20. Mai 2005

Günther Beckstein: "Siebenbürger Sachsen sind Vorreiter eines europäischen Denkens"

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein hat die Siebenbürger Sachsen in seiner Festrede beim Heimattag in Dinkelsbühl ermutigt, ihre wertvolle Kultur in der neuen Heimat zu pflegen und an die junge Generation weiterzugeben. Beckstein dankte ihnen, "dass Sie aus Tiefen kommend Brücken bauen und dass Sie dabei Vorreiter eines modernen europäischen Denkens sind, eines Denkens für Frieden, für Freiheit". Einen Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur Europäischen Union begrüßte der Innenminister ausdrücklich seitens der Bayerischen Staatsregierung, verwies aber gleichzeitig auf die Voraussetzungen, die zunächst geschafft werden müssten. Zudem würdigte Beckstein Rumänien für seinen Umgang mit den "Tiefen der eigenen Geschichte" und sein Bekenntnis zur deutschen Minderheit. Die Festrede wird im Folgenden ungekürzt veröffentlicht.
Ein ganz herzliches Willkommen in Dinkelsbühl, in Franken und in Bayern. Für mich ist es eine besondere Freude, dass ich Sie heute als stellvertretender Ministerpräsident hier in Dinkelsbühl begrüßen darf. Ich überbringe Ihnen aber auch die Grüße unseres Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber. Wir freuen uns von Herzen, dass die Siebenbürger Sachsen sich jährlich in Bayern treffen.

Bayerns Innenminister Dr. Günther Beckstein während seiner Ansprache vor der Schranne in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
Bayerns Innenminister Dr. Günther Beckstein während seiner Ansprache vor der Schranne in Dinkelsbühl. Foto: Josef Balazs
Sie wissen: Die Bayern sind besonders heimatverbundene Leute. Und wir sagen immer: Bayern besteht aus den traditionellen Stämmen der Altbayern, der Schwaben und der Franken. Und dann ist ein vierter Stamm hinzugekommen, der zunächst nur die Sudetendeutschen umfasst hat, den wir aber seit vielen Jahren erweitert haben: der Stamm der Vertriebenen. Und diesem vierten Stamm sagen wir ein besonders herzliches Dankeschön, weil die Vertriebenen einen eminent wichtigen Beitrag zum Aufbau Bayerns geleistet haben. Ohne die Vertriebenen wäre es nie gelungen, Bayern zu dem Aufsteigerland zu machen, das wir in den letzten Jahren geworden sind.

Es ist auch nahe liegend: Die Vertriebenen haben alles verloren, sie mussten sich durch Fleiß und Arbeit eine neue Heimat schaffen. Sie haben ganz wesentlich beim Aufbau unseres Landes Bayern mitgewirkt, das 1945 und 1950 insgesamt ein rückständiges Land war, jedenfalls am Ende der Bundesrepublik. Unsere großartige Aufwärtsentwicklung wäre ohne den Fleiß, ohne die Einsatzbereitschaft der Vertriebenen so nicht möglich gewesen.

Sie haben sich hier mit Dinkelsbühl eine besonders schöne Kulisse für das Treffen der Siebenbürger Sachsen ausgesucht. Lieber Herr Oberbürgermeister Hammer, Sie können auf Ihre Stadt sehr stolz sein. Dinkelsbühl ist vielleicht nicht so weltberühmt wie Rothenburg. Für Insider ist es aber der Geheimtipp. Und wir Franken - ich bin Nürnberger - wissen, dass Dinkelsbühl mit dem Deutschen Haus, der Schranne, eine außerordentlich schöne fränkische Stadt ist. Sie weist ja enge Verwandtschaft mit dem siebenbürgischen Schäßburg auf. Und darum passt Dinkelsbühl auch in besonderer Weise zu diesem großen Festzug.

Ich sage Ihnen allen ein herzliches Dankeschön, dass Sie die alte Kultur, die über Jahrhunderte in Siebenbürgen bestanden hat, weiterpflegen. Das ist nicht ein modernes "Disney-Land". Das ist vielmehr eine tief verwurzelte Kultur mit wunderschönen Trachten, Volkstänzen, Liedern oder Blaskapellen, die es zu bewahren gilt. Unsere Welt, unser Deutschland wäre ärmer, wenn wir diese Kultur nicht pflegen würden. Und darum bitte ich Sie: Machen Sie weiter mit der Kulturpflege, bringen Sie sie auch jungen Leuten bei, die heute oft andere Interessen haben. Es ist ganz wichtig, dass diese Kultur nicht verloren geht, sondern auch in den nächsten Generationen und Jahrzehnten weitergepflegt wird.

Ich erinnere mich gut: Vor einigen Jahren war ich in Rumänien zu Besuch beim Innenminister. Ich darf bei dieser Gelegenheit ein ganz herzliches Willkommen an den Minister für Landwirtschaft in Rumänien und den Botschafter von Rumänien sagen. Wir freuen uns, dass Sie hier sind. Es ist ein gutes Zeichen, dass die rumänische Regierung - anders als frühere Regierungen in der kommunistischen Ära - sich jetzt bewusst ist, dass die Deutschen in Rumänien ein ganz wichtiger Beitrag auch zur Kultur ihres Landes sind und auch ein wichtiger Beitrag zum Aufstieg des Landes in Europa sein werden. Deswegen ein Dankeschön, dass wichtige Vertreter aus Rumänien hier dabei sind.

Und ich bitte es mir nicht krumm zu nehmen, wenn ich sage: Auch andere Länder könnten sich hier ein Beispiel nehmen an den Vertretern Rumäniens; denn wir haben andere Vertriebenentreffen, wo die Heimatländer immer noch nicht erkennen, dass es zum selbstverständlichen europäischen Standard gehört, sich auch zu den Tiefen der eigenen Geschichte zu bekennen, zum Unrecht der Vertreibung, zum Unrecht der Enteignung. Das macht Rumänien, und deshalb sagen wir ein Dankeschön.

Ich will auch sagen: Es ist ein wichtiger erster Schritt, dass inzwischen gesetzliche Regelungen existieren, wonach Häuser und Eigentum wieder den in Rumänien Verbliebenen zurück übertragen werden sollen. Wir wissen, dass es hier noch sehr viele praktische Schwierigkeiten gibt. Jedenfalls sind aber die ersten Schritte getan. Wir wollen Sie ermutigen, weitere Schritte zu gehen.

Es gehört bei uns in Deutschland zur selbstverständlichen Verpflichtung, dass wir uns den Verbrechen unseres Volkes in der Vergangenheit stellen. Tief bewegt habe ich vor einigen Tagen in Flossenbürg des 60. Jahrestages der Befreiung des dortigen Konzentrationslagers gedacht. Der bayerische Ministerpräsident erinnerte am 1. Mai an die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau. Am 8. Mai hatten wir in der Residenz in München eine Gedenkveranstaltung mit dem evangelischen Landesbischof. Wir wissen, dass mit dem 8. Mai 1945 Gott sei Dank das System Hitlers und der Nazis beendet worden ist. Wir wissen, dass es für viele ein Tag der Befreiung war. Wir wissen aber auch, dass für viele Menschen in Osteuropa galt: Hitler war weg, Stalin blieb. Wir wissen, dass dadurch viel Leid in Mittel- und Osteuropa entstanden ist.

Ich sage deshalb auch im Namen der Bayerischen Staatsregierung: Wir denken an die Opfer der Hitler-Verbrechen. Wir denken mit Scham, was Deutsche hier angerichtet haben. Wir denken aber auch an diejenigen, die nach dem Krieg Unrecht erleiden mussten als Vertriebene, als Verschleppte, als Zwangsarbeiter. Auch das war ein ganz großes Unrecht, das nicht irgendwie aufgerechnet werden darf. Auch hier wird es Zeit, dass man an all dieses Unrecht in Offenheit erinnert und sagt: Viele dieser Menschen haben unschuldig Schweres erlitten.

Meine Damen und Herren, Sie haben als Motto gewählt "Tiefen überstehen - Brücken bauen". In der Tat: Ihre Landsleute, alle, die aus Siebenbürgen stammen, haben größtes Leid zu überstehen gehabt. Sie sind verstreut über ganz Deutschland, wenn ich auch sage, dass die meisten südlich der Mainlinie und hier in Bayern leben. Wir sind ja froh darüber und freuen uns sehr. Aber Sie sind insgesamt verstreut. Das ist ein Ausdruck jenes Mottos "Tiefen überstehen". Aber es war nicht der Geist des Revanchismus, der daraus entstanden ist, sondern ein Geist des Brückenbauens. Und das ist eine großartige menschliche Leistung. Diese großartige menschliche Leistung haben auch die europäischen Staatsmänner erbracht, Adenauer, de Gasperi und Robert Schumann. Sie haben Europa aufgebaut, damit es dort nie wieder Krieg geben kann.

Es war richtig, dass im vergangenen Jahr die Europäische Union erweitert wurde. Und es ist selbstverständlich notwendig und richtig, dass Rumänien und Bulgarien auch zur Europäischen Union kommen. Ich sage ganz ausdrücklich auch für die Bayerische Staatsregierung, dass Rumänien und Bulgarien zur EU gehören, auch wenn wir meinen, dass es richtig ist, zunächst die Voraussetzungen zu schaffen. Und da ist sicher noch einiges zu tun. Wir wollen aber auch ganz bewusst selber mithelfen. Und wir sind sicher, dass die aus Rumänien stammenden Deutschen hier einen besonderen Beitrag zu leisten bereit sind, um Korruption zu beseitigen, um die Zusammenarbeit voranzubringen, um auf diese Weise dafür zu sorgen, dass in einem großen vereinten Europa überall ein Raum von Frieden, Freiheit und Recht entsteht. Das ist die Hoffnung für die Zukunft, das sind die Brücken, auf die wir hoffen.

Ein herzliches Wort des Dankes will ich noch sagen an die Organisatoren dieser Treffen der Siebenbürger Sachsen. Damit ist eine Unmenge Arbeit verbunden. Es sind unzählige Menschen, die hier unendlich viel Arbeit hinein stecken. Ich erinnere nur an diejenigen, die die Trachten vorher nähen und dann nach dem Regen - so wie heute - waschen und bügeln. Wenn es nach unserer heißen Liebe für die Vertriebenen, für die Siebenbürger Sachsen, ginge, dann hätten wir heute strahlenden Sonnenschein und hohe Temperaturen. Wir hoffen zumindest, dass wir nächstes Jahr wieder ganz schönes Wetter haben werden.

Liebe Siebenbürger Sachsen, ein herzliches Dankeschön für Ihre Treffen in Dinkelsbühl, ein herzliches Dankeschön für Ihre großartige Pflege alter deutscher Kultur. Ein herzliches Dankeschön, dass Sie aus Tiefen kommend Brücken bauen und dass Sie dabei Vorreiter eines modernen europäischen Denkens sind, eines Denkens für Frieden, für Freiheit. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Wohlstand kommen kann und bewahrt wird, bei uns bewahrt wird. Und dass er danach auch nach Rumänien kommen kann. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute und darf Ihnen auch Gottes Segen wünschen.

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