1. März 2005

Ein großer Siebenbürger Sachse - den wir vergessen haben

Im rumänischen Verlag Polirom (Jassy/Bukarest), der durch zahlreiche Übersetzungen aus der Weltliteratur, vor allem auch aus den anspruchsvolleren Gebieten der Philosophie und Naturwissenschaften, bekannt wurde, ist vor kurzem auch das Hauptwerk eines Siebenbürger Sachsen auf Rumänisch erschienen: Johann Martin Honigberger, Treizeci de ani in Orient. Mit einer Einführung des Herausgebers Dr. Eugen Ciurtin, einem Vorwort von Arion Rosu, Übersetzer: Eugen Ciurtin, Ciprian Lupu und Ana Lupascu, Verlag Polirom, Iasi 2004, 448 Seiten.
Der deutsche Original- und Untertitel des Werkes lauten: Früchte aus dem Morgenlande oder Reise-Erlebnisse, nebst naturhistorisch-medizinischen Erfahrungen, einigen hundert erprobten Arzneimitteln und einer neuen Heilart, dem Medial-System, mit vierzig Tafeln, endlich als Anhang ein medizinisches Wörterbuch in mehreren europäischen und orientalischen Sprachen, Wien 1851. Die englische Ausgabe, die ein Jahr später gleich auf drei Kontinenten erscheint, trägt den abgeänderten Titel: Thirty five Years in the East. Adventures, Descoveries, Experiments and Historical Sketches, relating to the Punjab and Cashmere; in connection with Medicine, Botany, Pharmacy etc. together with an original Materia medica, and a medical Vocabulary, in four European and five Eastern Languages by John Martin Honigberger, Late Physician to the Court of Lahore, London, New York and Calcutta 1852.

Johann Martin Honigberger in indischer Tracht.
Johann Martin Honigberger in indischer Tracht.
Wie ersichtlich, wurde für die rumänische Übersetzung der englischsprachige Titel gewählt, der aussagekräftiger ist und schon im Untertitel auf die wichtigsten Leistungsfelder des Verfassers aufmerksam macht. Bevor wir aber auf die großartige Leistung des Herausgebers eingehen, wollen wir zunächst in Erinnerung rufen,wer Johann Martin Honigberger war und warum die Würdigung seines Lebenswerkes gerade für uns Siebenbürgendeutschen so bedeutsam ist.

Die Leistung des J. M. Honigberger

Geboren am 10. März 1795 in Kronstadt, besuchte Honigberger das Gymnasium seiner Vaterstadt und erlernte anschließend den Apothekerberuf. Im Selbststudium erwarb er sich ausgedehnte Kenntnisse in Pharmazie, Medizin und Botanik. Schon 1816 brach er zu seiner ersten Weltreise auf. Nach einem achtjährigen Aufenthalt im Vorderen und Mittleren Orient gelangte er an den Hof der indischen Könige von Lahore (heute Pakistan). Dem damaligen Indien, das Honigberger als seine zweite Heimat bezeichnete, sollte der siebenbürgisch-deutsche Forscher und Weltbürger den Großteil seines Wirkens widmen. Er unternahm ausgedehnte Forschungsreisen bis zum Fuße der Himalaja-Gebirge, errichtete in Lahore und Kalkutta aus eigenen Mitteln die ersten Armenkrankenhäuser des Fernen Orients, kämpfte gegen Pest- und Choleraepidemien und entwickelte eine neue Heilmethode gegen diese heimtückische Krankheit. Auch die erste Beschreibung und Anwendung von Heilpflanzen-Rezepten bei der Behandlung von neurophysiologischen Krankheiten sowie die Bekanntmachung der Yoga-Kunst der Inder in Europa gehören zu seinen Leistungen. Die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlichte Honigberger in seinem Hauptwerk Früchte aus dem Morgenlande. Die Schrift enthält auch ein medizinisch-botanisches Wörterbuch, das in neun Sprachen (arabisch, deutsch, englisch, französisch, lateinisch, persisch, pendschabi- und kaschmirisch, türkisch) verfasst ist. Honigberger konnte nämlich in zwölf Sprachen sprechen, lesen und schreiben – ein Polyglotte von Seltenheitswert!

Pionierarbeit leistete Honigberger auch auf einem anderen Gebiet: In seinem Buch über die Cholera (Cholera, Its Cause and Infaillible Cure and on Epidemics in General), das 1857 in Kalkutta, Wien, London und Paris in englischer, deutscher und französischer Sprache herauskam, stellte der Kronstädter Forscherarzt die sich später bewahrheitete Hypothese auf, dass die Cholera durch spezifische Bakterien hervorgerufen werde. Honigberger ist somit auch ein Vorläufer der modernen Bakteriologie, die 20 Jahre später durch Pasteur und Robert Koch begründet wurde. Zudem war Honigberger der erste Arzt, der die von Samuel Hahnemann eingeführte homöopathische Heilweise im Orient anwandte und bekannt machte. Nicht zufällig also ehren die Inder ihn als einen Mitbegründer der wissenschaftlich fundierten Medizin ihres Landes.

Johann Martin Honigbergers Schaffen war erstaunlich vielseitig: Er war forschender Arzt und Apotheker, Botaniker und Ethnograpf, Numismatiker und Archäologe, Sprachforscher und Weltreisender (er reiste insgesamt fünf Mal nach Indien und durchwanderte Europa, Asien und Afrika) in einer Person. Aber nicht nur in den Annalen der Wissenschaft gebührt Honigberger ein Ehrenplatz. Auch als Mensch zeigt er überragende Größe. Sein weltoffenes, menschenfreundliches, opfermutiges und fortschrittliches Wesen machten ihn zu einem verdienstvollen Humanisten und Kulturpionier seiner Zeit, einen Albert Schweitzer in Lahore und Kalkutta des 18. Jahrhunderts. Johann Martin Honigberger starb, nur einige Monate nach seiner Rückkehr in die alte Heimat, am 18. Dezember 1869 in Kronstadt und wurde dort am Innerstädtischen Friedhof begraben.

Die Leistung des Herausgebers



Buchumschlag zu Johann Martin Honigberger auf Rumänisch.
Buchumschlag zu Johann Martin Honigberger auf Rumänisch.

Der junge Historiker Dr. Eugen Ciurtin, der an der Fakultät für Geschichte der Universität Bukarest lehrt, hat in mühevoller und bewundernswerter Forschungsarbeit über Leben und Wirken des J. M. Honigberger so viel neues und authentisches Faktenmaterial zusammengetragen wie noch kein anderer vor ihm. Er ist nicht nur Herausgeber und Übersetzer, sondern hat auch eine Fülle neuer Details entdeckt, sowohl biografischer Natur als auch über die Zeitumstände und das Umfeld, die es bei Honigberger zu überwinden galt, über die Effektivität der Leistung und deren Wahrnehmung in der damaligen und späteren Fachwelt. Dazu gehören unzählige neue Informationen und Referenzen außerhalb der deutschgsprachigen Literatur, vorwiegend der englischsprachigen und der französischen. Ciurtin hat auch Honigbergers Briefwechsel im Britischen Museum ausfindig gemacht und ausgewertet. Diesem Museum hatte Honigberger zahlreiche seiner archäologischen und numismatischen Funde überlassen. Seine Korrespondenz mit den indischen Behörden fand der Herausgeber in den staatlichen Archiven Indiens vor. Schier unbekannt waren auch die unzähligen Nachrichten über den weltreisenden Dr. Honigberger, die Ciurtin in den Zeitungen des damaligen Altreichs entdeckte. Mircea Eliade spielte dabei eine besondere Rolle. Denn aus der Feder des rumänischen Schriftstellers und Religionswissenschaftlers stammt die Novelle Secretul doctorului Honigberger. Die von Eliade 1940 in Bukarest veröffentlichte Novelle wird denn auch auf 77 Seiten abgedruckt und vom Herausgeber ausgiebig kommentiert. Überhaupt nehmen die zahlreichen ausführlichen Fußnoten, Anmerkungen, Ergänzungen und Literaturhinweise samt Einführung und Vorworten mehr Raum in Anspruch als das Werk des J. M. Honigberger selbst. Das wirkt stellenweise beinahe erdrückend und beeinträchtigt die Übersicht und den Blick auf das Wesentliche. Nichtdestotrotz hat Eugen Ciurtin eine umfangreiche und hervorragende Arbeit geleistet, die zu kollegialem Respekt und Dank verpflichtet.

"Da muss was getan werden"

Honigbergers Buch Thirty Five Years in th Orient von 1852 ist mehrfach neu aufgelegt worden. Die erste Neuauflage erschien 1905 in Kalkutta, 1986 und 1993 folgten weitere Auflagen in New Delhi sowie 1995 in London und New Delhi/Madras. Dies erklärt auch, weshalb Honigberger in der englischen (aber auch französischen) Fachliteratur vielfach zitiert wird, in der deutschsprachigen Literatur jedoch beinahe vergessen wird.

Wozu das führen kann, hat Eugen Ciurtin in einer Fußnote festgehalten: Da Siebenbürgen seine staatliche Zugehörigkeit öfters wechseln musste, wird er als Ungar „Janos Marton Honigberger“ vereinnahmt; für die französischen Homöopathen ist er der „Jean-Martin“, während die Briten und selbst die meisten indischen Autoren, den Siebenbürger Sachsen, der meistens auf Englisch veröffentlichte und dessen Vornamen John und Martin im Angelsächsischen oft vorkommen, für einen Engländer halten.

Und was tun seine eigenen Landsleute, um solche Irrtümer erst gar nicht aufkommen zu lassen? Sie vergessen es sogar, Johann Martin Honigberger ins Lexikon der Siebenbürger Sachsen aufzunehmen! Eine Fahrlässigkeit, die unentschuldbar ist. Zudem auch unverständlich. Denn in dem vom Verfasser dieser Zeilen herausgegebenen Band Von Honterus zu Oberth, aus dem die meisten Lexikon-Beiträge über bedeutende siebenbürgisch-sächsische Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner entnommen sind, ist Honigberger ein ganzes Kapitel gewidmet!

Da ist Wiedergutmachung geboten. Und die kann ich mir besser nicht vorstellen, als dass Die Früchte aus dem Morgenlande baldmöglichst als Reprint-Ausgabe veröffentlicht werden. Den Rahmen dafür gibt es: Dieses bedeutende Werk eines Siebenbürger Sachsen eignet sich ausgezeichnet für die Reihe Siebenbürgisches Archiv, die im Auftrag des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde herausgegeben wird. Und eine Förderung durch die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung wäre sowohl im Sinne des Stiftungsgründers als auch in dessen Auftrag: Als ich nämlich Ernst Habermann 1986 zweimal auf seinem Wohnsitz bei Lugana besuchen durfte, unterhielten wir uns hauptsächlich über bedeutende siebenbürgisch-sächsische Persönlichkeiten. Nachdem wir über Leben und Wirken des Johann Martin Honigberger gesprochen hatten, war Habermann von dessen Leistung hoch begeistert, aber auch enttäuscht, dass diese so wenig bekannt sei. Seine spontane folgerichtige Reaktion darauf: "Da muss was getan werden!"

Hans Barth

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 25. Februar 2005, Seite 9)

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