31. Dezember 2005

Radikale Veränderung der Völkerlandschaft in Mittel- und Südosteuropa

Rezension des Buches "Migration im südöstlichen Mitteleuropa. Auswanderung, Flucht, Deportation, Exil im 20. Jahrhundert, herausgegeben von Krista Zach, Flavius Solomon und Cornelius R. Zach im Verlag des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), München 2005, 388 Seiten, 20,50 Euro, ISBN 3-9808883-7-1.
Unter Migration ist in der wissenschaftlichen Literatur und im Verständnis der in vorliegendem Band veröffentlichten Arbeiten der Ortswechsel von Bevölkerungsgruppen zu verstehen: Einwanderung, Kolonisation, Auswanderung, Rückwanderung, Umsiedlung, Aussiedlung, Bevölkerungsaustausch zwischen zwei Gebieten, Flucht, Vertreibung, Exil, Emigration, Deportation, Transfer, Wanderungsbewegung, ethnische Säuberung, "ethnische Flurbereinigung" bzw. Entflechtung und Neuordnung der ethnographischen Verhältnisse, wobei die Migrationsbewegung freiwillig oder erzwungen sein kann. Sie war im 20. Jahrhundert meist erzwungen, so dass man vom Jahrhundert der Flüchtlinge spricht. Davon betroffen waren im Besondern die Völker des südöstlichen Mitteleuropa. Die 23 Referate dieses Bandes von Wissenschaftlern aus Deutschland, Rumänien, Israel, der Republik Moldau und der Slowakei wurden 2001 auf einem Symposion in Jassy, veranstaltet von dem IKGS München in Zusammenarbeit mit dem Geschichtsinstitut der Rumänischen Akademie und dem Zentrum für das Studium internationaler Beziehungen von Jassy, präsentiert. Es werden Übersichten über Migarationsbewegungen sowie Untersuchungen über weniger bekannte Umsiedlungen oder Deportationen geboten und dabei einige grundlegende Fragen über die Ursachen und Vielfalt dieser Wanderungsbewegungen erörtert.

Aufgrund der gewaltigen Umsiedlungs-, Deportations-, Flucht- und Auswanderungsbewegungen wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die ethnodemographische Karte Mittel- und Südosteuropas radikal verändert. Etwa 50 Millionen Menschen waren davon betroffen. Einige ethnische Gruppen wie die Juden und die Deutschen haben "nicht wiederbringende Verluste erlitten", wie eine Studie hervorhebt. Allgemein hat sich die Zahl der nationalen Minderheiten verringert, in einigen Gebieten sind sie ausgerottet worden.

Zunächst sei auf Umsiedlungen hingewiesen, die aufgrund von zwischenstaatlichen Verträgen im 20. Jahrhundert erfolgten. Die wichtigsten davon sind die Verträge über Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei einerseits und Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Jugoslawien andererseits, dann Verträge zwischen Griechenland und Bulgarien, zwischen Rumänien und Bulgarien, ferner Abkommen des Dritten Reichs mit Italien zur Umsiedlung der Südtiroler, mit den baltischen Staaten bzw. der Sowjetunion zur Umsiedlung ("heim ins Reich") der Volksdeutschen aus Estland, Lettland, Litauen, Galizien, Bessarabien und der Nordbukowina, mit Rumänien über die Umsiedlung der Deutschen aus der Südbukowina und der Dobrudscha, mit Kroatien und Bulgarien über die Übersiedlung deren Volksdeutschen ins Reich. Es folgten nach dem Zweiten Weltkrieg weitere Abkommen über Bevölkerungstransfers zwischen der Sowjetunion auf der einen Seite und Finnland, Polen und der Tschechoslowakei auf der anderen Seite, ferner zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn. Die größte Migration war die Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, aus Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien aufgrund des Potsdamer Abkommens.

Schwerpunkt Rumänien

Die meisten Referate gehen auf konkrete Bevölkerungsbewegungen in Rumänien ein: ethnodemografische Entwicklung und Homogenisierungspolitik in der Bukowina, allgemeine Migration der Rumäniendeutschen im 20. Jahrhundert, angefangen von der Auswanderung nach Amerika bis zur Aussiedlung in die Bundesrepublik, Deportation von Deutschen aus Rumänien zu Zwangsarbeit in die Sowjetunion, die Emigration der Juden um die Wende zum 20. Jahrhundert und nach dem Zweiten Weltkrieg, die Deportation von Rumänen und Juden aus Bessarabien und der Bukowina in den Jahren 1941-1944, die Deportation von Zigeunern nach Transnistrien, die rumänische politische Emigration (1945-1949), Zwangsaufenthalt und Gefängnisstrafen als Repressionsinstrumente des kommunistischen Staates, Enteignung und Verfolgungsmaßnahmen gegen die Rumäniendeutschen in den Jahren nach dem 23. August 1944. In dem letztgenannten Beitrag werden aufgrund von Archivmaterial über die bisher bekannten Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen neue Fakten über die Enteignung durch das Bodenreformgesetz von 1945 mitgeteilt: Vorschläge von rumänischen Behörden, die Deutschen außer Landes zu vertreiben oder aus ihren Häusern und Dörfern auszuweisen und als Zwangsarbeiter auf Staatsfarmen anzusiedeln.

Dass es sich bei den meisten Bevölkerungsbewegungen des 20. Jahrhunderts um Verstöße gegen das Völkerrecht und bei den Massenvertreibungen und Deportationen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, wird in einem speziellen Beitrag dargelegt. In der Podiumsdiskussion des Symposions wurden vor allem Fragen angeschnitten, die sich aus der Erweiterung der Europäischen Union auf die Migration von Arbeitskräften ergeben.

Michael Kroner

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2005, Seite 6)

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