9. Oktober 2005

"Schulzeit in Siebenbürgen" - Sehenswerter Dokumentarspielfilm

"Wir waren in der Sekunda ...", erinnert sich Helga Wlassak (86) lebhaft. Es geschah im Musiksaal des Mädchenlyzeums. Als sie einmal beim Lernen in der Pause zu ihrer Klassenkameradin vom "spitzen Knochen" spricht, hört das ihr nervöser Professor mit Spitznamen "Spitz", und, habt ihr's nicht gesehen, steckt sie zwei schallende Ohrfeigen von ihm ein, dass ihr die Backen anschwellen. Die 88-jährige Gerda Henning legt gleichsam schützend ihre Hände auf beide Wangen: "Ich habe Gott sei Dank keine Prügel bekommen!" Schule in Siebenbürgen - wie war das damals? - Eine Projektgruppe von 18 Jugendlichen (zwölf Mädchen, sechs Jungen) aus Nürnberg, Fürth, München und Augsburg, angeleitet von Doris Hutter, stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft und Kulturreferentin des Landesverbandes Bayern, begab sich im vergangenen Jahr auf eine spannende Spurensuche (wie in dieser Zeitung berichtet).
Entstanden ist ein zugleich informativer und kurzweiliger Dokumentarspielfilm. Außer von Schulstrafen wissen die darin interviewten Zeitzeugen, einst Lehrer bzw. Schüler in Siebenbürgen, heute großenteils Bewohner des Altenheims Heimathaus Siebenbürgen auf Schloss Horneck in Gundelsheim, auch von erbaulicheren Erfahrungen zu berichten: Morgengebet und gemeinsames Morgenlied, Tintenfass und Schiefertafel, Rechnen und Schönschreiben mit Haar- und Grundstrich, Schülervereinigung "Coetus", "Wandervogel" und allerlei Freizeitspiele.

Filmaufnahme aus ‚Schulzeit aus Siebenbürgen. Ausgewählte Erinnerungen': nachgespielte Szene auf historischen Schulbänken, wie sie auch in der ab 11. Oktober im Schulmuseum Nürnberg (im Museum Industriekultur, Äußere Sulzbacher Straße 62) laufenden Ausstellung ‚Die Schulen der Siebenbürger Sachsen' zu sehen sind.
Filmaufnahme aus ‚Schulzeit aus Siebenbürgen. Ausgewählte Erinnerungen': nachgespielte Szene auf historischen Schulbänken, wie sie auch in der ab 11. Oktober im Schulmuseum Nürnberg (im Museum Industriekultur, Äußere Sulzbacher Straße 62) laufenden Ausstellung ‚Die Schulen der Siebenbürger Sachsen' zu sehen sind.


Anno 1660 gab es 238 sächsische Pfarrer und 224 Schulrektoren, das heißt, fast jede Pfarrei hatte eine Schule. Die Impulse zur Neugestaltung des Schulwesens gingen von der Reformation aus. Die Schüler sollten zunächst in deutscher Sprache Lesen und Schreiben lernen, um danach den Latein- und Griechischunterricht zu beginnen. Die siebenbürgische Schulgeschichte von den Anfängen des Schulwesens über Reformation und Humanismus, die Zeit des Nationalsozialismus, Krieg und Deportation, bis hin zum Sozialismus: Diesen weiten historischen Bogen spannt der 70-minütige Film Schulzeit in Siebenbürgen. Ausgewählte Erinnerungen (Drehbuch und Regie: Doris Hutter). In acht Kapiteln wird hier siebenbürgische Schulgeschichte bzw. erlebte Schulzeit anschaulich aufbereitet, vielmehr in besonders lebendiger Weise in Szene gesetzt. Elemente des faktenbewehrten Vortrags wechseln mit Zeitzeugenberichten (teilweise in Mundart) und heiteren Spielszenen der Jugendlichen, die auch die Interviews geführt haben. Als Fachberater betrauten der Historiker Dr. Michael Kroner, Dr. Irmgard Sedler (Schulmuseum Kornwestheim) und der Dokumentarfilmer Günter Czernetzky (Koordination, Videoaufnahmen) das Projekt, für Schnitt und Gestaltung zeichnete Peter Pastior verantwortlich. Das Projekt wurde gefördert vom Bayerischen Sozialministerium über das Haus des Deutschen Ostens.

In Chemie, erzählt Dorothea Oczko (81) ihren jungen Interviewern, handelt Prediger Hann gerade die Entstehung der Zündhölzer ab, dass sie früher "Wart a bissel" genannt wurden, da sie länger brauchten, bis sie sich entzündeten. Die "ungehörige" Schülerin schwatzt leider in diesem Moment und muss so dem Lehrer auf dessen Frage hin die Erklärung schuldig bleiben. Als er "Wart a bissel!" plärrt, wartet sie brav. Prompt landet eine Backpfeife im Ziel. Dieser Ohrfeige, meint die Zeitzeugin, verdanke sie, dass ihr dieses Wissen noch heute präsent sei.

Der Dokumentarfilm Schulzeit in Siebenbürgen. Ausgewählte Erinnerungen kann - ohne allzu große Wartezeit - gegen eine Gebühr von 10 Euro (inklusive Verpackung und Versand) bestellt werden beim Landesverband Bayern der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Karlstraße 100, 80 335 München, Telefon: (0 89) 2 36 60 90, Fax: (0 89) 23 66 09 15, E-Mail. Eine Kurzversion dieses Films (Schulzeit in Siebenbürgen, Streiflichter) wird ab dem 11. Oktober 2005 im Rahmen der Ausstellung "Schule in Siebenbürgen" im Schulmuseum Nürnberg präsentiert.

Christian Schoger


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