26. März 2005

Münchener "Parallelen" von Bottesch und Eitel

Von Parallelen spricht man im Falle einer Geraden oder Ebene, die sich mit einer anderen, im gleichen Abstand gleichlaufend, im Endlichen nie schneidet. Im Endlichen. Im Landratsamt München (Mariahilfplatz 17) rückt dieser Tage unter dem Ausstellungstitel "Parallelen" an die Stelle der Geraden/Ebenen das Verhältnis von Arbeiten, Oeuvre und Lebensweg der siebenbürgischen Künstlerinnen Sieglinde Bottesch und Beatrix Eitel.
Erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten in ihrer beider Herkunft? „Herkunft, die uns verbindet“, ergänzt die Kronstädterin Eitel im Foyer des lichten, Transparenz atmenden, viergeschossigen Ausstellungsgebäudes, im Beisein ihrer in Hermannstadt geborenen Künstlerkollegin. Einen Tag nach der Vernissage am 17. März fand sich Gelegenheit zum Gespräch mit den Ausstellenden.



Ausstellung ‚Parallelen‘ in München: Die siebenbürgischen Künstlerinnen bei der Vernissage in vorderster Reihe: Beatrix Eitel (links) neben Sieglinde Bottesch. Foto: Christian Schoger
Ausstellung ‚Parallelen‘ in München: Die siebenbürgischen Künstlerinnen bei der Vernissage in vorderster Reihe: Beatrix Eitel (links) neben Sieglinde Bottesch. Foto: Christian Schoger


Analogien, latente oder solche, die brach liegen, offenbaren sich wiederholt beim Wandel von Bild zum Objekt, vom Erdgeschoss bis in den vierten Stock. Da ist ein verlassenes Nest. Im zweiten Stock. Vogelperspektive. Die Zeichnung (Feder/Tusche) von Sieglinde Bottesch trägt den Titel „Nest“. Zwei Etagen darüber klebt an der Wand kein „bloß“ gezeichnetes Nest: heimelig, dicht in der Struktur, aus Teebeutelfäden in Stramin geknüpft. Seitenansicht. Es hinterlässt einen bewohnten Eindruck. „Nehmen wir nicht vorzugsweise das wahr, was schon in uns angelegt ist?“, fragt Sieglinde Bottesch in den Raum. Titellos, wie durchweg die Arbeiten von Eitel, die sich auf die Angabe von Material und Technik beschränkt, ist alles Anschauung: Gewollt bleibt der Betrachter im Zustand der Ungewissheit. Bottesch hingegen beschriftet zuweilen ihre Arbeiten, setzt Zitate in die Fläche. Westlich des Vogelbaus, in Richtung ihrer neuen Heimat Deutschland, steht: „Aber keine Nestbeschmutzer“.

Längst hat Sieglinde Bottesch in Ingolstadt Wurzeln gefasst, ist als Künstlerin etabliert, anerkannt auch in der Medienberichterstattung. Von ihrer siebenbürgischen Heimat hat sich die freischaffende Malerin und Grafikerin prägende Eindrücke und Erfahrungen bewahrt. 1938 in Hermannstadt geboren, hatte Bottesch nach Absolvieren der Hochschule der Bildenden Künste Bukarest bis zu ihrer Aussiedlung 1987 als Kunsterzieherin in Hermannstadt, parallel dazu als Illustratorin für verschiedene Verlage in Rumänien gearbeitet und gleichzeitig ausgestellt (Hermannstadt, Bukarest, Riga). Scheinbar nahtlos setzte sich ihr künstlerisches Wirken in Ingolstadt mit Ausstellungen im In- und Ausland fort. Malerei, Handzeichnung und Druckgrafik sind die Schwerpunkte ihrer Arbeit. Seit 2003 nimmt Bottesch teil an dem internationalen Kunstprojekt „Fliegender Teppich“. Ein gemeinsamer Schnittpunkt, denn seinerzeit hatte Beatrix Eitel ihre Kollegin eingeladen, in dieser ausschließlich aus Künstlerinnen zusammengesetzten Gruppe mitzuwirken. Es mangelte an erfahrenen Druckgrafikerinnen. Je eine Arbeit von Eitel und Bottesch, die im Zuge dieses Projektes entstanden sind, hängen im Erdgeschoss des Landratsamtes nebeneinander. Sie markieren den Anfang korrespondierenden Schaffens und zugleich die erste Station des Ausstellungsbesuchers. Kennen gelernt („bewusst wahrgenommen“ / Bottesch) hatten sie sich bereits drei Jahre zuvor in der Theatergalerie in Ingolstadt. Seither blieben sie im Gespräch. Neben dem künstlerischen Austausch blieb die gemeinsame Herkunft ein verbindendes Motiv. Bottesch verknüpft „mit dem gemeinsamen Ursprung ein ähnlich gelagertes Interesse für bestimmte Dinge des Lebens, des Alltags vor allem“. Keineswegs habe man für diese Ausstellung in gegenseitiger Abstimmung Werke geschaffen, so als wollte man dem Titel „Parallelen“ konzeptionell entsprechen. Vergangenen Sommer hatten sich Eitel und Bottesch zu dieser Ausstellung entschlossen, weil sie in ihrer Kunst und ihrem Lebensweg diese Parallelen wahrnahmen.

Im Alter von zwölf Jahren übersiedelte die 1964 in Kronstadt geborene Beatrix Eitel mit ihrer Familie nach Deutschland. In München studierte sie Kommunikationsdesign. Seit 1992 ist Frau Eitel – mit Wohnsitz in Pfaffenhofen-Tegernbach, lebt und arbeitet darüber hinaus auch in Ost-Ungarn (kleines Weingut an der Theiß) – freischaffend tätig als Künstlerin und Grafikerin. Ursprünglich von der Zeichnung herkommend, begann Beatrix Eitel in den letzten Jahren Objekte zu gestalten, wobei sie ihre Materialien in Ge- und Verbrauchsgegenständen aufspürt. Im Rahmen der Vernissage kennzeichnete Prof. Günther Köppel (Universität Eichstätt) Eitels Objekte „als Protokolle eines Untersuchungsprozesses. Das fast meditative, sich in tausenden zyklischen Handgriffen entwickelnde Tun ist das eigentliche Geheimnis ihrer Kunst.“ Diese Kunst präsentierte sie in Ausstellungen u.a. in Budapest, Ingolstadt und München – 2003 im Haus der Kunst.

Beide Künstlerinnen sind der Natur, dem Urwüchsigen, den Archetypen in variabelst möglicher Form- und Gestaltgebung verhaftet. Und in Siebenbürgen erfuhren sie diese Prägung. Ihre Kindheit(en) hätten in unserer konsumbestimmten Gesellschaft, inmitten einer weitgehend entseelten, flurbereinigten Natur einen wesentlich anderen Verlauf genommen. „Meine Großmutter“, sagt Sieglinde Bottesch, „hatte einen wunderbaren Garten. Dieser Garten ist eigentlich die Grundlage meines Lebens. Das war das Paradies meiner Kindheit. Dort habe ich meine wichtigsten Eindrücke gesammelt, die immer wieder hervorkommen, als Archetypen.“ In der Ausstellung treten etwa mit der Zwiebel, dem Kürbis oder Knoblauch wiederkehrende Motive in Erscheinung. Bottesch dechiffriert mit haarfeinem Strich in verschiedenen Stadien den Prozess des Werdens und Vergehens. Mitunter fast anatomisch. Dies geschieht gleichnishaft. Und es gelingt der Künstlerin, diesen Vorgang dank der ihr eigenen klaren Artikulation sinnfällig zu vermitteln: „Ohne Erde und Wasser nimmt die Zwiebel, wie die Kartoffelknolle, die Kraft aus sich heraus, neue Triebe zu bilden. Der Künstler muss analog dazu aus sich selbst heraus das neue Werk schaffen.“ Ihr Weg zur Objektkunst ist jüngeren Datums, erwächst allerdings aus derselben, schon in ihren Zeichnungen wirkmächtigen Faszination. Elementar dem Biotop Garten entlehnt sind die zehnbrüstige ephesos’sche „Artemis“ (Wachs/Gips, 2005) und „... manchmal möchte ich mich am liebsten verstecken“ (Pflanzenrinde/Seil, 2000), im ersten Stock.

Auch Eitel ist leidenschaftliche Gärtnerin, selbst wenn die von ihr verwandten Materialien dies vielleicht nicht vermuten lassen. Auf den ersten Blick. Die Künstlerin „kommuniziert“ mit Wegwerfprodukten, die ihre vorgesehene Funktion erfüllt haben: Joghurtbecher, Kronkorken, Kaffeepads, Teebeutel. In seiner Einführung attestierte Günther Köppel eine Nähe zur Konkreten Kunst: „... fast gerichtsmedizinisch präpariert sie mit Hingabe den letzten inneren Bedeutungspartikel aus verblichenen Gebrauchsobjekten heraus, betreibt ästhetisch ‚Nuklearforschung’ auf der Suche … nach dem Kern der Dinge, den Urbausteinen der ästhetischen Wahrnehmung“. Prozesse der Metamorphose manifestieren sich in den Arbeiten von Bottesch wie von Eitel, deren sieben nebeneinander gereihte Kompositionen (Mischtechnik auf Spanplatte) aus Tee, Leim und Leinöl förmlich nach satter Erde riechen. „Es kommt aus dem Boden und kehrt wieder dahin zurück.“ (Beatrix Eitel)

Was überwiegt bei dieser Kunst, im Dialog mit dem Alltag, seinen Rhythmen, Gesetzmäßigkeiten und Konventionen? Das Ephemere, wenn sich die verrottbaren Materialien aus ihrem neuen Kontext herauslösen, nicht recyclebar auflösen? Ist es die ästhetische Aussage über Natur und Wesen der Dinge? – Sieglinde Bottesch und Beatrix Eitel stellen sich den Fragen des Publikums im Rahmen eines Kunstgesprächs, das am Donnerstag, dem 7. April, um 18 Uhr, im Landratsamt München, Mariahilfplatz 17, stattfindet. Die Ausstellung ist noch bis 29. April 2005, montags bis freitags von 8 – 18 Uhr geöffnet.

Christian Schoger

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