17. Juni 2005

"Wege zwischen Rumänien und Berlin"

In seiner Schriftenreihe informiert der Beauftragte des Senats für Integration und Migration, Günter Piening, über in Berlin lebende Minderheiten, ihren Beitrag zu Geschichte und Gegenwart der Stadt. Gerade erschienen ist der Band: "Wege zwischen Rumänien und Berlin" von Paul Baiersdorf und Ingrid Baltagescu mit einem Gastbeitrag von Richard Wagner.
Die Statistik führt rund 2 500 in Berlin ansässige Rumänen. Bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Menschen aus Rumänien aber als eine weit gewichtigere Gruppe unter den Berliner Minderheiten. Zu ihr zählen auch deutsche Aussiedler, die mit einem deutschen Pass die Bindungen zu ihrer alten Heimat nicht gekappt haben.

Die Autoren der jüngsten Veröffentlichung sind den Spuren nachgegangen, die aus Rumänien nach Berlin und auch umgekehrt führen. Dazu gehören auch die eigenen Bindungen. Die gebürtige Bukaresterin Ingrid Baltagescu lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und arbeitet als Lektorin am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität Berlin. Der Berliner Dramaturg und Regisseur Paul Baiersdorf stammt aus Klausenburg.

Sie erschließen zunächst in ihrer Arbeit die spärlich erscheinenden, historischen Spuren, rufen dann vergessene Namen wieder in Erinnerung und stellen interessante Querverbindungen und aktuelle Bezüge her. Einige Politiker, viele Schriftsteller und Akademiker in Berlin haben familiäre Wurzeln in Rumänien. Es zeigt sich, dass die Beziehungen der Bundeshauptstadt mit dem südosteuropäischen Land weit verzweigt sind und in alle Bereiche hineinreichen. Berlin war auch der Ort wichtiger rumänienbezogener Forschung, eine Tradition, die im Zuge finanzieller Kürzungen im akademischen Bereich zu Ende zu gehen scheint. Die große Tradition der Rumänistik in Berlin, die mit Hariton Tiktin ihren Anfang genommen hatte, neigt sich dem Ende zu.

Darüber hinaus sind die Autoren auch Berliner Spuren in Rumänien nachgegangen. Dabei stießen sie auf manche bislang wenig beachtete Ereignisse und Geschichten, wie die des Großunternehmers Strousberg, der es im 19. Jahrhundert schaffte, die Korruption nach Rumänien zu bringen. Oder die Lebens- und Schaffensgeschichten der Schriftstellerin Weirauch, Königin der lesbischen Literatur der Zwischenkriegszeit, des Filmemachers Mime Misu, "Napoleon der Filmkunst" und "Erfinder" des Titanic-Films, des vergessenen Schauspielers Lupu Pick, der Opernsängerin Maria Cebotari und vieler anderer.

Die "Rumäninnen" und "Rumänen", die sich in Berlin niedergelassen haben, sind manchmal einfach Deutsche, Juden oder Ungarn aus Rumänien. Dieser Blickwinkel erlaubt einen Blick auf die Kulturgeschichte Rumäniens jenseits von Staatsangehörigkeiten und Grenzziehungen. Zu den gewürdigten Siebenbürger Sachsen gehören Lutz Korodi, Grete Csaki-Copony, Albert Ziegler, Hermann Oberth, Georg Maurer, Rudolf Wagner-Régeny, Paul Schuster und Oskar Pastior.

Aufgrund seiner Größe und seines Bevölkerungsreichtums kommt dem Land eine wichtige geopolitische Rolle zu. Arm ist Rumänien durch die Misswirtschaft seiner Diktaturen im 20. Jahrhundert geworden. Der Band beleuchtet ein in vielerlei Hinsicht reiches Land. Die Wege zwischen Berlin, Deutschland und den rumänischen Ländern waren trotz primitiver Verkehrsmittel bereits im 19. Jahrhundert so kurz oder so lang wie heute. Den Autoren ging es darum zu zeigen, wie sehr die (Studien-) Aufenthalte der Rumänen in Berlin die politisch-kulturelle Entwicklung Rumäniens beeinflusst haben. Und warum der deutsche Einfluss neben dem französischen seit jeher eine wichtige Rolle für das Karpatenland gespielt hat.

Eine ganze Generation von Politikern und Denkern ist in Berlin und anderen deutschen Städten zur geistigen Reife gelangt. Nicht zu vergessen die Hohenzollern, die Regenten des ersten vereinigten Rumänien, die bis zur Absetzung durch die Kommunisten im Jahr 1947 Rumänien regiert haben. Die Broschüre spart dabei keine wichtigen Kapitel der Geschichte aus, seien es die "Goldenen Zwanziger", das Aufkommen der faschistischen Bewegungen oder die Teilung nach dem Krieg. Ebenso wenig ausgeklammert werden der Holocaust, die Verstrickung mit den Nationalsozialisten oder die rechtsextreme Legion in Berlin. Auf diesem Gebiet haben in Berlin einige aus Rumänien stammende Wissenschaftler und Publizisten intensiv geforscht. Neben bekannten Namen wie Caragiale werden für diese Publikation auch viele vergessene wieder ins Gedächtnis gerufen. Über den brillanten Publizisten Valeriu Marcu, der bislang in keiner deutschen oder rumänischen Enzyklopädie zu finden ist, schreibt Richard Wagner einen Gastbeitrag.

Richard Wagner hat übrigens mit "Miss Bukarest" einen Berliner Krimi vor politischem Hintergrund geschaffen. Er ist auch als Experte für Rumänien und den Balkan in Erscheinung getreten, zuletzt mit dem Band "Der leere Himmel. Reise in das Innere des Balkan". 1987 nach Berlin gekommen, gab Wagner zusammen mit anderen aus der ehemaligen "Aktionsgruppe Banat" dem Exilprotest eine Stimme. So wurde Berlin auch zu einem der wichtigsten Orte des rumänischen Exils.

Berlin als Zwischenstation, Berlin als neuer Lebensmittelpunkt. In Berlin leben besonders viele Schriftsteller und Künstler aus Rumänien. Neben prominenten Namen wie Herta Müller tauchen auch interessante Neuentdeckungen auf wie die Jungautorin Andrea Clucerescu. Zudem gingen die Autoren Persönlichkeiten nach, die längst der amerikanischen Kultur zugeschrieben werden: M. Munkacsi, dem späteren "Life"-Fotografen, der die Zeppelin-Weltreise fotografierte, und dem ebenso begabten Fotografen Brassai.
Der Einband des knapp 90-seitigen Bandes wurde von der aus Rumänien stammenden Berliner Malerin Paulina Mihai gestaltet, einer Künstlerin, deren Werk wie kaum ein anderes eine Synthese der rumänischen Malereitradition und westlicher Ästhetikvorstellungen darstellt.

"Wege zwischen Rumänien und Berlin" (ISBN: 3-938352-02-7) ist erhältlich gegen eine Schutzgebühr von 2,00 Euro beim Beauftragten des Senats für Integration und Migration, Potsdamer Straße 65, 10785 Berlin, Telefon: (0 30) 90 17-23 57 oder (0 30) 90 17-23 22, Fax: (030) 2 62 54 07, E-Mail: Integrationsbeauftragter@auslb.verwalt-berlin.de.
Baiersdorf Paul und Ingrid Baltagescu
Wege zwischen Rumänien und Berlin

Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/Main,
Broschiert

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