kulturvermittler).

Ingemar Dechau


(Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 15. August 2001, Seite 7)

Kontakt: i.dechau@berlin.de

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