11. Dezember 2005

Schule und Ideologie in Siebenbürgen: "Am liebsten alles vergessen? "

„Ideologie macht gegen Tatsachen entweder blind oder unempfindlich“, mit Ideologie können Menschen manipuliert werden, besonders Schule und ihre Lehrer versuchen Diktaturen in ihren Dienst zu nehmen. So Gudrun Schuster in ihrem beeindruckenden Vortrag zum Thema „Schule und Ideologie: Erlebnisse als Schülerin, Erfahrungen als Lehrerin im sozialistischen Rumänien“ am 22. November innerhalb des Rahmenprogramms zur Ausstellung „Die Schulen der Siebenbürger Sachsen“ im Schulmuseum Nürnberg, die während der letzten zwei Monate sehr positiv aufgenommenen wurde.
Von Museumsleiter Michael Schneider facettenreich eingeführt, präsentierte Gudrun Schuster den zahlreichen Anwesenden, darunter eine echte „Fangemeinde“ früherer eigener Schülerinnen und Schüler, eine Palette wohlgeordneter und wohlüberlegter Daten und Fakten zu einem in gewisser Hinsicht auch traumatisch präsent bleibenden Thema. Sie ist dazu wie geschaffen: Ein Mensch wie Gudrun Schuster, jahrzehntelang Deutsch-Lehrerin am Kronstädter Gymnasium, ein Mensch, der auf 41 Jahre (1946 bis 1987) eigener Sozialisierung durch und in der Schule in Siebenbürgen zurückblicken kann, ein Mensch, der die harten Verdrehungen und hochgepriesenen „Segnungen“ der sozialistischen Erziehung „genießen“ durfte, ein solcher Mensch, weiß, was Sache ist.

Gudrun Schuster bei ihrem Vortrag im Schulmuseum Nürnberg. Foto Horst Göbbel
Gudrun Schuster bei ihrem Vortrag im Schulmuseum Nürnberg. Foto Horst Göbbel

Wohlüberlegt, präzise formuliert, in warmem Ton dargelegt, entfaltete Gudrun Schuster ihre Thesen und Argumente, stets angereichert mit entsprechenden bezeichnenden privaten Erlebnissen, Beobachtungen, Erkenntnissen. So dokumentierte sie geschickt, wie das mit der „absoluten Loyalität“ von Lehrern und Schülern der Partei und dem Staat gegenüber aussah, benannte das allgegenwärtige Parteimonopol für jegliche Interpretation, das flächendeckende Spitzelsystem, die zahlreichen Inszenierungen, um ein Klima der Angst zu erzeugen, jedoch auch den professionellen Anspruch, das Verantwortungsbewusstsein, den Fleiß und die Disziplin, die Kollegialität der meisten Lehrenden an der Bergschule in Schäßburg oder an der Bolyai-, später Babes-Bolyai-Universität in Klausenburg. Ebenso die möglichst breit angelegte Abschottung der einstigen Schüler und Schülerinnen vor den Auswirkungen des diktatorischen Regimes. Als Deutschlehrerin hätte sie ihre Schutzbefohlenen zwar im Geiste der marxistisch-leninistischen Ideologie erziehen sollen wie alle anderen Kollegen und Kolleginnen, hatte jedoch zugleich alle Möglichkeiten, ihnen solide Kenntnisse mit gesundem Menschenverstand im gesamten Literaturunterricht von den Merseburger Zaubersprüchen bis Heinrich Böll zu vermitteln. Im Rückblick sagt Gudrun Schuster überzeugend: „Freies Denken kann letztlich in jeder Diktatur geübt werden.“ Nicht einmal die Rekrutierung von Schülern durch den Geheimdienst konnte das stille Einvernehmen zwischen Schülern und Lehrern in der Diktatur ernstlich gefährden, auch wenn öfters Gewissenskonflikte unvermeidlich waren. Die Gratwanderung zwischen dem, was man durfte und dem, was man sich erlaubt hat, hatten jedoch die meisten Lehrer und Schüler bald heraus.

Natürlich hat eine solche Sozialisation auch ihre Schattenseiten: Rückzug ins Private, Abneigung gegen alles Politische, Distanz zum öffentlichen Diskurs, Isolation, Desillusion gegenüber politischen Institutionen, mangelnde Zivilcourage bzw. geringe bis keine Erfahrung mit echter Demokratie. Dennoch sieht Gudrun Schuster als ein wichtiges Ergebnis der Sozialisation unter dem kommunistisch-nationalistischen Regime, insbesondere im Ceausescu-Rumänien, die Tatsache, dass auch Erfahrungen aus der Diktatur in einem demokratischen Diskurs sowohl im Westen als auch im Rumänien nach 1989 und sogar bei unserem Neuanfang im demokratischen Gemeinwesen letztlich nützlich sein können.

Dies machte auch die anschließende umfassende Diskussion deutlich, an der sich mehrere ehemalige Lehrer und Schüler aus Siebenbürgen lebhaft beteiligten.

Horst Göbbel

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2005, Seite 5)

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