9. Mai 2005

"Hahnemannia" um "wundersamen Arzt"

Am 10. April 2005 jährte sich zum 250. Mal der Geburtstag des Erfinders der homöopathischen Behandlungsmethode, zu dessen Ehren gerade in diesen Tagen vielerorts Feiern, Festakte und Vorträge stattfinden. Eine aktualisierte Biographie von Robert Jütte erschien im dtv Verlag in München (279 Seiten, 14 Euro). Höhepunkt des Festjahres ist im Mai 2005 der 60. Weltkongress in Berlin.
Kaum ein anderer deutscher Mediziner des späten achtzehnten und des frühen neunzehnten Jahrhunderts ist heute noch in der Öffentlichkeit so präsent wie Samuel Hahnemann (1755-1843), der "wundersame Arzt aus Sachsen", wie er von seinem Zeitgenossen, dem deutschen Dichterfürsten Goethe bezeichnet wurde. Trotz seines hohen Bekanntheitsgrades dürften nicht alle Leser wissen, wer eigentlich Christian Friedrich Samuel Hahnemann war, der einerseits von den Anhängern als Begründer der Homöopathie gefeiert, andererseits von den nicht wenigen Kritikern als "Zuckerkügelchen-Mystiker" verdammt wird, und vor allem, was er mit Siebenbürgen zu tun hat. Denn Hahnemann begann seine Arztkarriere in Hermannstadt, als Leibarzt und Bibliothekar des kaiserlichen Statthalters Samuel Freiherr von Brukenthal (1721-1803).



 Christian Friedrich Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie, katalogisierte in Hermannstadt medizinische und naturwissenschaftliche Werke für den Baron Samuel von Brukenthal.
Christian Friedrich Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie, katalogisierte in Hermannstadt medizinische und naturwissenschaftliche Werke für den Baron Samuel von Brukenthal.
Hahnemann, der 1755 in Meißen geboren wurde, stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater, ein Porzellanmaler, hatte kein rechtes Verständnis für die Studienpläne seines Sohnes. Mit mütterlicher Unterstützung konnte der strebsame und sprachbegabte junge Mann 1775 das Medizinstudium an der Leipziger Universität aufnehmen. Nach zwei Jahren beschloss er nach Wien zu gehen, um an der damals führenden Medizinschule Europas klinische Heilkunde zu studieren. Auch wenn sein Name in der Wiener Universitätsmatrikel nicht auffindbar ist, wissen wir, dass er im ärztlichen Direktor des Spitals der Barmherzigen Brüder in der Wiener Leopoldstadt, Josef Feiherr von Quarin, denjenigen klinischen Dozenten vorfand, den er in Leipzig vermisste. Der berühmte Professor und Leibarzt Maria Theresias schätzte den lernbegierigen Studenten sehr. Etwa ein Dreivierteljahr später vermittelte ihm sein Lehrer eine Leibarztstelle bei Samuel Freiherr von Brukenthal, der sich gerade anlässlich seiner Ernennung zum kaiserlichen Statthalter Siebenbürgens in Wien aufhielt. Die Einladung Brukenthals scheint zum richtigen Zeitpunkt gekommen zu sein, denn, wie Hahnemann in seiner Autobiographie schreibt: "der Rest, der mir übrig gebliebenen Brosamen sollte eben vollends verschwinden als der Gouverneur von Siebenbürgen S. von Brukenthal, mich unter ehrenhaften Bedingungen einlud, mit ihm nach Hermannstadt zu gehen, als Hausarzt und Aufseher seiner ansehnlichen Bibliothek."

Am 3. Oktober 1777 zog Freiherr von Brukenthal feierlich in Hermannstadt ein, als neuer kaiserlicher Gouverneur (Gubernator) von Siebenbürgen. Zu seinem Gefolge gehörte auch der unbekannte junge Medizinkandidat Samuel Hahnemann. Die Verwaltungshauptstadt am Zibin zählte damals etwa 10 000 Einwohner und sechs Apotheken. Hier widmete sich der junge Arzt hauptsächlich der Ordnung der großen Privatbibliothek und der wertvollen Münzensammlung seines Gönners. Vorher wurde die Brukenthalsche Bibliothek, mit über 10 000 Bänden und Manuskripten, von Johann Michael Soterius, einem Neffen des Barons, besorgt. Hahnemann begann zusammen mit Soterius einen neuen Katalog der Bibliothek anzulegen, der allerdings erst 1780, nach seiner Abreise, von Soterius beendet wurde. Es waren offenbar vor allem medizinische und naturwissenschaftliche Werke, die Hahnemann für den Baron katalogisierte. Über die ebenfalls von ihm neu geordnete Münzensammlung schrieb der gebürtige Meißner Sachse: "Sie kann keiner anderen Sammlung gleichgesetzt werden. Sie enthält römische, griechische und siebenbürgische Gold- und Silbermünzen von großem Wert, insgesamt etwa 17 500 Stück."

Neben seiner Arbeit blieb ihm noch genügend Zeit, sich dem Studium von Fremdsprachen und der Übersetzung einer umfangreicheren philosophischen Abhandlung aus dem Französischen zu widmen. Einzelheiten über seine ärztliche Tätigkeit, die allerdings nicht besonders intensiv gewesen sein dürfte, sind kaum bekannt. Er soll seinem Gönner, der häufig an Kopfschmerzen litt, mit einer Mischung von Chinarinde und Milchzucker (Laktose) behandelt haben. Es ist anzunehmen, dass Hahnemann den Gouverneur auf dessen Dienstreisen durch Siebenbürgen begleitete und dabei Land und Leute kennen gelernt hat. Die Vermutung liegt nahe, dass er zu dieser Zeit auch mit der siebenbürgischen Volksheilkunde in Berührung kam. Ob und in welcher Form diese Erfahrungen später in die Entwicklung seiner Lehre mit eingeflossen sind, kann allerdings nicht endgültig beurteilt werden.

Besser als über die Heilpraxis Hahnemanns in der Verwaltungshauptstadt sind wir über das gesellige Leben im Palais des aufklärerisch gesonnenen Juristen Baron Samuel von Brukenthal informiert, wo fast jeden Abend Empfänge stattfanden, bei denen es zu anregenden gelehrten Gesprächen bei Kerzenschein kam. Außerdem gab es in Hermannstadt auch andere Formen der exklusiven Geselligkeit, nämlich die Freimaurerlogen. Nur zwei Wochen nach seiner Ankunft trat Hahnemann, höchstwahrscheinlich auf Veranlassung Brukenthals, am 17. Oktober 1777 der Loge "St. Andreas zu den drei Seeblättern" bei. Wenngleich er hier über den ersten Grad der Mitgliedschaft nicht hinauskam, so bedeutet dies kaum zu wenig Interesse seinerseits für das Freimaurertum, sondern eher seinen lockeren Anschluss, der damals fast zum guten Ton in gehobenen Gesellschaftskreisen gehörte. Gerade die höheren Würdenträger, prominente Künstler, Literaten und Gelehrten, darunter auch Stadtärzte und Apotheker, waren Mitglieder der Freimaurerlogen.

Was wir von Hahnemann selbst über seine Zeit in Hermannstadt aus seiner Selbstbiographie erfahren können, ist - leider - nicht viel und kaum aufschlussreich. Er schreibt: "Hier hatte ich die Gelegenheit, noch einige andere mir nöthige Sprachen zu lernen und einige Nebenwissenschaften mir zu eigen zu machen, die mir zu fehlen erschienen. Seine (Brukenthals) unvergleichliche Sammlung antiker Münzen brachte ich, sowie seinen Büchervorrath in Ordnung und zu Papier, prakticierte sieben Vierteljahre in dieser volkreichen Stadt und schied dann, obwohl sehr ungern, von diesem biedern Volke, um in Erlangen den Doctorgrad zu erwerben, welches ich nun aus eigenen Kräften thun konnte." Ein Beweisstück für die enge, von Dankbarkeit geprägte freundschaftliche Beziehung zwischen Hahnemann und seinem Gönner Brukenthal stellt auch seine Umdichtung ins Deutsche der altgriechischen Ode der Sappho an ihre Geliebte aus dem Jahre 1778 dar.

Nach etwa 20 Monaten war die sorglose Hermannstädter Zeit vorbei, denn bei Hahnemann hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es überfällig war, das Medizinstudium mit der üblichen Promotion abzuschließen. Als Lutheraner hatte er damals keine Möglichkeit gehabt, seinen medizinischen Doktorgrad an der katholischen Universität Wien zu erlangen. Deshalb folgte er dem Beispiel einiger siebenbürgischer Medizinstudenten, die in vergleichbarer Lage waren, wie zum Beispiel der Hermannstädter praktische Arzt Andreas Wolff, der nach Studien in Wien und Tyrnau 1777 an der (preisgünstigen) Universität Erlangen promovierte. Hahnemann ließ sich am 12. April 1779 in Erlangen einschreiben und verteidigte am 10. August 1779 seine Dissertation Conspectus affectuum spasmodicorum aetiologicus et therapeuticus (Ursache und Therapie von Krampfzuständen).

1780 begann für Hahnemann ein unstetes Wanderleben, das ihn bis zu seiner vergleichsweise längerfristigen Niederlassung in Torgau an der Elbe im Jahre 1805 in zwanzig Orte im nord- und mitteldeutschen Raum führte. Das anfangs eher kärgliche Auskommen aus der für ihn wenig einträglichen ärztlichen Tätigkeit besserte er durch zahlreiche Übersetzungen sowohl von Fachliteratur als auch von belletristischen Werken auf. Der wissbegierige Forscher widmete sich immer mehr der Chemie und Pharmakologie. Sechs Jahre prüfte er seine erst später ausformulierte Hypothese, dass "Ähnliches mit Ähnlichem" geheilt werden könne (Simile similibus curantur). Die Ergebnisse seiner Arzneimittelprüfungen und die Summe seines Nachdenkens über dieses Phänomen veröffentlichte er 1796 in einer der damals angesehenen medizinischen Zeitschriften, Hufelands Journal der practischen Arzneykunde. Dieses Datum gilt als Geburtsstunde der Homöopathie. Von 1811 bis 1821 hielt er Vorlesungen an der Leipziger Universität, um seiner neuen Lehre, die er in seinem Hauptwerk "Organon der rationellen Heilkunde" (1810) veröffentlichte, breiten Eingang zu verschaffen. Ab 1821 lebte er in Köthen und ab 1834 bis zu seinem Tode als erfolgreicher Homöopath in Paris.

Die Quintessenz der Hahnemannschen Homöopathie: "Um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, wähle eine Arznei, die ein ähnliches Leiden erregen kann wie sie heilen soll". Dieses Ähnlichkeitsprinzip wurde in der klassischen Homöopathie ergänzt durch ein komplexes System von Zuschreibungen sowohl im Hinblick auf Patienteneigenschaften als auch im Hinblick auf die eingesetzten Arzneimittel (Pflanze, Tier, Mineralien), das bei der individuellen Verordnung berücksichtigt wurde. Die Arzneistoffe werden in der Homöopathie zum Teil extrem niedrig dosiert (sog. Potenzen und Hochpotenzen), wobei der Wirkstoff meist in Dezimalpotenzen verdünnt wird. Hahnemann entwickelte ein Konzept systematischer Verdünnungen, wobei er immer stärker verdünnte Mittel verwendete. Eine leichte "Erstverschlechterung" war für ihn das Zeichen, dass er das richtige Arzneimittel gewählt hatte und die bestimmungsgemäße Wirkung einsetzte. Seine Lehre widersprach dem bisherigen medizinischen Denken, obwohl das Ähnlichkeitsprinzip schon seit Hippokrates' Zeiten bekannt war. Noch zu Hahnemanns Lebzeiten entfachte sich darüber eine leidenschaftliche Diskussion, die noch bis heute anhält. Aus Sicht vieler Patienten ist der Streit der Medizintheoretiker überflüssig, denn wer zu heilen vermag (sogar mit wirkstofflosen Milchzuckerkügelchen), hat in der Regel Recht. Dies wiederum entspricht vollkommen dem Credo des Jubilars, wonach "des Arztes höchster und einziger Beruf ist, kranke Menschen gesund zu machen, was man heilen nennt." Samuel Hahnemann starb am 2. Juli 1843 in Paris. Sein Grab liegt heute auf dem Prominentenfriedhof Père Lachaise, wo ein prächtiges Grabdenkmal mit dem vom Meister selbst ausgewählten Spruch: Non inutilis vixi ("Ich habe nicht umsonst gelebt") an den weltbekannten Mediziner erinnert.

Dr. Robert Offner

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