8. Juni 2005

Europäische Skepsis vor der Erweiterung

Die Franzosen und Holländer haben der Fortentwicklung Europas einen schweren Schlag versetzt. In Volksabstimmungen am 29. Mai bzw. 1. Juni lehnten die Wähler der beiden Mitbegründer der Europäischen Union die europäische Verfassung mit deutlicher Mehrheit ab. Vor diesem Hintergrund führte der rumänische Ministerpräsident Calin Popescu-Tariceanu am 2. und 3. Juni in Berlin Gespräche mit Bundeskanzler Schöder sowie Spitzenpolitikern der Union und FDP.
Die Verfassungskrise der EU droht nun zu einer Krise der Erweiterung zu werden. Die EU-Beitrittskandidaten Bulgarien und Rumänien könnten dies als Erste zu spüren bekommen. Die beiden Länder sind nach Auffassung vieler Kritiker nicht gut auf einen Beitritt vorbereitet. Das gibt nicht nur Europaskeptikern Aufschwung, sondern macht auch den aus Finnland stammenden EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn äußerst vorsichtig. Noch vor dem EU-Gipfel am 16. und 17. Juni will Rehn den beiden Beitrittskandidaten "Warnbriefe" wegen ihrer unzureichenden Reformen senden.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich strikt gegen einen Stopp bei der Aufnahme neuer EU-Mitglieder ausgesprochen, wie einige Unionspolitiker, darunter der Vizepräsident des Europaparlaments, Ingo Friedrich (CSU), gefordert hatten. Die Union müsse ihre eingegangenen Verpflichtungen auch gegenüber Rumänien und Bulgarien "auf Punkt und Komma" erfüllen. Wenn beide Länder dafür die Bedingungen erfüllten, müssten sie zum 1. Januar 2007 EU-Mitglied werden, sagte Schröder am 3. Juni nach einem Treffen mit dem rumänischen Ministerpräsidenten Calin Popescu-Tariceanu in Berlin. Schröder verwies darauf, dass es im Fall Rumäniens noch Defizite gebe. So seien verstärkte Anstrengungen bei der Bekämpfung der Korruption sowie Reformen im Justizwesen nötig.

Der rumänische Ministerpräsident sagte, es wäre "ungerecht", wenn seinem Land wegen der "inneren Probleme" in EU-Mitgliedstaaten nun der Beitritt verwehrt werde. Rumänien sei entschlossen, alle Bedingungen der EU zu erfüllen. Er verwies auf die Sicherheitsklausel, wonach die Aufnahme um ein Jahr verschoben werden könnte, falls aus Sicht der EU noch Voraussetzungen fehlten. Popescu-Tariceanu machte auch in einem Gespräch mit der CDU-Vorsitzenden und frisch ernannten Kanzlerkandidatin Angela Merkel deutlich, dass die rumänische Regierung intensiv an der Überwindung der Hürden arbeite. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhard erklärte nach dem Gespräch mit dem liberalen Premier aus Bukarest, dass seine Partei das Tor der Erweiterung der Europäischen Union weiter offen halten wolle. Werner Hoyer, Vorsitzender der Europäischen Freien Demokratischen Partei, lobte die Anstrengungen der Regierung in Bukarest bei der Justizreform und Korruptionsbekämpfung.

In einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" ging Popescu-Tariceanu auf die möglichen Sorgen ein, "dass rumänische Arbeiter auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen und hier Jobs gefährden". Rumänien sei offen für eine bilaterale Lösung dieser Frage und würde, wenn nötig, eine siebenjährige Übergangsphase mit einer sehr begrenzten Quote von rumänischen Arbeitnehmern akzeptieren.

Zeitungsberichten zufolge ist die deutsche Wirtschaft klarer Sieger des bilateralen Handelsaustausches. Im Jahr 2004 wuchs der Export nach Rumänien besonders rasant. Insgesamt wurden Waren im Wert von 4,4 Milliarden Euro von Deutschland ausgeführt, was einem Plus von sagenhaften 24,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Der Überschuss im Außenhandel mit dem zweitgrößten Markt in Mittel- und Osteuropa hat sich in wenigen Jahren sogar mehr als versechsfacht.

Ministerpräsident Calin Popescu-Tariceanu kündigte indes an, er wolle im rumänischen Parlament die Vertrauensfrage stellen. Sie soll an die Abstimmung zu Justiz- und Eigentumsgesetzen sowie zum Minderheitenschutzgesetz gekoppelt sein. Ohne tiefgehende Reformen in der Justiz und dem Eigentumsrecht könne Rumänien weder "der EU beitreten noch als echter Rechtsstaat funktioneren", schrieb der liberale Regierungschef in einem offenen Brief an das Parlament. Der Premier wird voraussichtlich am 14. Juni vor das Parlament treten.

S. B.


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