11. Juli 2005

Kultur in Nordrhein-Westfalen wird Chefsache

Die Landtagswahlen am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen haben zu erdrutschartigen Verlusten für die Sozialdemokraten geführt. Nach 39 Jahren führt erstmals wieder ein CDU-Politiker die Landesregierung im bevölkerungsreichsten Bundesland. Neuer Ministerpräsident ist der CDU-Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers, der Ende Juni sein "Kabinett des Neuanfangs" vorstellte, in dem sich "Kompetenz und Glaubwürdigkeit miteinander verbinden". Die elfköpfige Ministerriege besteht aus neun Christdemokraten und zwei Liberalen, deren Ressorts zum Teil neu zugeschnitten wurden. Betroffen von den Neuerungen ist auch die Kulturpflege nach Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), die nicht mehr im nordrhein-westfälischen Sozialministerium, sondern seit dem 1. Juli beim Chef der Staatskanzlei und Staatssekretär für Kultur, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, angesiedelt ist.
Grosse-Brockhoff wird damit voraussichtlich auch für die Patenschaft über die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen zuständig sein. Er löst damit Birgit Fischer, die sozialdemokratische Sozialministerin und "Patenministerin" der Siebenbürger Sachsen ab.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Chef der Staatskanzlei und Kulturstaatssekretär der neuen Regierung in Düsseldorf.
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Chef der Staatskanzlei und Kulturstaatssekretär der neuen Regierung in Düsseldorf.
Mit dem Wechsel in Düsseldorf verbinden die Siebenbürger Sachsen in Deutschland große Hoffnungen. Die seit 1957 bestehende Patenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen war im Laufe der Jahrzehnte zu einer echten und lebendigen "Partnerschaft" gediehen, wie Johannes Rau, damals noch Ministerpräsident des Bundeslandes, in seiner Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen 1997 in Dinkelsbühl feststellte. Dennoch hatte die letzte rot-grüne Landesregierung aus Spargründen die Förderung für den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat im letzten Jahr zunächst zur Hälfte und seit dem 1. Januar 2005 komplett gestrichen. Die Siebenbürgische Bibliothek mit angeschlossenem Archiv und das Siebenbürgen-Institut, allesamt Kultureinrichtungen von europäischer Bedeutung, erforschen und pflegen das Kulturgut der Siebenbürger Sachsen, praktizieren aber auch einen lebendigen Brückenschlag nach Südosteuropa, vor allem ins Herkunftsland. Durch die Streichung der Fördermittel funktionieren diese Einrichtungen zurzeit nur noch in beschränktem Maße. Deshalb richten sich die Hoffnungen vieler Siebenbürger Sachsen nach Düsseldorf. Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Volker Dürr, bemüht sich zurzeit um ein Gespräch mit dem neuen Kulturstaatssekretär. Am 13. Juli plant Jürgen Rüttgers, vor dem Düsseldorfer Landtag seine Regierungserklärung abzugeben, die mehr Klarheit verschaffen wird über die Ziele und konkrete Aufgabenverteilung innerhalb der neuen Regierung.

Es ist jetzt schon absehbar, dass sich die Regierung in Düsseldorf den Anliegen der Aussiedler und Vertriebenen mit großem Ernst und Offenheit widmen wird. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers pflegt seit längerem einen ständigen Dialog mit dem Bund der Vertriebenen. So tauschte er sich beim letztjährigen Sommerfest der CDU unter anderem mit dem stellvertretender BdV-Landesvorsitzender Hagen Jobi, dem siebenbürgisch-sächsischen Landrat des Oberbergischen Landkreises, aus.

Jüngste Presseberichte haben den neuen "Patenonkel" der Siebenbürger Sachsen, den Chef der Staatskanzlei und Staatssekretär für Kultur, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Kontrovers wurde vor allem die Diskussion geführt, ob die Kultur in Nordrhein-Westfalen nun deklassiert oder zur Chefsache geworden sei. Die Kultur wird nach dem Machtwechsel nicht mehr einem Ministerium, sondern dem Chef der Staatskanzlei und damit in die Nähe des Ministerpräsidenten zugeordnet. Das Argument des frisch gekürten Staatssekretärs für Kultur, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, ist stichhaltig: "Ich glaube, dass es für die Kultur gar nicht besser kommen konnte als mit dieser Lösung, ins Zentrum der Macht vorzustoßen", erklärte er gegenüber der Tageszeitung Die Welt. Als Chef der Staatskanzlei sitzt er an einer strategischen Schalt- und Entscheidungsstelle für Landespolitik. Bei ihm läuft alles zusammen, er koordiniert die gesamte Regierungsarbeit.

In den Medien bekommt der 55-jährige Jurist für sein Durchsetzungsvermögen, seine klaren Standpunkte und kulturpolitische Kompetenz durchwegs gute Noten. Seit rund 25 Jahren trägt Grosse-Brockhoff Verantwortung in diesem Bereich. Das begann 1981, als er Leiter des Kulturamtes in Neuss wurde. Grosse-Brockhoff wurde am 2. Oktober 1949 in Bonn geboren, besuchte das Quirinus-Gymnasium in Neuss, wo er 1968 das Abitur bestand. In Bonn und Lausanne studierte er Jura und Geschichte, in Bochum Theologie und Jura. 1981 wurde er, wie erwähnt, Leiter des Kulturamtes und 1985 Stadtdirektor in Neuss. 1992 wechselte er als Kulturdezernent nach Düsseldorf und wurde 2001 auch dort Stadtdirektor. "Wenn er die Kulturpolitik auf Landesebene so erfolgreich betreibt wie in Neuss und Düsseldorf, können wir uns alle nur freuen", zitiert die Neuss-Grevenbroicher Zeitung den jetzigen Neusser Kulturverantwortlichen. Als innovativer und durchsetzungsfähiger Kulturdezernent hat Grosse-Brockhoff es in Düsseldorf geschafft, mit Ideen wie "private public partnership" den Etat für die Künste Jahr für Jahr aufzustocken. Düsseldorf hat inzwischen einen ausgeglichenen Haushalt und hat sich als Kunststadt am Rhein positioniert.

Über die Vorstellungen des neuen Kulturstaatssekretärs schreibt die Welt: "Kultur für den Elfenbeinturm wird Grosse-Brockhoff kaum fördern. Der Befürworter eines Bildungskanons will vielmehr Künstler und Musiker in die Schulen schicken." Der Kulturexperte wolle weniger neue Einrichtungen begründen, sondern die Substanz der bestehenden erhalten: "In den Archiven vermodert vieles, und auch in den Museen verkommt Kulturgut", sagte der Staatssekretär. Das, was schon da ist, solle zum Glänzen gebracht werden.

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat seinem Kanzlei-Chef die Verdopplung der Kulturförderung von derzeit lediglich 0,27 Prozent vom Gesamtetat des Landes Nordrhein-Westfalen auf 130 Millionen Euro bis 2010 versprochen. Das ist nicht einfach zu realisieren, nachdem NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) als erste Amtshandlung eine Haushaltssperre im Land verhängen musste.

Siegbert Bruss

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2005, Leitartikel)

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