19. Februar 2005

Marie Stritt: "Kampffrohe Streiterin in der Frauenbewegung"

An einem Septembertag des Jahres 1874 traten vom neuen Schäßburger Bahnhof aus die Geschwister Marie und Josef Bacon den Weg in die „weite Welt“ an. Sie wollten studieren. Zweieinhalb Jahre zuvor hatte die vor 150 Jahren, am 15. Februar 1855, geborene Marie das erste Mal eine Lok pfeifen gehört, wie sie in ihren Lebenserinnerungen schrieb. Die moderne Zeit hatte auch Siebenbürgen erreicht.
Joseph Bacon kehrte als Dr. med. in seine Heimatstadt zurück, wurde Stadtphysikus und ist auch als Begründer des Heimatmuseums im Schäßburger Stundturm bekannt geworden. Marie, später mit dem Opernsänger Albert Stritt verheiratet, wurde nach dem Studium in Wien zunächst Schauspielerin, und ist als führende Frauenrechtlerin in Deutschland bekannt geworden. Sie kam nur noch zu Besuch nach Siebenbürgen.




Als sie 1928 in Dresden starb, schrieb der Schäßburger Gymnasialprofessor Thellmann in einem Nachruf, als einzige Siebenbürger Sächsin habe sich Marie Stritt einen „Weltnamen“ erworben. Damalige Sicht, aber sie stimmt vielleicht heute auch noch. Immerhin findet man sie in Nachschlagewerken wie „Große Frauen der Weltgeschichte“ oder „Lexikon der 1000 Frauen“. Leider enthält das „Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen“ keine Frauennamen, was seiner Entstehungsgeschichte nach 1868 zu verdanken ist, als Rechte von Frauen und Mädchen auch in Siebenbürgen noch klein geschrieben oder sehr einseitig gesehen wurden. So wurde auch die Bitte des Landesadvokaten Josef Bacon, seiner begabten Tochter Marie den Besuch des Schäßburger Gymnasiums zu ermöglichen, schroff abgelehnt. Die Lehrer kamen dann - wenn man es sich leisten konnte - ins Haus zum Unterricht.

Der Weg zur Frauenrechtlerin war freilich noch weit. Acht Jahre an Theatern in Karlsruhe, Frankfurt am Main, Gastspiele in Hamburg, Dresden. Dann knüpfte sie an den Weg ihrer Mutter Therese Bacon an, die sich in Siebenbürgen für Frauenfragen engagierte. 1894 wurde Marie Stritt in Dresden Gründerin des ersten Rechtsschutzvereins für Frauen. 1891 hatte sie dort das erste Mal öffentlich gesprochen, ihre Rednergabe und zündendes Auftreten in vielen Veranstaltungen im In- und Ausland ist später immer wieder hervorgehoben worden. 1896 wurde sie in den Vorstand des 1894 gegründeten Bundes deutscher Frauenvereine (BDF) gewählt. Im gleichen Jahr organisierte und führte sie die Kampagne gegen den Entwurf des BGB und das darin enthaltene frauenfeindliche Familienrecht und war auf dem Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen Rednerin zum „Stand der Frauenbewegung“ in Deutschland. 1899 kommissarisch und 1900 von der Bundestagung gewählte Vorsitzende des BDF: Die zehn Jahre unter ihrer Leitung gelten als die progressivste Zeit des Dachverbandes bürgerlicher deutscher Frauenvereine; Marie Stritt wird oft als Anhängerin der „radikalen“ Richtung genannt. Vor allem aber versuchte sie, zwischen dieser und den „Gemäßigten“ zu vermitteln. Kontroversen und Zuspitzungen blieben nicht aus. Markantestes Beispiel dafür war ihre konsequente Forderung nach Streichung des berüchtigten § 218.

Höhepunkt der Laufbahn von Marie Stritt, zugleich glanzvoller Höhepunkt der seinerzeitigen Frauenbewegung, war der Internationale Frauenkongress 1904 in Berlin, den sie leitete und auf dem sie die Eröffnungsansprache hielt. Auch siebenbürgisch-sächsische Zeitungen haben damals voller Stolz über die gebürtige Schäßburgerin geschrieben. So wurde mit Genugtuung der „Pester Lloyd“ zitiert: „Diese geniale Frau hat eine Art zu sprechen, die geradezu hinreißend wirkt, und ist dabei von der Natur mit einem Organ begnadet, um das sie mancher unserer Landesväter beneiden dürfte.“

Wenige Jahre zuvor hatte es noch andere Stimmen gegeben. Als Therese Bacon 1895 den Schäßburger Frauenbildungsverein gründete und sich speziell für Frauen als Lehrerinnen einsetzte, schrieb das Hermannstädter Tageblatt, diese Gedanken der Gleichstellung der Frau mit dem Manne seien fremd und von außen importiert, kämen von ihrer Tochter Marie Stritt.

1910 trat Marie Stritt vom Vorsitz des BDF zurück, blieb jedoch im Vorstand und behielt die Redaktion der Zeitschrift, wenn auch mit eingeschränkter Kompetenz. Ab 1911 Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, 1913 im Vorstand des Weltbundes für Frauenstimmrecht: Der Einsatz hierfür war ihr lang schon ein besonderes Anliegen. Und dazu trat sie als Referentin 1912 auch in Siebenbürgen auf. Auf der Liste mit Städten wie Berlin, Wien, London, Paris, Brüssel, Toronto erschienen jetzt u.a. auch Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg, Mediasch. Dann kam der Weltkrieg. Als Pazifistin ist Marie Stritt nicht hervorgetreten. Aber als sie 1914 in der ersten Kriegsnummer der von ihr redigierten Zeitschrift noch einen im Grundton pazifistisch gehaltenen Artikel aufnahm, der sich gegen überzogene Nationalgefühle aussprach, zog ihre Nachfolgerin als BDF-Vorsitzende die Nummer noch vor der Auslieferung zurück und ließ sie einstampfen. Leider blieb kein Exemplar erhalten. Nachdem 1918 in Deutschland das allgemeine Wahlrecht auch für Frauen verkündet worden war, entsandte die Reichsregierung 1920 Marie Stritt als Vertreterin zum internationalen Kongress des Weltbundes für Frauenstimmrecht nach Bern.

In ihren letzten Jahren war Marie Stritt vor allem in Dresden tätig, darunter zwei Jahre Stadträtin und daneben Vorsitzende des Stadtbundes Dresdner Frauenvereine. Zwei Wochen vor ihrem Tod erschien am 12. September 1928 in den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ ihre letzte (unvollendete) Schrift: „Frauen der deutschen Revolution 1848“. Ein sicher noch unvollkommenes Publikationsverzeichnis ihrer Schriften enthält 142 Titel, darunter „Frauenbewegung und Kulturfortschritt“, 1908 in DIE KARPATHEN, Kronstadt. Dazu Bucheditionen und Übersetzungen aus dem Englischen.

Wenige Jahre nach Marie Stritts Tod senkte sich die Nacht über Deutschland. Und nach der Befreiung war ihr Werk fast in Vergessenheit geraten. Vieles wofür sie kämpfte ist heute verwirklicht. Aber nicht überall. Das wird im Zeitalter der Globalisierung besonders deutlich. Vielleicht führt dies dazu, dass Marie Stritt, ihr Leben, Werk und Kampf wieder an Interesse und Bedeutung gewinnen. Einer Frankfurter Wissenschaftlerin und dem Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, verdanken wir das Buch „Eine kampffrohe Streiterin in der Frauenbewegung“, das genau zum 150. Geburtstag erscheint. Und eine Berliner Wissenschaftlerin befasst sich in ihrer Dissertation mit Marie Stritt als Vorkämpferin für Frauenrechte. - Die gebürtige Schäßburgerin hat uns auch heute noch viel zu geben.

Richard Ackner

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 25. Februar 2005, Seite 7)

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