7. Dezember 2005

Landler-Begräbnis in der „Krone“

Die Kronen Zeitung ist die auflagenstärkste österreichische Boulevard-Tageszeitung mit einer täglichen Durchschnittsauflage von rund einer Million. Umso bemerkenswerter ist die Veröffentlichung einer doppelseitigen, bebilderten Kulturreportage von Roland Girtler in der Rubrik „Streifzüge“ (Ausgabe vom 30. Oktober 2005, Seite 54 f.). Der Autor, Univ. Prof. Dr. Roland Girtler, ist am Institut für Soziologie der Universität Wien tätig und Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.
Seit eineinhalb Jahrzehnten reist der Kulturwissenschaftler mit einer Hand voll Studenten in das bei Hermannstadt gelegene Dorf Großpold. Zuletzt hielt er sich im Juni diesen Jahres „in dieser herrlichen Gegend im Karpatenbogen Rumäniens auf“, schreibt Girtler einleitend. Im Fokus seines wissenschaftlichen Interesses stehen die Landler: „Sie sprechen noch ihren alten österreichischen Dialekt und pflegen bis heute ihre alte Bauernkultur, wie sie bei uns noch in den fünfziger Jahren bestanden hat.“ Unter dem Titel „Ein Begräbnis in Siebenbürgen“ schildert der Hochschullehrer die Bestattung eines Landlers, des Bauern Sam Roth, die er in Großpold als Augenzeuge und tatkräftiger Helfer erlebt hat. Denn in Ermangelung junger Leute sprangen Girtler und zwei seiner Studenten ein, indem sie „unter der Anleitung und Mitarbeit von Andreas Sonnleitner, einem Landler um die 64 Jahre alt“, das Grab auf dem „Freidhof, wie man hier den Friedhof nennt“, aushoben. Nach verrichteter Arbeit werden die „Grabmacher nach alter Tradition zu einer heißen Suppe und einem Schluck Wein in die Friedhofshütte gebeten“.

Nachmittags begeben sich die österreichischen Gäste in die gute Stube des Bauernhauses der Familie Roth, wo der Tote den dritten Tag im Sarg aufgebahrt ist („auch bei uns war es früher so“). Um den Sarg versammelt sitzen die Angehörigen, hinter denen, so Girtler, sie, die Sargträger, Platz nehmen. Einer althergebrachten Tradition folgend, wendet sich „der Kirchenvater“ an die Trauergemeinschaft: „Grüss enk Gott, wir holen jetzt unsern liaben Bruder Sam zum Freidhof.“. Im Hof warten indes der Pfarrer und die Sänger, um nach einem Gebet und mit Gesang zum Gottesacker zu ziehen. Die Sargträger lassen den Sarg an Seilen ins Grab hinab. Der Pfarrer wünscht eine „fröhliche Wiederauferstehung“. Anschließend wird im Haus der Familie Roth das Tränenbrot gereicht. Freunde und Nachbarn sind zugegen. Hühnersuppe und Wein wird kredenzt. „Die kleine Welt des Dorfes“, schließt Roland Girtler seinen Bericht, „hat sich verändert. Wir trinken zur Erinnerung an den toten Bauern, der allen im Dorf abgehen wird, guten Großpoldner Wein. Ich verabschiede mich, wünsche meinen Freunden von Großpold das Beste und ziehe weiter.“ Das großformatige Foto zeigt die Rückenansicht einer alten, gekrümmten Frau, die sich über den gepflasterten Friedhof schleppt, und ist mit der Bildunterschrift versehen: „Hier bei den Landlern in der Umgebung von Hermannstadt (Rumänien) hilft man einander gegenseitig. Stirbt jemand, so sind es die Nachbarn und Patenkinder, die sich um das Grab und Begräbnis kümmern.“

CS


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