11. November 2005

Kirchentag in Schwabach: "Wer aufbricht, der kann hoffen"

Dekan Hermann Schuller bezeichnete es in seiner Eröffnungsansprache als verwunderlich, "dass erst der 29. Kirchentag uns (Die Redaktion: Hilfskomitee und Landsmannschaft) in dieser Weise versammelt. Es ist spät, das erste Mal, es sollte nicht das letzte Mal sein." Vorträge, Podiumsdiskussion, Festgottesdienst, Orgelkonzert, Bilderausstellung im Foyer (von Friedrich Eberle aquarellierte Kirchenburgen) und Kulturprogramm - das eineinhalbtägige Programm dieses Kirchentages bot eine vielfältige Mischung. Entsprechend gut gefüllt war der Markgrafensaal, besonders am Sonntag.
In gemeinsamer Moderation hießen Dekan i.R. Hermann Schuller und Bundesvorsitzender Volker Dürr die Veranstaltungsgäste im Markgrafensaal herzlich willkommen zum Siebenbürgischen Kirchentag in Schwabach. Unter den Ehrengästen wurden u.a. begrüßt: Hartwig Reimann, Oberbürgermeister von Schwabach, Dekan Hans Stieger, die Nürnberger Stadträtin Helmine Buchsbaum, Pfarrer Hans Max Kraus, Dr. Paul Jürgen Porr, Dechant Klaus Daniel, Ehrenvorsitzender Pfarrer i.R. Kurt Franchy, Dozent Dr. Stefan Cosoroaba und HOG-Vorsitzender Michael Konnerth.

Engagiert geführte Podiumsdiskussion, von links nach rechts: Karin Servatius-Speck, Dr. Stefan Cosoroaba, Dipl.-Ing. Volker Dürr, Dekan i.R. Hermann Schuller, Stadträtin Hermine Buchsbaum und Pfarrer Norbert Kirr. Foto: Christian Schoger
Engagiert geführte Podiumsdiskussion, von links nach rechts: Karin Servatius-Speck, Dr. Stefan Cosoroaba, Dipl.-Ing. Volker Dürr, Dekan i.R. Hermann Schuller, Stadträtin Hermine Buchsbaum und Pfarrer Norbert Kirr. Foto: Christian Schoger

Der gewählten Losung "Wer aufbricht, der kann hoffen" (aus dem Evangelischen Gesangsbuch 395, "Vertraut den neuen Wegen" von P. K. Hertsch) maß Hermann Schuller "befreiende Weite" und "besondere integrative Kraft" bei. "Im Rahmen unserer Vereins- und Gemeinschaftsarbeit in den zurückliegenden Jahrzehnten stand die Integration in Kirche und Gesellschaft an vorderster Stelle." Gerade im "Jahr der Erinnerungen 2005" wolle man - frei von Rückwärtsgewandtheit, Eigenbrötelei und folkloristischem Selbstdarstellungsbedürfnis - "nach vorne weisen und das diesmal zusammen mit der Landsmannschaft". Schuller fand es "einfach beeindruckend, mit welcher Hingabe die hiesige Kreisgruppe sich für die Gestaltung dieser Tage eingebracht hat." Es gelte nun - eingedenk traditioneller sächsischer Toleranz und ökumenischer Bestrebungen - Räume zu schaffen, um ins Gespräch zu kommen, miteinander zu feiern, zu singen, zu beten und in einer mehr und mehr individualisierten Welt Wege "in die geglaubte Gemeinschaft der Christen" aufzuzeigen.

Mit dieser engen Kooperation zwischen Hilfskomitee und Landsmannschaft, so Volker Dürr in seiner Ansprache, "wollen wir ein besonderes Zeichen des über Jahrhunderte hinweg gepflegten siebenbürgischen Lebens setzen, wonach wir Siebenbürger Sachsen Geistliches und Weltliches nie getrennt haben." Vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen sei es an der Zeit zu erkennen, "welche Aufgaben unsere schwesterlich verbundenen Organisationen und Einrichtungen wahrzunehmen haben, um zukunftsfähig zu bleiben." Das gewählte Motto des Kirchentages sei vielsagend. Aufbrechen meine nicht nur, einen geografischen Ort zu verlassen, vielmehr auch "Strukturen aufzubrechen, festgefahrene Gleise zu verändern, Vorurteile zurückzulassen und neue Perspektiven zu gewinnen".

Hartwig Reimann, Oberbürgermeister der gastgebenden Stadt Schwabach, nannte es "eine Ehre und eine Freude, dass Sie den Kirchentag nach Schwabach gelegt haben. Dies ist für unsere kleine Stadt eine Auszeichnung." Weitere Grußworte sprachen Dekan Hans Stieger (Dekanatsbezirk Schwabach) und der in Schwabach wirkende Pfarrer Hans Max Kraus.

Neue Zeit birgt neue Chancen

Substanz für die anschließende Podiumsdiskussion generierten zwei Referate: "Unsere Aufbrüche und Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten", einmal aus kirchlicher Sicht (Referent: Stefan Cosoroaba, Hermannstadt), dann aus sozialpolitischer Sicht (Referent: Volker Dürr). Auf der Frage nach den Umbrüchen und neuen Wegen in Siebenbürgen führte Cosoroaba die Zuhörerschaft in ein dreistöckiges Bauwerk aus Gefühl, Vernunft und einer Plattform des Kompromisses. Als "Gefühlsmensch" gefragt, müsse er feststellen: "In Siebenbürgen ist alles anders geworden!" Die große Auswanderungswelle habe Gemeinden "weggespült". Die verbliebenen Landsleute, "eine Handvoll Menschen", seien "in tausenderlei Aktivitäten eingespannt": Seelsorge und Altenpflege, Wirtschaft und Lokalpolitik etc. Als "Verstandesmensch" gefragt, lautete seine Antwort: "Es gibt nichts Neues in Siebenbürgen!" Denn alles, was jetzt als neu empfunden werde, sei schon früher einmal da gewesen, wie der Religionsunterricht in der Schule, so die Sozialeinrichtungen und Vereine. Selbst das Sterben siebenbürgisch-sächsischer Gemeinden sei - wenn auch nicht in diesem drastischen Ausmaß - keine neue Entwicklung. Die Geschichte sei gebrochen. Die Entwicklungen in Siebenbürgen nach 1989 mit Individualisierung, den Chancen der Mobilität und Informationstechnologie, so das Fazit von Stefan Cosoroaba, "bringen nur Wiedergewinnung des normalen Wirkungskreises unserer Gemeinschaft in Wirtschaft, Politik, Kultur, Sozialarbeit, Medien, Erziehung und ... auch Geographie."

Volker Dürr erinnerte in seinem Referat daran, dass die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland 1949 von dem zwei Jahre zuvor im Rahmen der Evangelischen Kirche gegründeten Hilfskomitee "aus der Taufe gehoben wurde" und es sich also um eine "Schicksalsgemeinschaft" beider Organisationen handle. Über ein halbes Jahrhundert sei man "getrennte Wege mit gemeinsamen Sorgen, mit Höhen und Tiefen erfolgreich gegangen". Dürr skizzierte diese Gemeinschaftsleistung in sechs Jahrzehnten aus Sicht der Landsmannschaft. Die Integration der Neubürger in Deutschland, Anerkennung und Vernetzung mit den Interessen der Bürgerschaft vor Ort sei dank der Leistungsbereitschaft der Verbandsmitglieder gelungen. Ebenso konnten die finanziellen Grundlagen für die Gliederungen des Verbandes, die Siebenbürgische Zeitung und das Sozialwerk gesichert werden. Handlungsfähige Strukturen in den Kreis- und Landesgruppen seien in den letzten Jahren unter Berücksichtigung der Gemeinnützigkeitsregelungen geschaffen worden. So hätten die Siebenbürger Sachsen auch in ihrer neuen Heimat ein Zeichen des Gemeinsinns gesetzt. Bedingt durch die rechtlichen und politischen Änderungen nach dem Umbruch in Rumänien leiste die Landsmannschaft Spätaussiedlern Beistand bei Zuzug, Anerkennung und Integration. Zu den Aufbrüchen aus sozialpolitischer Sicht zähle vor allem auch das Durchsetzen sozialer Ansprüche (wie die Initiative gegen die 40-prozentige Fremdrentenkürzung). Weitere in die Zukunft gerichtete Kernfelder der Verbandsarbeit sei die Förderung der siebenbürgisch-sächsischen Jugend, gleichermaßen der Seniorenbetreuung sowie des Sozialwerks. "Das zweite große Anliegen unseres Verbandes", so Dürr, "ist die Sicherung und Weiterentwicklung unseres siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes." Neben den Kultureinrichtungen in Gundelsheim werde die kulturelle Breitenarbeit, obschon von öffentlicher Seite kaum noch gefördert, nichtsdestotrotz fortgeführt gemäß der gemeinsamen Aufgabe der sozialen und kulturellen Integration bei Erhalt der eigenen Identität.

"Es ist Zeit, nach Gott zu fragen"

An der inhaltlich anknüpfenden, von Hermann Schuller und Volker Dürr geleiteten Podiumsdiskussion unter dem Motto "Es ist Zeit, nach Gott zu fragen" (Zitat von Kardinal Karl Lehmann) nahmen außer den beiden Referenten teil: Stadträtin Helmine Buchsbaum, Pfarrer Norbert Kirr (Vorstandsmitglied im Hilfskomitee), Dekan Schuller und Karin Servatius-Speck, die einführend Gesprächsimpulse gab und dabei die traditionell gewachsene, besondere Rolle der Kirche gerade in unserer von Individuation und dem Einfluss der Massenmedien geprägten Gegenwartsgesellschaft hervorhob. Kirr sprach von einer "langen Geschichte der schweren Erfahrungen", auf die die Siebenbürger Sachsen zurückblickten. Die Gottesfrage stelle sich jedoch nicht nur in Grenzsituationen, sondern erfülle auch die Funktion einer Selbstvergewisserung des eigenen Ursprungs, um neuen Mut zu fassen und weiter zu geben. Es sei Zeit, Gott wieder zu finden, meinte die Banaterin Buchsbaum, denn "unsere Wurzeln finden wir im Glauben". Auch in Deutschland sei Gott unsere Heimat. Den Statements des Podiums folgten Wortmeldungen aus dem Publikum. So betonte Pfarrer i.R. Kurt Franchy, vor allem auch in der Politik sei es Zeit, die christlichen Fundamente in Europa wieder zu entdecken. Horst Göbbel warf die Frage auf, ob es für uns Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben im "Betrugssystems" der kommunistischen Zeit einfacher gewesen sei als heute, nach Gott zu fragen. Hierauf erwiderte Hermann Schuller, dass der Glaube zu jener Zeit nicht unbedingt eine höhere Intensität besessen habe. Servatius-Speck ergänzte, dass damals in einer Gemeinschaft, die christlich getragen war, der praktizierte Glaube wesentliches Element im Überlebenskampf gewesen sei. Wieland Graef betonte die positive Signalwirkung dieser gemeinschaftlichen Veranstaltungen von Landsmannschaft und Hilfskomitee und appellierte an die anwesenden Funktionsträger, bei Veranstaltungen konsequent den Glauben zu praktizieren durch Andacht, Gottesdienst oder Kirchenkonzert. Die engagiert geführte Diskussion berührte noch viele weitere Aspekte der Frage nach Gott, unter Einbeziehung von Begriffen wie Schuld, Sünde und Versöhnung. Der Samstagabend klang aus mit einem Orgelkonzert von Eckart Schlandt (Kronstadt) in der evangelischen Stadtkirche aus (mit Psalmlesung: Pfarrer i.R. Wieland Graef; Abendgebet: Pfarrer Hans Schneider).

Einem Platzkonzert der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg (Dirigent: Hans Welther) folgte der feierliche Festgottesdienst in der Stadtkirche. Die Predigt hielt Pfarrer i.R. Dr. Karl Heinz Neukamm (Präsident i.R. des Diakonischen Werks der EKD), für die Liturgie zeichnete Pfarrer Hans-Gerhard Gross verantwortlich, für die musikalische Gestaltung Eckart Schlandt (Orgel) sowie der Siebenbürger Chor Fürth (Dirigent: Reinhold Schneider).

Mit zwei Berichten zur aktuellen Situation in Siebenbürgen ging das Programm des Kirchentages seinem Ende entgegen. Dechant Klaus Daniel (Kirchenbezirk Kronstadt) schickte voraus, es sei besser an den Stärken zu arbeiten als die Schwächen zu stärken. In diesem Sinne wolle er nicht lamentieren über die knapp 15 000 Mitglieder der Ev. Kirche in Siebenbürgen. Hingegen bezeichnete er es als "unsere Hauptaufgabe, an unseren Stärken, wie Kommunikationsstärke, Verantwortungsbewusstsein und Gemeinsinn, zu arbeiten. Beziehungen könnten nicht durch Resolutionen von oben festgelegt werden, sondern sie lebten durch und in den Menschen. Die uns zusammenziehende Kohäsionskraft rühre allerdings von unserem Glauben, unserer Kirche her. In vielen der 184 Gemeinden in Siebenbürgen gebe es nur mehr eine Handvoll Menschen, die auf Hilfe und Zuwendung warten würden. Deren Schwächen, besonders die Vereinsamung, werde er nicht stärken. Ihre Hoffnung müsse im Zeichen des Aufbruchs wachsen. Zuwendung beziehe man auch über kulturelle Einrichtungen wie das Friedrich-Teutsch-Haus in Hermannstadt, Begegnungsstätten in Mediasch oder Kronstadt. Das Diakonische Werk transportiere, so Daniel, als ein europäisches Netzwerk ein neues soziales Denken über Ländergrenzen hinweg.

Über aktuelle innenpolitische Entwicklungen in Rumänien, respektive Siebenbürgen referierte Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen. Trotz bestehender Spannungen zwischen den Regierungsparteien Rumäniens, den Demokraten und Liberalen, wirke das Ziel des EU-Beitritts für das Jahr 2007 disziplinierend. Porr attestierte Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption und der Verwaltungsreform. Gleiches gelte für die Rückgabe von Privat-, Gemeinschafts- und Kircheneigentum, insofern als nun der Nachweis des Eigentums durch Dokumente ausreiche, die rumänische Staatsbürgerschaft nicht mehr vorausgesetzt werde. Porr bot Betroffenen, die keinen Anwalt hätten, an, sich über die Landsmannschaft ans Forum zu wenden. Rumänien leide unter den Folgen verheerender Naturkatastrophen (sechs Überschwemmungen zwischen Mai und September), die bisher 300 Millionen Euro aus Haushaltsmitteln verschlungen hätten. Der Tourismus habe einen Einbruch erlitten. Nach dem neuesten Länderbericht der EU-Kommission für Rumänien äußerte sich Porr optimistisch, dass der EU-Beitritt wie vorgesehen 2007 erfolgen werde. Der politische Einfluss des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen habe seit den Gemeindewahlen 2004 zugenommen. Das gelte im Besonderen für Hermannstadt, aber auch für Mediasch und Heltau, wo in den Stadt- und Gemeinderäten starke deutsche Fraktionen, dem Vertrauen der Mehrheitsbevölkerung verpflichtet, vertreten seien. Dass Hermannstadt 2007 mit Luxemburg Europäische Kulturhauptstadt sein wird, bewertete der Referent als große Herausforderung und Chance. Den detailreichen Informationen folgten schwungvolle Darbietungen der jeweils von Brigitte Krempels geleiteten Kindertanzgruppe und der Volkstanzgruppe Herzogenaurach.

In ihre gemeinsame Danksagung schlossen Schuller und Dürr in Anerkennung der exzellenten Ausrichtung des Kirchentages die Kreisgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen unter ihrer Vorsitzenden Inge Alzner ein, mit Kulturreferent Michael Orend, der Schwabacher Nachbarmutter Roswitha Kepp und Bühnendekorator Hans Folea-Stamp. Ebenso gedankt wurde allen Akteuren des Rahmenprogramms. Die Kreisgruppenvorsitzende Inge Alzner sprach dem Siebenbürger Chor Fürth (Leitung: Reinhold Schneider), der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg (Leitung: Hans Welther) sowie der Kinder- und Volkstanzgruppe Herzogenaurach (Leitung: Brigitte Krempels) ihren Dank aus. Den Nachmittag beschloss ein kurzweiliges Kulturprogramm (siehe Bericht in der heutigen Siebenbürgischen Zeitung Online).

Christian Schoger

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2005, Seite 1 und 3)

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