24. November 2001

Geschichten rund um den Handball in Siebenbürgen (III)

Der Krieg fordert sein erstes Opfer. Fritz Kasemiresch bleibt nach den Olympischen Spielen zum Studium in Deutschland und fällt 1940. Rumänien belegt bei der Weltmeisterschaft 1938 Platz fünf.
Trotz der relativ raschen Verbreitung des Spiels bleibt Hermannstadt mehr als zwei Jahrzehnte Handball-Hochburg. Die Mannschaften der deutschen Schulen sind eine unerschöpfliche Spielerquelle, aus der der Hermannstädter Turn-Verein (HTV) voll schöpft. Vom Start der Meisterschaft 1932 bis 1939 gewinnt der HTV sämtliche Titel - insgesamt sieben. Das Finale der ersten Meisterschaft 1933 gewinnt der HTV mit 15:1 gegen den Arbeitersportklub Lugosch.
Die Handballmannschaft des Mediascher Turnvereins Ende der 30er Jahre: (von links) Bruno Holzträger, Ladislaus „Zunzi“ Szöcs, Werner Harro, Karl Hermel, Bruno Schobel, Pi Connerth, Gerhard Kasemiresch, Otto Hahn, Pursch Lederer, Hans Krafft und Gerhard Schmidt.
Die Handballmannschaft des Mediascher Turnvereins Ende der 30er Jahre: (von links) Bruno Holzträger, Ladislaus „Zunzi“ Szöcs, Werner Harro, Karl Hermel, Bruno Schobel, Pi Connerth, Gerhard Kasemiresch, Otto Hahn, Pursch Lederer, Hans Krafft und Gerhard Schmidt.

Auch international tritt der HTV in Erscheinung und unternimmt unter Leitung Hans Schuschnigs 1934 seine erste Auslandstournee in die Tschechoslowakei und nach Deutschland. 18 Spiele in 18 Tagen stehen auf dem Programm. In der Tschechoslowakei werden sechs Siege gefeiert bei vier Niederlagen. Einen Sieg verzeichnet die Mannschaft in Deutschland.
Den größten Auftritt hat der HTV bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Dort vertritt eine fast ausschließlich aus Siebenbürger Sachsen bestehende Mannschaft Rumänien. Die meisten dieser Spieler stellt der HTV, insgesamt zwölf: Karl und Fritz Haffner, Robert Speck, Alfred Höchsmann, Fritz Halmen, Günther Schorsten, Wilhelm Heidel, Oki Sonntag, Günther Herzog, Wilhelm Kirschner, Willi Zacharias und Stefan Zoller. Aufgestockt wird die Mannschaft mit den Mediaschern Bruno Holzträger und Fritz Kasemiresch, dem Kronstädter Stippi Orendi und den Bukarestern Dragan Comanescu und Fecsi. Mit dabei ist auch Hans Zikeli, der letzte Bürgermeister Mediaschs bis zum Umsturz 1944. Die Reise nach Berlin muss die Mannschaft selbst finanzieren. Das Geld wird mit Freundschaftsspielen eingenommen. Das Dress der Nationalmannschaft ist vorhanden, doch eine Festkleidung für die Eröffnungsfeier fehlt. Dieses Problem wird einfach gelöst: Jeder Spieler zieht eine weiße lange Hose und ein Tennishemd an. Nach einer 20-stündigen Zugfahrt in der dritten Klasse erreichen die Olympia-Teilnehmer Berlin. Am Ankunftstag müssen sie um 13 Uhr zur Eröffnungsfeier aufs Marsfeld. Doch noch fehlen die eingeplanten Pullover. Sie sollen im Kaufhaus des Westens erstanden werden. Die Pullover sind rasch gefunden. Doch keiner hat Geld. Auch der rumänische Parlamentsabgeordnete Dr. Otto Herzog nicht. Doch Herzog erreicht bei der Geschäftsleitung, dass die Mannschaft die Ware auf Kredit bekommt, er hinterlegt seinen Abgeordnetenausweis. Das Problem ist gelöst. Weil die Zeit fortgeschritten ist, fährt die Mannschaft mit dem Taxi zur Eröffnungsfeier. Die Spieler nähen die Wappen selbst auf die neuen Pullover. Der Einmarsch kann stattfinden.
Der am 8. Mai 1920 in Gary im US-Bundesstaat Indiana geborene Hans Krafft, der als Zweijähriger mit seinen Eltern nach Siebenbürgen kommt, erinnert sich noch an die Mannschaft des Mediascher Turnvereins, zu der er als 14-Jähriger gestoßen ist. In dieser Mannschaft spielt er zusammen mit den Olympiateilnehmern Bruno Holzträger, Fritz Kasemiresch, ferner mit Bruno Schobel, Ladislaus „Zunzi“ Szöcs, Gerhard Kasemiresch, Otto Hahn, Pursch Lederer, Pi Connerth, Gerhard Schmidt, Hans Zikeli, Willi Lapka und Karl Hermel.
Fritz Kasemiresch, der zweite Torwart nach Stefan Zoller, kehrt von den Olympischen Spielen 1936 in Berlin nicht mehr heim und beginnt in Ilmenau zu studieren. Er wird zu den Ersten gehören, die im Zweiten Weltkrieg fallen. Wie sich Hans Krafft ferner erinnert, ist er 1940 in Frankreich gefallen. Die Mannschaft des Turnvereins ist im Wesentlichen so bis 1940 zusammengeblieben, dann rückt mehr als die Hälfte zur Waffen-SS ein, und zwar im Rahmen der 1 000-Mann-Aktion. Auch Hans Krafft gehört dazu. Er kehrt nach der Kriegsgefangenschaft in Österreich nicht mehr in seine Heimat zurück. Er lässt sich in Hannover nieder, wo er seinen Beruf als Schriftsetzer ausübt und nebenbei Handball und Fußball spielt und trainiert.
1936 kommt es auch außerhalb des olympischen Turniers zu mehreren internationalen Großfeldhandball-Begegnungen. Am 14. Juni spielt die deutsche Auswahl gegen eine Vertretung Mediaschs. Die deutsche Mannschaft siegt 20:1. Zwei Tage zuvor besiegt die deutsche Nationalmannschaft die rumänische in Hermannstadt 10:8. Ein weiteres Länderspiel zwischen den zwei Mannschaften endet am 8. Juli 1939 in Bukarest mit einer 3:19-Niederlage des Gastgebers. Im Juni 1938 kommt es zu zwei Länderspielen. Die rumänische Mannschaft besiegt am 10. Luxemburg 12:6, zwei Tage später unterliegt sie Schweden 6:7.
Bei der ersten Weltmeisterschaft im Großfeldhandball 1938 belegt Rumänien den fünften Platz nach Titelträger Deutschland, der Schweiz, Ungarn und Schweden. Zu den WM-Spielern, mit denen Trainer Hans Schuschnig nach Deutschland fährt, gehören Ernst Wolf, Alfred Höchsmann Wilhelm Heidel und Wilhelm Kirschner. Torwart Wolf erinnert sich an das Spiel gegen Schweden: Kurz vor Spielende liegt die rumänische Mannschaft noch mit 6:5 in Führung. Doch die Schweden werfen noch zwei Tore und gewinnen 7:6. Bei der bereits fünf Monate zuvor in Berlin ausgetragenen ersten Hallenhandball-WM platzieren sich die vier Teilnehmer wie folgt: Deutschland, Österreich, Schweden und Dänemark. 1931 nimmt der Hermannstädter Trainer Hans Schuschnig an einem Lehrgang der Internationalen Handball-Föderation teil und wird internationaler Schiedsrichter. 1939 gibt es in Rumänien 21 Handballabteilungen mit mehr als 400 offiziell zugelassenen Spielern.
1943 wird als Meisterschaftsersatz (es ist Krieg) ein Endturnier ausgetragen, an dem die Städte Bukarest, Mediasch, Reschitza und Ploiesti teilnehmen. Sieger wird die Mannschaft des Mediascher Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasiums.

Johann Steiner

Bewerten:

1 Bewertung: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.