23. Oktober 2005

Sinnlich-sensible Innsbrucker Inszenierung

Jung, leidenschaftlich, unglücklich verheiratet: Yerma verzehrt sich Tag und Nacht nach einem Kind, träumt, tanzt, singt und betet, hofft gewaltig und hasst gewalttätig. Das Landestheater Tirol eröffnete die neue Spielzeit mit der in Madrid 1934 uraufgeführten Tragödie "Yerma" des andalusischen Dichters Federico García Lorca (1898-1936). Regie führt der gebürtige Kronstädter Ioan C. Toma, der für seine Inszenierung in Innsbruck eine behutsam gestraffte Textfassung des in sechs Bilder gegliederten Dreiakters erarbeitet hat.
Besonders in konservativen, katholischen Kreisen wurde Lorcas Stück seinerzeit - Franco ante portas - skandalisiert, weil der Dichter darin die Legitimität vermeintlich unverbrüchlicher Werte und Konventionen, wie Ehe und Familie, die untergeordnete Rolle der Frau, Ehrbegriff und Sexualmoral gesellschaftskritisch reflektierte. Die soziokulturellen Verhältnisse in Spanien Anfang der dreißiger Jahre sind heute Geschichte. Büßt damit das Theaterstück all seine Brisanz ein? - In Innsbruck rückt die sensible Figurenzeichnung in den Vordergrund. Fantasie und Raffinesse zeichnen die eingesetzten künstlerischen und technischen Gestaltungsmittel aus. Dem Ensemble gelingt ein packendes Kammerspiel - ohne Vorhang und ohne Pause.

Yerma: im Hintergrund Gitarrist Dietmar Rumpold, vorne Helmuth A. Häusler (Juan) und Judith Keller (Yerma). Foto: Rupert Larl.
Yerma: im Hintergrund Gitarrist Dietmar Rumpold, vorne Helmuth A. Häusler (Juan) und Judith Keller (Yerma). Foto: Rupert Larl

Äußere und innere Handlung ergänzen einander komplementär in diesem Psychodrama. Toma setzt zwar Akzente, bündelt Motive, aber im Bemühen um Werktreue, ohne Lorcas Stück zu verfremden. Das junge Ehepaar Juan und Yerma lebt auf dem Land, in einer bäuerlich geprägten Dorfgemeinschaft. Juan (Helmuth A. Häusler), ein trockener, zugeknöpfter Gewinnmaximierer, arbeitet hart auf den Feldern. Seine Frau Yerma (von der ausdrucksstarken Judith Keller facettenreich dargestellt) bleibt indes allein im Haus zurück, allein mit ihrer unerfüllten Sehnsucht nach einem Kind, sind doch die Altersgenossinnen längst Mütter geworden. Vom Leidensdruck, ihrem Hunger nach Zärtlichkeit und Fruchtbarkeit angetrieben, geht sie beharrlich ihren Weg, sucht, nach unergiebigen Gesprächen mit Juan, vergebens Rat bei der lebenserfahrenen Alten (Julia Gschnitzer, hinreißend vital). Die Wäscherinnen tratschen bereits über die Kinderlosen. Der von Eifersucht erfasste Ehemann - hat Yerma womöglich etwas mit dem Hirten Victor (Johannes Nikolussi), der ihr freundschaftlich verbunden ist? - holt seine beiden Schwestern (Daniela Indirizzi, Martine Reyn) ins Haus, die seine Frau kontrollieren sollen. Die Verzweifelte sucht gar die Geisterbeschwörerin Dolores (Eleonore Bürcher) auf. Zuletzt, als Juan ihr ins Gesicht sagt, keinen Nachwuchs zu wollen, erdrosselt Yerma den letzten Rest Hoffnung auf ein Kind.

"Es gibt Dinge, die hinter den Wänden eingesperrt sind und die sich nicht ändern können, weil niemand sie hört.", bemerkt die Protagonistin (im zweiten Akt) gegenüber Victor. Das Bühnenbild entwirft den Wohnraum von Juan und Yerma so: im Zentrum ein niedriger Hausaltar, umgeben von einem lose gefügten Triptychon hoher Spiegel sowie von (Lein)Wänden, die analog zur dramatischen Handlung in rotes, blaues, gelbes oder grünes Licht getaucht sind oder auch als Projektionsfläche dienen für live erzeugte Videobilder, Nahaufnahmen. Die halbdurchlässigen Spiegel machen Yermas Träume und Illusionen - die von Toma herausgearbeitete innere Handlung - auf magische Weise sichtbar. Das ungeborene Kind (Julian Rohrmoser) erscheint geisterhaft.

Bühne und Lichtdesign (Erich Uibelacker) verstärken die sinnlich-suggestive Wirkung der Inszenierung. So auch die musikalischen und choreografischen Elemente. Lorca liebte den Flamenco, den Cante jondo, der sein literarisches Oeuvre durchwirkt. Taktvoll begleitet und rhythmisiert Dietmar Rumpold mit seiner Flamenco-Gitarre die in die szenische Handlung eingewobenen Lieder und Tänze, zieht sich in dem Moment von der Bühne zurück, als der Musik kein Resonanzraum mehr bleibt in Yermas Seele. Dass Juans Schwestern Masken tragen und stumm sind, ihre Unerbittlichkeit jedoch umso deutlicher bloßlegen in zackigen Tanzbewegungen, ist ein glänzender Regieeinfall. Dagegen missrät der orgiastische Tanz des Teufels und seiner Frau zum Stilbruch. Hier weicht die Regie von Lorcas Vorgabe ("keineswegs grotesk, von erhabener Schönheit") ab und inszeniert eine bizarre Farce. Eigentümlich, doch schlüssig wirkt die bisweilen künstliche Sprechweise der Darsteller. Wie könnten sie ganz bei sich sein angesichts der sie - ob bewusst, un- oder unterbewusst - hemmenden starren Gesellschaftsnormen. Die Kostüme der Schäßburgerin Bonnie Tillemann folgen konsequent dem farbsymbolischen Zuschnitt der Inszenierung.

Am Ende sind Yermas Selbstentfaltungsversuche gescheitert, ihre Illusionen zerstört, Hoffnung ist Hass gewichen. Blind sind die Spiegel, verrauscht die Flamenco-Klänge, ausgehaucht die ehedem schillernden Farben. Existenzielle Nacht. In ihr verschwand am 18. August 1936 Federico García Lorca selbst, zwei Jahre nach der Uraufführung, erschossen von Franco-Schergen. Doch sein Werk atmet noch, wie in der Neuinszenierung von Ioan C. Toma am Tiroler Landestheater in Innsbruck (Rennweg 2). Letzte Aufführungen am 12., 19., 25., 26. November sowie am 2. Dezember, jeweils um 20.00 Uhr.

Christian Schoger

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2005, Seite 5)

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