24. August 2005

Im Schatten der Wetterfahne

Die längsten lückenlosen Wetterbeobachtungen in Südosteuropa wurden in Hermannstadt verzeichnet. Begonnen wurde die Messreihe 1789 vom Apotheker Peter Sigerus und von 1831 bis 1841 von Friedrich Chladny (Kladny). Wie Dr. Heinz Heltman im Lexikon der Siebenbürger Sachsen (1993) feststellt, hat Ludwig Reissenberger, der eigentliche Begründer der Meteorologie in Siebenbürgen, die Wetterbeobachtungen mehrere Jahrzehnte fortgesetzt. In der Zeit von Adolf Gottschling (ab 1878) und Luise Gottschling (1917 bis 1920) gehörte die Wetterwarte dem Siebenbürgischen Verein für Naturwissenschaften, wonach der rumänische Staat die meteorologische Apparatur übernahm. Luise Gottschling schickte bis 1947 im 10-Tages-Rhythmus Wetterdaten nach Bukarest. Danach führte Lorenz Sievert (1879-1961), Lehrer für Mathematik und Physik an der Realschule und am Gymnasium in Hermannstadt, diese Tätigkeit bis 1960 fort. Anschließend wurden die Geräte vom nahe gelegenen Flughafen übernommen.
Lorenz Sievert kam am 17. Oktober 1879 als Bauernsohn in Stolzenburg zur Welt. Er machte sich später als Realschullehrer, Familienforscher und ehrenamtlicher Leiter der Wetterbeobachtungsstelle in Hermannstadt einen Namen. Prägend für seine spätere Beschäftigung waren die Vorlesungen zu "Allgemeine Meteorologie" sowie "Wind und Wetter", die er im fünften Semester als Student der Mathematik und Physik an der Universität Berlin belegte. In der Sievertschen Biographie lesen wir: "Den Verlauf des Wetters beobachtete ich zu allen Jahreszeiten und war so kundig - für Hermannstadt war es mir möglich - für kurze Zeit dasselbe anzusagen!" Das Majalis-Fest im Jungen Wald konnte nur bei geeignetem Wetter abgehalten werden. Die alleinige Verantwortung für ein "regenloses" Fest trug ab 1920 Lorenz Sievert, Lehrkraft an der Realschule. Als anerkannter "Wetterprophet" wurde er in den Maifestausschuss kooptiert. Er schreibt: "Ich erinnere mich an einen verregneten Mai - da bestimmte ich den einzigen schönen Tag für das Fest. Sein Plazet gab der Ausschuss immer einstimmig dazu." Am Morgen des Festes war dieser Entschluss weithin sichtbar - durch die Fahne am Turm der evangelischen Stadtpfarrkirche.

Eine andere Fahne, die der Hermannstädter Wetterwarte, hing am Schornstein in der Bielzgasse Hausnummer 3 (später D. Anghel). Unten der feststehende Teil mit zwei rechtwinklig gekreuzten Stäben und einem großen "N", darüber die bewegliche Fahne und ein Viertelkreissegment mit Einteilungen und einem frei pendelnden Blechblatt - dem Windstärkemesser (Pendelanemometer). Bestimmt werden konnten also die Windrichtung und die Windstärke (12 Grade, benannt nach dem englischen Admiral Sir Francis Beaufort, 1774-1857).
Die Fahne zeigte an: Hier wird die längste Messreihe metereorologischer Daten im Südosten Europas fortgesetzt. Nachfolger von Luise Gottschling an der Hermannstädter Wetterwarte war ab 1947 Lorenz Sievert, der mit größter Gewissenhaftigkeit Niederschläge, Temperatur, Luftdruck, Bewölkungsgrad, Windrichtung und -stärke bis zum Jahr 1960 vermerkte.

Das Kleine Zimmer im rückwärtigen Teil des Hauses, in dem Sievert nach Hausbesetzung und Enteignung die ehemaligen Geräte des Siebenbürgischen Vereins für Naturwissenschaften zu Hermannstadt betreute, enthielt:

a.) gleich am Türstock angebracht ein fast ein Meter langes Instrument, schwarz gefärbt mit zwei weißen Strichteilungen (Thermometer), am unteren Ende eine zylinderförmige Trommel mit Federaufzug gleich einer Weckuhr. Durch Betätigen dieses Lüfters kühlte das eine Thermometer die Luftfeuchtigkeit entsprechend ab und, das Trockenthermometer zum Vergleich heranziehend, wurde die absolute Luftfeuchtigkeit bestimmt. Dieses Psychrometer heißt in der Fachsprache "Aßmann" nach Richard Aßmann, der das Gerät 1842 entwickelt hatte.

b.) Im Bücherschrank hinter der Glastür stand der Barograph, ein mahagonifarbenes Holzgefäß mit großer Trommel innen. Mit einem Uhrwerk wurde diese Trommel in Bewegung gehalten - bespannt mit einem aus Papier gefertigten Vordruck zum Registrieren der Luftdruckschwankungen. Das eigentliche Barometer war ein sensibles Aneroid (luftleere Metalldose) mit verlängertem Zeiger, an dessen Ende ein mit Tusche nachfüllbarer Schreiber angebracht war. In den Zeilen und Kolonnen der Vordrucke des Meteorologischen Instituts Bukarest (IMH) wurde die Messreihe akribisch aufgelistet - als Teil der meteorologischen Jahrbücher Rumäniens.

c.) Im Garten stand die weiß gestrichene Wetterhütte (englische Hütte, erfunden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts), in der sich Bodenthermometer, Minima und Maxima Thermometer befanden.

d.) Zur Bestimmung des Niederschlags war an einem Holzpflock im Garten der Regenmesser (Pluviometer) angebracht - ein Metallzylinder, der das Wasser in ein Auffanggefäß leitete. Messzylinder aus Glas und Messlatte für die Bestimmung der Höhe der Schneedecke befanden sich in der Wetterhütte.

Lorenz Sievert stellte nach jahrzehntelangen Beobachtungen und Messungen 28 Wetterregeln für Hermannstadt auf. Als Beispiel sei die Regel Nr. 8 Winter erwähnt: "Steigen der Quecksilbersäule zeigt Kälte an, fällt bei kaltem Wetter der Quecksilber 4 bis 5 Millimeter, so folgt weiches Wetter."

Rolf Speck

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 10. August 2005, Seite 5)

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