2. Oktober 2001

Reußmarkter bei Münchner Oktoberfest erfolgreich

Auch beim diesjährigen Trachten- und Schützenzug des Münchner Oktoberfestes waren am 23. September die Siebenbürger Sachsen durch eine große Heimatortsgemeinschaft (HOG) vertreten: Die HOG Reußmarkt e.V. bot mit insgesamt 94 Trachtenträgern ein beeindruckend buntes Bild. Voran zog die 24 Mann starke Blaskapelle in jungsächsischer Tracht, ein vollständiger Hochzeitszug schloss sich an und bestand aus 70 Teilnehmern in altsächsischer Tracht, darunter 15 Jugendliche und sieben Kinder.
Zur Schau gelangten die für den Unterwald und Reußmarkt typischen, bunt bestickten und mit Lederapplikationen reich verzierten Brust- und Kirchenpelze bei Männern und Frauen, die schwarz gestickten Kirchentücher der Konfirmandinnen (an besonderen Festtagen auch von älteren Frauen getragen), die gelb gestickten Schürzen und Hemden der Frauen sowie die festlichen Kürschen. Über 8 000 Teilnehmer aus zwölf Ländern wirkten im Festzug mit, der unter dem Motto „Alte Zünfte, Handwerk, Brauchtum, historische Feste“ stand und auf der sieben Kilometer langen Strecke von über 150 000 Zuschauern bewundert wurde. Der traditionsreiche Umzug gilt als "Symbol der Völkerverständigung" und wurde trotz weltweiter Besorgnis um die vorangegangenen Terroranschläge in den USA abgehalten.
Gebockelte Reußmarkter Frauen auf der Münchner Leopoldstraße, zwei davon mit kostbarem Kürschen, einem mittelalterlichen Umhang aus Schaffell mit teurer Pelzverbrämung und Brettchenkragen. Die Bockelnadeln werden in Reußmarkt beidseitig am Hinterkopf gesteckt und sind von vorne nicht sichtbar. Foto: Oswald Kessler
Gebockelte Reußmarkter Frauen auf der Münchner Leopoldstraße, zwei davon mit kostbarem Kürschen, einem mittelalterlichen Umhang aus Schaffell mit teurer Pelzverbrämung und Brettchenkragen. Die Bockelnadeln werden in Reußmarkt beidseitig am Hinterkopf gesteckt und sind von vorne nicht sichtbar. Foto: Oswal Kessler


Die Reußmarkter beteiligten sich erstmals 1993 am Münchner Oktoberfestumzug und das zweite Mal 1997 als kleinere Gruppe innerhalb der "Trachtenlandschaft Unterwald“. Die Teilnahme in diesem Jahr erfolgte auf Vorschlag von Dr. Gerda Bretz-Schwarzenbacher sowie auf Einladung des Kulturreferates der Landsmannschaft und wurde im Oktober 2000 bei dem Heimattreffen der HOG Reußmarkt in Heilbronn beschlossen. Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster und die verantwortliche Organisatorin Erika Spielhaupter meldeten die Gruppe beim Festring München e.V., dem Veranstalter des Oktoberfestumzuges an. Zum Reußmarkter Organisationsteam gehörten zudem Anneliese und Simon Spielhaupter, Gerda und Wilhelm Dietrich sowie Wilhelm Spielhaupter, HOG-Vorsitzender, und die Altnachbarn der beiden Reußmarkter Nachbarschaften Simon Schenker (Heilbronn) und Günther Dietrich (München); Dirigent der Blasmusikkapelle war und ist Michael Theil, und um deren Organisation kümmerte sich Simon Dietrich.
Dementsprechend wurde die Trachtengruppe auch in dem Festprogramm in deutscher, englischer und italienischer Sprache vorgestellt: „Taking centre stage is the bridal pair in Reußmarkt costume“ bzw. „Al centro si vede la coppia di sposi in costume originale di Reußmarkt“ war unter anderem dort zu lesen.
Erfreulich viele Jugendliche begleiten das Brautpaar: Mädchen mit schwarzsamtenem Borten und edlen Bändern (Partirfronsen/bunte Seidenbänder, „Guld-„ bzw. „Sälwerstäck “ oder gestickten Samtbändern), Spangengürtel und farbigen Gürteltüchern, Burschen mit buntem Hutband und zwei roten, aufgesteckten Quasten („Tschukur“). Foto: Petra Reiner
Erfreulich viele Jugendliche begleiten das Brautpaar: Mädchen mit schwarzsamtenem Borten und edlen Bändern (Partirfronsen/bunte Seidenbänder, „Guld-„ bzw. „Sälwerstäck “ oder gestickten Samtbändern), Spangengürtel und farbigen Gürteltüchern, Burschen mit buntem Hutband und zwei roten, aufgesteckten Quasten („Tschukur“). Foto: Petra Reiner


Bemerkenswert ist die Tatsache, dass zu diesem Anlass außer den Westen der Blasmusikanten kein einziges Trachtenstück neu angefertigt werden musste, was auf eine intensive Trachtenpflege bei den Reußmarktern deutet. Bis Ende des zweiten Weltkrieges waren die Reußmarkter auch an Werktagen in Tracht gekleidet, sie waren Land- und Weinbauern sowie Dorfhandwerker, Schuster, Schneider, Fassbinder und Kaufleute. Auch ein bedeutender siebenbürgischer Künstler ist aus der Gemeinde hervorgegangen: der dort im Jahre 1866 geborene Robert Wellmann. Zusammen mit Fritz Schullerus und Octavian Smighelski studierte er in Budapest und ging 1891 nach Cervara di Roma. Hier in den Sabiner Bergen sind seine Meisterwerke entstanden, die heute in der Münchner Staatsgalerie und in bedeutenden deutschen Privatsammlungen zu finden sind. Wellmann beherbergte mehrere Male in Cervara den bekannten siebenbürgischen Maler Arthur Coulin und später, in Rom, alle nach Rom pilgernden siebenbürgischen Maler.
Nach dem Krieg änderte sich das Leben der Reußmarkter, der Anteil der Bauern ging zurück, das Handwerk nahm zu. Damit war auch der so bildhaft benannte Prozess des „Auskleidens“ verbunden: werktags wurde die Tracht nicht mehr getragen. Zum Kirchgang und zu allen Festen aber blieb die Tracht ein nicht wegzudenkendes Hauptelement. Diese Tradition pflegen die Reußmarkter zu großen Festen auch hier in Deutschland weiter.
Reußmarkter Brautpaar und Gäste in schafledernen Trachtenteilen (Kürschen, Kirchenmantel, Brustlatz und –pelz) mit bunter Zierstickerei und Lederapplikation. Die Braut trägt an diesem Festtag zum letzten Mal den Borten mit bunten Bortenbändern, der Bräutigam das bunte Hutband (später nur noch schwarz) und das kunstvoll gesteckte „Gepäschken“. Im Hintergrund das Münchner Siegestor. Foto: Petra Reiner
Reußmarkter Brautpaar und Gäste in schafledernen Trachtenteilen (Kürschen, Kirchenmantel, Brustlatz und –pelz) mit bunter Zierstickerei und Lederapplikation. Die Braut trägt an diesem Festtag zum letzten Mal den Borten mit bunten Bortenbändern, der Bräutigam das bunte Hutband (später nur noch schwarz) und das kunstvoll gesteckte „Gepäschken“. Im Hintergrund das Münchner Siegestor. Foto: Petra Reiner


Mit diesem ihrem Traditionsbewusstsein waren die ersten sächsischen Trachtenträger schon früh am Versammlungsort in der Leopoldstraße in München erschienen. Viele von ihnen waren das erste Mal dabei, darum wollten wir wissen, was sie dabei fühlen und fragten danach. Hier einige Antworten. Marion Acker: „Spannung und Freude, ich freue mich wirklich“; Kathrin Schenker fühlte sich „ein bisschen aufgeregt“, während Ralph Spielhaupter, der Träger des Schildes mit dem Reußmarkter Wappen, klagte: „Es ist kalt!“ Er hatte recht, es war wirklich kalt. So gaben die Kirchenpelze diesmal ein richtiges Wohlgefühl, jedoch die Reußmarkter sind, wie alle Siebenbürger, fürsorgliche Leute. Sie verlassen sich nicht nur auf die vom Altnachbarn mitgebrachten Regenschirme, auf die Kirchenpelze oder die im Festzelt wartende, von der Landsmannschaft gespendete Maß Bier, sondern es zirkulierte auch, vor allem durch die Männerreihen, ein Tropfen „Pali“. Der Name soll zwar aus dem Ungarischen „palinka" kommen, heißt es, was aber bei einem ehemaligen Steppenvolk, das die „Pelsebiem“ (Pflaumenbäume) kaum gekannt haben wird, nicht überzeugend klingt. Viel glaubhafter wäre die Herkunft von „Pali" oder „palinka" aus dem Griechischen „Palingenesie“ abzuleiten, was „Wiedergeburt“ oder „Wiederherstellen“ bedeutet, bei den Siebenbürgern schlicht und einfach „Reparieren“ genannt.
Die Freude und Begeisterung der Trachtenträger überträgt sich auf die Zuschauer. Foto: Petra Reiner
Die Freude und Begeisterung der Trachtenträger überträgt sich auf die Zuschauer. Foto: Petra Reiner


Der Erfolg der siebenbürgisch-sächsischen Trachtenträger bei den Zuschauern war allerdings auch ohne Zaubermittel sicher, denn ihre Tracht spricht die Sprache des Fleißes, und die wird allgemein geschätzt. Einige von den Zuschauern gesammelte Eindrücke seien hier zitiert: „Sehr hübsch, sehr aufwendig, das viele Weiß! Die Frauen müssen ja einen ganzen Tag bügeln!“ oder: „Sehr schön, 1859 haben wir auf einer Schürze gelesen, sehr alt! Andere wieder nach alten Modellen gestickt, sehr hübsch!“. Eine junge, schlanke Dame sagte, auf die Kirchenpelze der Männer deutend: „Diesen Mantel würde ich sofort anziehen!“
Der Moderator während der Fernsehübertragung des Bayerischen Fernsehens: „Wir sehen Trachten aus der Heimatortsgemeinschaft Reußmarkt in Siebenbürgen. Sehr, sehr schöne, alte Trachten; manche davon sind 100 und über 100 Jahre alt." Bewundert wurden die Siebenbürger nicht nur beim Aufmarsch, sondern auch anschließend bei ihrem frohen Miteinander im Festzelt „Fischer Vroni“ auf der Theresienwiese. Kaum hatten sie Hunger und den ersten Durst gestillt, wurde das Tanzbein geschwungen. Da konnte man sehen, wie die stämmigen Männer mit ihren breiten Gürteln und in ihren Stiefelhosen zuverlässige Tanzpartner für die königlich gebockelten, mit gestickten Schürzen, Tüchern und Bändern geschmückten Frauen abgaben. Bei dem frohen Beisammen entdeckte der Autor dieser Zeilen den wohl kostbarsten Frauengürtel im Zelt (die Patriziergürtel vielleicht ausgenommen), mit Türkisen, echten barocken Perlen und Email geschmückt, der im 18. Jahrhundert in Wien für ein Paar Ochsen erworben wurde.
Die gelb oder schwarz genähten Blumen- und Pflanzen-, seltener Tierornamente der Frauenschürzen zeugen vom Fleiß und großer Sorgfalt der Stickerinnen; besonders reich bestickt ist jeweils die Mittelleiste. Die älteste gezeigte Schürze trägt die Jahreszahl 1859 und ist noch in einwandfreiem Zustand. Im Bild rechts zu sehen: Die jüngsten Teilnehmer gehen an der Hand ihrer Eltern bzw. Großeltern. Foto: Petra Reiner
Die gelb oder schwarz genähten Blumen- und Pflanzen-, seltener Tierornamente der Frauenschürzen zeugen vom Fleiß und großer Sorgfalt der Stickerinnen; besonders reich bestickt ist jeweils die Mittelleiste. Die älteste gezeigte Schürze trägt die Jahreszahl 1859 und ist noch in einwandfreiem Zustand. Im Bild rechts zu sehen: Die jüngsten Teilnehmer gehen an der Hand ihrer Eltern bzw. Großeltern. Foto: Petra Reiner


Was sonst noch zu erwähnen ist: Es kamen Reußmarkter Teilnehmer aus München, Augsburg, Erlangen, Heilbronn und Stuttgart, und das Geschwisterpaar Elisabeth und Beatrix Schenker war sogar aus Brandenburg angereist. Die auswärtigen Gäste empfing Simon Spielhaupter senior in den Gemeinderäumen der Dankeskirche in München. Der älteste Teilnehmer war der 71-jährige Simon Dietrich, der bereits mehr als zehn Mal als Bläser an diesen Trachtenzügen teilgenommen hat; die jüngsten Teilnehmer waren Markus Weber und Alexander Roth, beide fünf Jahre alt, und beide machten tapfer mit. Das Brautpaar wurde vom Geschwisterpaar Josef und Maria Schenker aus Heilbronn dargestellt. Fahnenträger war Günther Roth, dessen Sohn Udo war der Helfer des Verfassers - vom Siegestor bis zur Festwiese -, wofür ihm auch hier herzlicher Dank gesagt sei. Mit der Videokamera hat Rudolf Girst das wichtige Ereignis festgehalten. Daran beteiligten sich 15 um und in München lebende Spielhaupters, dazu dreizehn Roths, zehn Schenkers und acht Dietrichs, womit auch die in Reußmarkt am meisten vorkommenden Namen genannt wären.
Dem Brautpaar folgen Hochzeitsgäste in der Reihenfolge ihres Alters und Standes: Jugendliche, jung verheiratete (mit Kindern) und ältere Hochzeitsgäste. Den würdigen Abschluss des Hochzeitszuges bot eine Reihe älterer Männer im Kirchenpelz. Foto: Petra Reiner
Dem Brautpaar folgen Hochzeitsgäste in der Reihenfolge ihres Alters und Standes: Jugendliche, jung verheiratete (mit Kindern) und ältere Hochzeitsgäste. Den würdigen Abschluss des Hochzeitszuges bot eine Reihe älterer Männer im Kirchenpelz. Foto: Petra Reiner


Finanziell gefördert wurde diese Großveranstaltung vom Münchner Haus des Deutschen Ostens, der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen und der HOG Reußmarkt e.V. Einen bedeutenden Teil der Kosten jedoch trugen die begeisterten Teilnehmer selbst.
Dieser „weltweite Auftritt“ der Reußmarkter Trachtengruppe - der Umzug wurde von der ARD live in viele Länder übertragen - ist ein zusätzlicher Beleg dafür, dass die Heimatortsgemeinschaften und die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen gemeinsam sehr viel zur Sicherung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturgutes beitragen können.

Oswald Kessler

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