30. November 2005

Gesamtsiebenbürgische Schau über Land und Leute

Für heutige Leser empfehlenswert und als Weihnachtsgeschenk geeignet findet der Historiker Dr. Michael Kroner einen reich illustrierten Nachdruck aus dem Jahr 1902, den er im Folgenden rezensiert: Siebenbürgen in Wort und Bild. Vollständiger Nachdruck von "Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild", Band 23 (Ungarn, Band VI). Mit einer Einleitung von Krista Zach. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2004, 631 Seiten, Preis 54,90 Euro, ISBN 3-412-15303-6.
Wer einem an Siebenbürgen landeskundlich Interessierten zu Weihnachten ein passendes Buch schenken möchte, dem sei der Band zu empfehlen, der hier kurz vorgestellt wird. Es handelt sich um einen unveränderten Nachdruck aus dem Jahre 1902, der als Band 23 der von Kronprinz Rudolf angeregten Monumentalpublikation "Die österreichisch-ungarische Monarchie", erschienen in 24 Bänden, alle Länder, Provinzen und Völker der k. und k. Monarchie präsentierte. Durch das Werk sollte ein allumfassender Überblick über die Doppelmonarchie geboten, die Zusammengehörigkeit von dessen Völkern demonstriert und dadurch ihre Anhänglichkeit und Loyalität gegenüber dem gemeinsamen Vaterland gefördert werden.

Der Ländername "Siebenbürgen" schließt in diesem Band nicht nur den innerkarpatischen Raum, also das historische Siebenbürgen, ein, sondern auch die gebirgigen Teile der Komitate Arad, Temesch und Krassó-Szörény.

Schloss Hunyad (Hunedoara)
Schloss Hunyad (Hunedoara)

In dem Band kommt die Idee von der ungarischen Staatsnation zum Tragen, nach der auch die nichtmagyarischen Völkerschaften dazu gehörten. So heißt es im einleitenden Kapitel: "Die Bevölkerung der siebenbürgischen Teile hat ethnographisch keinen einheitlichen Charakter, allein die vereinte Kraft der gemeinsamen historischen Vergangenheit, der staatlichen Einrichtungen und der Zivilisation halten diese Stämme, so sehr auch jeder seine Individualität wahrt, fest zusammen und vereinigen sie als Mitglieder der politischen ungarischen Nation." Nach dieser magyaro-zentristischen Sicht bildete Siebenbürgen schon immer einen und dazu noch den wichtigsten Teil, eine Bastion Ungarns im eigentlichen und übertragenen Sinn des Wortes. "Kurz dieses Gebiet ist mit dem Mutterlande (Ungarn) zu völliger geographischer Einheit verbunden, was, im Verein mit der ethnographischen Gruppierung auch seine politische Einheit mit Ungarn verbürgte. Diesen beiden Umständen ist es zuzuschreiben, dass dieses Land sich unter dem Namen Siebenbürgen (Erdély) nur vorübergehend vom ungarischen Staate trennen konnte, und dass dieser Name nun, seiner politischen Bedeutung verlustig, ein rein geographischer Begriff geworden ist." Nebenbei sei vermerkt, dass im Gegensatz zur ungarischen Auffassung in rumänischen Darstellungen das heutige Gebiet Rumäniens, als Erbe des antiken Daziens, ebenfalls von alters her als geographische und historische Einheit des Rumänentums betrachtet wird.

Obwohl am Anfang des 20. Jahrhunderts die Magyarisierung auf Hochtouren lief, bietet abweichend davon der vorliegende Band, abgesehen von den deklarierten Absichten, eine von ungarischen Nationalismus wenig belastete, gesamtsiebenbürgische Schau über Land und Leute, wie man sie kaum in einem anderen Werk antrifft. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass nicht alle Autoren sich der ungarischen Sicht verpflichtet fühlten, so etwa Adolf Schullerus, Friedrich Jekel und Traugott Teutsch, die die Kapitel über das Hermannstädter und Kronstädter Komitat bzw. die Siebenbürger Sachsen verfasst haben.

Während landeskundliche Veröffentlichungen über Siebenbürgen bis in unserer Zeit meist einseitig aus ungarischer, rumänischer oder deutscher Sicht Land und Leute darstellen, so versucht der hier empfohlene Band die Vielvölkerlandschaft nicht zu verdecken, sondern betont sie geradezu, und das angefangen von dem Leben in den Dörfern, Städten, den Komitaten bis hin zu Gesamtsiebenbürgen. Die historischen Bewertungen sind zum Teil vom Forschungsstand zwar vielfach überholt oder widerlegt, nichtsdestotrotz bietet der Band vor allem eine liebevoll geschriebene Bestandsaufnahme vom Anfang des 20. Jahrhunderts.

Der Stoff ist wie folgt gegliedert: Allgemeine Übersichten über die geographische Beschaffenheit, Geschichte, Wirtschaft und historischen Denkmäler. Nach dieser Gliederung wird auch jedes Komitat beschrieben, wobei viele Ortschaften mit ihren ethnischen, wirtschaftlichen und kulturhistorischen Besonderheiten hervorgehoben werden. In diese Bestandsaufnahme sind die Abhandlungen über die in Siebenbürgen lebenden Ethnien eingebaut - über die Ungarn, Szekler, Rumänen, Sachsen Zigeuner, Armenier, Csángos und Bulgaren. Es werden dabei außer Daten über Herkunft und historische Entwicklungen jeder Volksgruppe Informationen über ihre Sprache, Religion, Beschäftigung, Wirtschaftsleben, Kulturstand, Sitten und Gebräuche, Volkstracht, Haus und Hof u.a. geboten.

Die Banater Berglanddeutschen und Schwaben werden zwar als deutsche Bewohner verschiedener Ortschaften erwähnt, jedoch nicht als eigene Volksgruppe präsentiert. Erwähnt werden ferner in einigen Ortschaften Juden und Slowaken.

Ohne eine einseitige Betrachtung anzustreben, weisen wir dennoch den speziellen Leserkreis der Siebenbürgischen Zeitung darauf hin, dass in dem Band die Siebenbürger Sachsen, ihrer Bedeutung entsprechend, angemessen gewürdigt wurden. Im ersten Kapitel heißt es: "Der dritte der drei politischen Nationen Siebenbürgens sind die Sachsen. Unter dem Schutz des ungarischen Staates und ihrer Privilegien entwickelten sie ein bürgerliches Leben. In ihren Städten brachten sie das Gewerbe zu hoher Blüte, das Volk der Dörfer war aber jederzeit stark im Ackerbau. Die Sachsen waren das wohlhabendste Element in Siebenbürgen. Die Einheitlichkeit verdanken sie ihrer politischen und kirchlichen Organisation und ihrer deutschen Kultur, denn nach Sitten, Mundart, ja bis zu gewissem Grade auch nach der äußeren Erscheinung gibt es unter ihnen mancherlei Verschiedenheiten. Die Sachsen machen insgesamt 200 000 aus und wohnen meist, mit Rumänen vermischt, in etwa 241 Gemeinden. Alle sind evangelisch. Ihr Volksschulunterricht ist sehr fortgeschritten. In ihren Schulen wird der Unterricht in der deutschen Schriftsprache erteilt. Sie besitzen mehrere deutschsprachige Mittelschulen, Lehrerbildungsanstalten, blühende Gewerbe- und Ackerbauschulen. Das Vereinsleben ist in allen Städten und Gemeinden sehr entwickelt. Sie sind sparsam, gute Landwirte und gute Gewerbsleute. Dabei sind sie etwas verschlossener Natur und vermehren sich auffallend langsam." Die Sachsen erfreuten sich somit eines guten Rufes.

Eine besondere Aufmerksamkeit gewährt der Band sodann den sächsischen historischen und Kulturdenkmälern, vor allem der Kirchenbaukunst, den "Verteidigungskirchen", "Kirchenkastellen", den städtischen Wehranlagen und Stadtpfarrkirchen. Außer dem speziellen Kapitel über die Sachsen bieten weitere Informationen über sie die Darstellungen über das Hermannstädter, Kronstädter, Großkokler, Kleinkokler und Bistritz-Nassoder Komitat, wobei die Städte Hermannstadt und Kronstadt eingehend vorgestellt werden.

Einen besonderen Wert haben die rund 230 Illustrationen des Werkes, besonders die Zeichnungen von Baudenkmälern, Stadt- und Dorfansichten, typischen Häusern, Menschen in der Volkstracht, da sie Zustände vom Anfang des 20. Jahrhunderts festhalten.

Obwohl aufgrund des Ortsnamengesetzes von 1897 in Veröffentlichungen nur die ungarischen Ortsnamen zugelassen waren, werden im vorliegenden Band durchwegs die deutschen Gemeinde- und Städtenamen und bloß in Klammern die ungarischen Bezeichnungen genannt. Diese Umgehung des Gesetzes dürfte dem Umstand zu verdanken sein, dass das Werk in Wien erschienen ist und die allgemeinen Richtlinien der Publikation befolgte.

Michael Kroner

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2005, Seite 8)

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