7. März 2005

Die Herausforderungen eines erweiterten Europas

"Aufschlussreich", "spannend", "kein Süßholzraspeln", "kritisch, aber fair" - so äußerten sich Teilnehmer über die Diskussionsrunde, die am 28. Februar in Hamburg Rumänien als zukünftigem EU-Land gewidmet war. Dazu hatten die Deutsch-Rumänische Gesellschaft für Norddeutschland (DRG), die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Zweigstelle Hamburg der Südosteuropa-Gesellschaft ins Hotel Steigenberger in Hamburg eingeladen. Im Saal "Über den Dächern Hamburgs" hatten sich gut 180 Interessierte eingefunden.
Den Erfolg der Veranstaltung hat sicherlich vor allem das hochkarätig besetzte Podium gewährleistet. Gekommen waren die Gesandte der Botschaft von Rumänien, Brandusa Predescu (kurzfristig eingesprungen für den an Grippe erkrankten Botschafter), Staatsrat Reinhard Stuth, im Hamburger Senat zuständig für die EU und Außenbeziehungen, Gernot Erler, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, sowie Dr. Georg Jarzembowski, Mitglied des Europäischen Parlaments (CDU/EVP-ED) und dort in den Ausschüssen für Verkehr und Fremdenverkehrs sowie Auswärtige Angelegenheiten tätig.

Podiumsdiskussion in Hamburg, v.l.n.r. Klaus Francke, Reinhard Stuth, Brandusa Predescu, Gernot Erler, Dr. Georg Jarzembowski. Foto: Jutta Tontsch
Podiumsdiskussion in Hamburg, v.l.n.r. Klaus Francke, Reinhard Stuth, Brandusa Predescu, Gernot Erler, Dr. Georg Jarzembowski. Foto: Jutta Tontsch

Nach der Einführung und Vorstellung durch DRG-Präsident Klaus Francke ging es gleich zur Sache. Frau Predescu plädierte eloquent und kenntnisreich für ihr Land. Rumänien habe der EU einiges zu bieten. Durch seine geostrategische Lage und als EU-Randstaat könne es die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bereichern. In der Nachbarschaft und darüber hinaus. Für die Schwarzmeer-Anrainer werde Rumänien das „Fenster nach Europa“. Nato- und EU-Mitgliedschaft seien dem Lande gleichermaßen wichtig, doch gingen „die transatlantischen Beziehungen ... für Rumänien durch Europa“. Für Hamburg als Hafenstadt und alte Demokratie sehe sie sowohl wirtschaftliche als auch politische Chancen im Schwarzmeer-Raum. Die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags am 25. April 2005 sei für das Land der wichtigste Termin. Sie verwies auf die europafreundliche Stimmung zu Hause, 75 Prozent der Bevölkerung und die politische Elite fast uneingeschränkt seien für den Beitritt, und dies, auch nachdem auf die „Fakten“ des Beitritts, d.h. auf die negativen Begleiterscheinungen für die Bevölkerung, hingewiesen worden sei. Man wisse, wo die eigenen Stärken, aber auch wo die Schwächen lägen; Letztere bei Verwaltung, Justiz, Umwelt- und Wettbewerbspolitik, Korruptionsbekämpfung. Es gebe zwar einen engen Zeitkorridor für die Mängelbeseitigung, doch sei man zuversichtlich, die Aufgabe zu bewältigen. Die Regierung in Bukarest habe einen klaren Zeitplan festgelegt und die notwendigen Maßnahmen unmittelbar in Angriff genommen.

Ernüchternd fiel die Bilanz von Staatsrat Stuth aus. Zwar gebe es in Hamburg ein breites Interesse an wirtschaftlichen Beziehungen zu Rumänien, wie dies die vom Ost- und Mitteleuropa Verein und der Handelskammer organisierten „Wirtschaftstage Rumänien“ dokumentierten, doch sei „die Liebe zwischen Hamburg und Rumänien ... noch nicht so richtig entflammt“, die rumänische Wirtschaft meine wohl, jenseits von Bayern und Baden-Württemberg gebe es kein Leben in Deutschland. Im vorigen Jahr seien sage und schreibe nur 8 (!) Container im Hamburger Hafen mit Ziel Rumänien abgefertigt worden. Das gebe Raum für Steigerungen. Eine Zusammenarbeit in Hafenangelegenheiten könne man sich sehr wohl mit der stadteigenen Consulting-Firma HPC vorstellen, die in Odessa bereits ein Büro unterhalte. Auch bei der Fort- und Weiterbildung von rumänischen Deutschlehrern sei eine Kooperation denkbar. Der Schüleraustausch, der schon recht umfangreich sei, könnte auf Basis von Freiwilligkeit ausgebaut werden.

Dr. Jarzembowski brachte ein Thema ins Gespräch, das den Rest des Abends prägen sollte: den Stand der Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen durch Rumänien. Nach seiner Ansicht gebe es im Europäischen Parlament zwar eine Mehrheit für den EU-Beitritt Rumäniens, aber es sei fraglich, ob dieser bereits zum 1. Januar 2007 vollzogen werden könne. Es gebe „ein Grummeln“ im Parlament. Rumänien habe noch Bringschulden in Sachen Korruptionsbekämpfung, Justizwesen, Wettbewerbs- und Umweltpolitik. Angesichts der weiterhin offenen Probleme sei es möglicherweise zu früh gewesen, die Beitrittsverhandlungen mit Rumänien schon im Dezember 2004 technisch abzuschließen, betonte der CDU-Politiker. Die eingebauten „Sicherungen“ könnten, zusammen mit EU-internen Finanzproblemen, dazu führen, dass der Beitritt Rumäniens allerdings für 2008 verschoben werde. Auch die Zeit für die Ratifikation des Beitrittsvertrages sei kurz bemessen. Wenn ein einziges EU-Mitglied den Vertrag bis Ende 2006 nicht absegne, sei die geplante Frist nicht mehr zu halten.

Auch Gernot Erler erklärte, die EU-Praxis sei riskant, Kapitel, die eigentlich nicht abgeschlossen sind, als vorläufig abgeschlossen zu erklären mit der Auflage, sie später zu erfüllen. Und Rumänien habe in der Vergangenheit leider gezeigt, dass es seine Leistungen besser verkaufen als erbringen könne. Dennoch zeigte sich der SPD-Politiker zuversichtlich, dass die Mehrheit der Europaparlamentarier am 13. April 2005 dem Beitrittsvertrag Rumäniens zustimmen werde. Dass es dabei keinen Rabatt gebe, sei offenbar als Botschaft bei der neuen Regierung in Bukarest angekommen. Man brauche positive Nachrichten aus Rumänien, nicht Ankündigungen, sondern Leistungen, betonte Erler. Die Erfüllung der Beitrittskriterien sei wichtiger für Rumänien selbst, als für die „alten“ EU-Länder. Warum Deutschland, und auch er als Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, den EU-Beitritt der südosteuropäischen Länder unterstütze, erklärte er sehr einprägsam mit der positiven Erfahrung des Umbruchs von 1989/90 und dem Interesse nach Stabilität. Die Beitrittsperspektive habe zu grundlegender Transformation in diesen Ländern geführt und Stabilität geschaffen. Wo diese gefehlt habe, sei der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Optimistisch stimmten auch die guten Erfahrungen mit der ersten Erweiterungsrunde sowohl in den alten als auch in den neuen EU-Ländern. Das sei ein positiver Hintergrund, das Wagnis eines erweiterten Europas fortzuführen. Erler warnte vor westlicher Überheblichkeit. In den MOE-Ländern seien seit 2000 mehr notwendige, aber unpopuläre Reformen durchgeführt worden, als in Deutschland derzeit durchführbar wären.

Brandusa Predescu entgegnete, in Rumänien wisse man sehr wohl, dass die Erfüllung der Beitrittskriterien für die nationale Politik wichtig sei. Und es gebe auch positive Nachrichten: Alle Anregungen und Ratschläge der Diskussionsteilnehmer würden in Bukarest unmittelbar umgesetzt. Die Justizgesetze des letzten Jahres begännen zu greifen, das Monitoring der Implementierung werde fortgesetzt. Ihrem Appell, dem EU-Anwärter Rumänien einen Vertrauensvorschuss („benefit of the doubt“) zu gewähren, widersprach Dr. Jarzembowski entschieden: Das Beispiel Polen zeige, dass neue Mitglieder nach dem Beitritt vergäßen, was sie versprochen hätten.

Aus dem Auditorium kamen zahlreiche Fragen. Es ging dabei um die Rückkehr und Einbindung von Studenten, die im Ausland studiert haben, um Schikanen rumänischer Zollbehörden gegenüber deutschen Hilfsorganisationen, um die Situation der Minderheiten, die Straßenkinder, die Beziehungen Rumäniens zur Ukraine, den Schüler- und Jugendaustausch, den Verbleib der alten „Nomenklatura“ usw. Die Diskussionsteilnehmer und der Moderator hatten alle Hände voll zu tun, die Fragen zu beantworten. Allen voran die Gesandte Frau Predescu. Ihr zollten schließlich alle Podiumskollegen Respekt für die kompetente und sachliche Art, in der sie ihr Land vertreten hat. Das Kompliment gab sie postwendend zurück: „Es war eine offene Aussprache von allen Seiten. Es hat sich etwas geändert: Wir sind unter Freunden!“ Und dann fügte sie doch noch schelmisch hinzu: „Man kann nicht alle Eheprobleme vor der Eheschließung lösen. Also heiraten Sie uns einfach!“

Dr. Günther H. Tontsch

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