8. April 2005

Literaturveranstaltung des Deutsch-Rumänischen Forums

Zum ersten Mal nach dem Sturz Ceausescus und dem darauf folgenden Massenexodus der Rumäniendeutschen fand am 10. März 2005 in den Räumen der rumänischen Botschaft in Berlin eine Lesung aus der aktuellen rumäniendeutschen Literaturszene der alten Heimat statt.
Das literarische Symposion wurde vom Deutsch-Rumänischen Forum unter tatkräftiger Mitarbeit von Harald Berwanger sowie dem Rumänischen Kulturinstitut Titu Maiorescu unter Leitung von Dr. Adriana Popescu organisiert. Die Veranstaltung war ein hoffnungsvolles Signal für die Vitalität der rumäniendeutschen Literatur trotz alter Schicksalsschläge.

Die Grußworte sprachen Susanne Kastner, Präsidentin des Deutsch-Rumänischen Forums und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, sowie der rumänische Botschafter in Berlin, Adrian Vierita. Letzterer übrigens in tadellosem Deutsch. Gemäß dem Einladungsmotto „Multikulturelle Lebensräume: Brücken, Passagen, Verflechtungen, Übergänge“ unterstrich der Botschafter, dass er bemüht sei, die bilateralen Beziehungen neben Politik und Wirtschaft auch auf den Bereich der Kultur und ihre europäischen Werte zu erweitern.

Dr. Peter Motzan, Vizedirektor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München, stellte die vier Autoren des Abends vor. Zunächst die drei in Rumänien wirkenden Jungautoren Petra Curescu (geboren 1983 in Temeswar), Michael Astner (geboren 1961 in Großpold) und Lucian Manuel Varsandan (geboren 1975 in Arad). Alle drei schreiben in deutscher Sprache, auch die beiden rumänischen Muttersprachler Curescu und Varsandan.

Peter Motzan, einer der besten Kenner der rumäniendeutschen Nachkriegslyrik, Verfasser des Standardwerkes „Die rumäniendeutsche Lyrik nach 1944 – Problemaufriss und historischer Überblick“, Dacia Verlag, Klausenburg 1980, mit dem er auch promovierte, zeichnete anhand der drei Autoren ein erfreulich lebendiges Bild der jüngsten Generation der rumäniendeutschen Literatur. Im zusammenwachsenden Europa würden sie nicht mehr hauptsächlich als Sachverwalter einer kleinen Minderheit auftreten, sondern das schreibende Ich, ihre individuelle Befindlichkeit thematisieren und damit ihren europäischen Altersgenossen gleichen.

Besonders Petra Curescu ist ein erstaunliches Beispiel einer kultur- und mentalitätsübergreifenden Literatursynthese. Seit ihrem 7. Lebensjahr schreibt sie deutsch, obwohl ihre Eltern nur rumänisch sprechen, und ist schon seit zehn Jahren Mitglied in der deutschsprachigen Literaturgruppe „Stafette“ in Temeswar, in der die Deutschlehrerin und Kustodin Annemarie Podlipny-Hehn eine ganze Reihe junger deutschschreibender Talente gefördert hat. Mit 18 kam ihr erster Band „Regenbogen der Nacht“ heraus und mit 20 ihr zweiter „Warum spreche ich (nicht)“. Ihre vertrackte Verspieltheit, mit existenzialistisch-feiner Ironie, brachte sie den gut über hundert Zuhörern auch im Text „Abstrakt“ zur Sprache: „Eine Abstraktion selber/ ist die/ Sprache/ in der ich jetzt/ spreche/ und die/ Buchstaben/ mit denen ich jetzt/ schreibe – Wer/ das/ schon versteht/ sollte nicht erwarten/ sich selber/ zu gut/ zu verstehen“.

Lucian Manuel Varsandan hat mehr als nur einen neuen Mentalitätstupfer in die rumäniendeutsche neueste Lyrik gebracht, wenn er in seinem Lyrikband „Als das Wort zu Ende war“, Eurobit Verlag, Temeswar 2000, unter anderem schreibt und dann hier vortrug. „Ausländer Richtung Frankfurt: Wir sind ein tolerantes Mehrvölkerabteil/ – auf rumänisch, türkisch und arabisch/ fordern wir/ das Recht auf einen mehrsprachigen Schaffner.“

Auch Michael Astner, der mit seinem verqueren Humor die Schwierigkeiten vor und in der Transformationszeit auf die Schippe nimmt, kam ganz gut an. Aufmerksamkeit erweckte auch ein Gedicht in siebenbürgisch-sächsischer Mundart, das der Autor gleich ins Hochdeutsche übertrug. Viele hörten bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal diesen moselfränkischen Dialekt, in dem früher sogar gepredigt wurde und beachtliche Autoren wie Viktor Kästner oder Annemarie Schuller-Schullerus schrieben.

Im zweiten Teil der Veranstaltung las der bekannte Banater Schriftsteller Richard Wagner, heute in Berlin lebend, aus seinem neuen Roman „Habseligkeiten“. Seinem 27. Buch, wie Peter Motzan eingangs erwähnte, um dann noch hinzuzufügen, er selber besitze 26 davon und habe auch alle gelesen. Eine Moderationsvorbereitung, wie man sie sonst wohl kaum noch – selbst in den größten Literaturen nicht – finden dürfte.

Ingmar Brantsch


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