23. Januar 2002

Fundgrube für siebenbürgische Zeitgeschichte

Fülle von historischen Fakten: Hellmut Klima beleuchtet im Band II seiner Tagebücher das kirchliche und gesellschaftlich-politische Leben im Kommunismus. Das evangelische Leben in Siebenbürgen während der kommunistischen Zeit 1946-1990. Aus den Tagebüchern von Pfarrer Hellmut Klima. Bearbeitet und veröffentlicht von Samuel Liebhart. Pirrot Dudweiler. Band II, 2001, 707 Seiten.
Die zwei veröffentlichten Bände mit den Tagebüchern von Pfarrer Hellmut Klima sind eine wahre Fundgrube. Während Band I (erschienen 1993, 380 Seiten) die Tagebuchaufzeichnungen der Verfassers von 1930 - 1945 aus der Studienzeit als Schüler am Brukenthalgymnasium, als Student der Universitäten Klausenburg, Wien und Leipzig, über seine ersten Dienstjahre als Gymnasiallehrer und Pfarrer von Neppendorf sowie über seine Verschleppung zu Zwangsarbeit in die Sowjetunion enthalten, bietet Band II die Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit von 1946 bis 1990.
Hellmut Klima, 1989. Foto: Konrad Klein.
Hellmut Klima, 1989. Foto: Konrad Klein.


Klima (geboren 1915 in Hermannstadt) hat Geschichte und Theologie studiert und mit einer Dissertation über die Gubernatoren Siebenbürgens von 1774 bis 1867 promoviert. Von 1940 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1980 war er, mit einer Unterbrechung im Jahre 1945, Pfarrer in der sächsisch-landlerischen Gemeinde Neppendorf. Er hat auch danach bis zu seinem Lebensende (1990) in dieser größten Gemeinde der Landeskirche gelebt. Nebenberuflich war er ein äußerst fleißiger Geschichtsforscher und hat kirchengeschichtliche Daten über alle evangelisch-sächsischen Gemeinden zusammengetragen und daraus Chronologien aufgestellt sowie Beiträge über die Landler geliefert. Zahlreiche Aufsätze sind in der rumäniendeutschen Presse und in anderen Publikationen veröffentlicht worden.
Der zweite Band von Klimas Tagebüchern, auf die hier hingewiesen werden soll, umfassen die Zeit der kommunistischen Herrschaft in Rumänien. Es war dem Verfasser darüber hinaus vergönnt, den Zusammenbruch der kommunistischen Ceausescu-Diktatur um fast ein Jahr zu überleben. Aus der Fülle der Informationen, die der Band bietet, werden wir hauptsächlich einige Aspekte herausgreifen, die sich auf die Kirche im Kommunismus beziehen.
Die Begriffe "Kommunismus" und "Sozialismus" sowie die Namen von deren Exponenten in Rumänien werden in den Aufzeichnungen Klimas äußerst selten gebaucht bzw. genannt. Es fehlt aber auch jede kritische Äußerung am sozialistischen Regime. Die Ereignisse werden meistens nur chronologisch, ohne jeden Kommentar und jede Wertung notiert. Eine Kritik des Regimes wäre äußerst riskant gewesen, weil der Verfasser damit rechnen musste, dass die "Securitate" wann immer zuschlagen und das Manuskript konfiszieren konnte. Alle Kirchenmänner waren sich dieser Gefahr bewusst, mussten Bespitzelung, Besuche von "Securitate"-Leuten und allerlei andere Schikanen in Kauf nehmen. Das muss man wissen, wenn man sich mit dem Kirchenleben in den atheistischen Staaten beschäftigt und Texte liest, die in dieser Zeit geschrieben worden sind. Wenn man das bedenkt, stellt man staunend fest, dass der Kirche in Rumänien doch ein relativ großer Handlungsraum überlassen wurde. Das veranschaulichen gerade auch die hier zu besprechenden Tagebücher über das Leben der evangelischen Kirche in Neppendorf, angefangen von den regelmäßigen und gut besuchten Gottesdiensten, der Ausübung der Kasualien, der Abhaltung von Bibelstunden, der Tätigkeit eines Kirchenchores, die Teilnahme an Katechisation und Konfirmation, der Wahl des Presbyteriums und Kurators bis hin zur Gestaltung und Abhaltung verschiedener kirchlicher Bräuche sowie relativen Autonomie der Kirchengemeindeverwaltung. Nicht selten, vor allem an den hohen Feiertagen, nahmen an den Gottesdiensten über 1000 Personen teil, bei einer evangelischen Seelenzahl von etwa 3500 bis 4000. Am Weihnachtsgottesdienst vom 25. Dezember 1958 waren es sogar 1 843. Natürlich gab es auch ärgerliche Störungen, wenn beispielsweise die Konfirmationen von 1959 bis 1965 an Palmsonntagen erst am Abend stattfinden konnten, weil auf Anordnung der staatlichen Schulbehörden die Konfirmanden an diesem Tag zu sonstigen Aktivitäten verpflichtet wurden. So heißt es in Klimas Tagebuch vom 26. März 1961 lakonisch: "Palmsonntag vormittags kann die Konfirmation nicht stattfinden, da die Konfirmanden an einem Ausflug teilnehmen müssen. Der Palmsonntagsgottesdienst ist aber gut besucht ... Abends ist dann Konfirmation und Konfirmandenprüfung von 9 Knaben und 12 Mädchen..." Am 27. Juni 1965 wird vermerkt: "Heute können wir wieder einmal vormittags konfirmieren - seit 1958 das erste Mal".
Man musste auch damit leben, dass das Kultusdepartement nicht selten bei den Wahlen der Pfarrer und der Vertreter in die kirchlichen Ämter eingriff und diese manipulierte. Klima verzeichnet kommentarlos zahlreiche solcher Fälle. Man muss zudem vor Augen haben, dass vieles nicht gesagt oder nur angedeutet werden konnte. Über die politischen Prozesse Ende der 50er Jahre, von denen auch Pfarrer betroffen waren, erfährt man aus den genannten Tagebüchern bloß so viel, dass 1958 die Stadtpfarrer Edmund Gräser aus Agnetheln und Konrad Möckel aus Kronstadt verhaftet und verurteilt wurden, Letzterer mit seinem Kurator und noch einem Mann zu lebenslanger Haft.

Dokumentarische Fundgrube für Neppendorf

In den Tagebücher Klimas besitzen die Neppendorfer eine dokumentarische Fundgrube mit chronistischen Aufzeichnungen, wie sie meines Wissen keine andere Gemeinde verfügt. Darin sind nämlich Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen, die wichtigsten kirchlichen Veranstaltungen im Kreislauf des Jahres verzeichnet, dann jährliche Statistiken über die Bevölkerungsentwicklung sowie andere Tagesgeschehnisse und Informationen über das Gemeindeleben. Sehr viele Neppendorfer werden namentlich erwähnt und vor allem bei Beerdigungen mit kurzen biographischen Daten und Charakterisierungen bedacht. Auch die für Außenstehende unverständlichen Spannungen zwischen Sachsen und Landlern im Zusammenhang mit der Verwendung des Sächsischen oder Landlerischen bei Kasualien oder bei der Zusammensetzung des Presbyteriums werden erwähnt.
Pfarrer Klima hält nicht nur Ereignisse aus dem Kirchenleben fest. Wie aus seinen Eintragungen hervorgeht, ist er zu politischen Aktivitäten seitens der staatlichen Lokalbehörden herangezogen worden, so bei der Einschreibung der Bauern in die Kollektivwirtschaft, zu verordneten Friedenskundgebungen und sonstigen behördlichen Veranstaltungen, weil man diesen durch seine Autorität mehr Gewicht verleihen wollte. Diese Aktionen gehören zu den widersprüchlichen Verhalten des Regimes - einerseits die Kirche zu bekämpfen und andererseits sich ihrer zu bedienen, wenn es nützlich war. Mit solchen demagogischen Verhaltensweisen und Kompromissen musste die Kirche leben und aus der jeweiligen konjunkturbedingten Kirchenpolitik des Staates das Bestmögliche machen.

Zu politischen Aktivitäten herangezogen

Da Neppendorf an Hermannstadt grenzt, haben zahlreiche Studenten der Theologie oder Vikare in der Kirchengemeinde ausgeholfen und praktiziert, vor allem bis 1965, als Karl-Heinz Galter als zweiter Gemeindepfarrer genehmigt wurde. Für viele Theologen war Neppendorf Lehr- und Durchgangsstation.
Ein weiterer Bereich, der in den Tagebüchern dokumentiert ist, bezieht sich auf Klimas Tätigkeit als Mitglied des Bezirkskonsistoriums und als Dechant des Bezirks Hermannstadt, als geistliches Mitglied des Landeskonsistoriums, als stellvertretender Bischofsvikar sowie auf andere Aufgaben und Missionen innerhalb der Landeskirche. Klima hat in seinem Urlaub oder im Auftrag des Hermannstädter Bezirks- oder des Landeskonsistoriums alle sächsischen Gemeinden besucht und darüber Buch geführt, so dass kaum ein Pfarrer nicht erfasst wird. Er erwähnt weiterhin viele Pfarrwahlen und Pfarrpräsentationen, zudem hat er vertretungsweise in einer Reihe von Gemeinden Gottesdienste abgehalten. Wichtig erscheinen uns vor allem seine Informationen über Versammlungen der Pfarrer, des Bezirks- und Landeskonsistoriums sowie seine Gespräche mit den beiden Bischöfen Friedrich Müller und Albert Klein. Dabei hält er fest, was in diesen Versammlungen behandelt wurde. Daraus ist ersichtlich, dass daran oft der rumänische Kultusinspektor teilnahm, dem der Inhalt der Referate und Reden übersetzt werden musste. Klima fungierte dabei oft als Dolmetscher. Außer kirchlichen Angelegenheiten, die auf diesen Zusammenkünften zur Sprache kamen, und Referaten theologischen Inhalts mussten auch solche mit politischem Inhalt vorgetragen werden. Während in den 50er und 60er Jahren Berichte über den Beitrag der Pfarrer zur Friedensarbeit, wie sie damals allgemein gefordert wurde, vorgelegt wurden, wobei natürlich die Politik der Ostblockstaaten gegen den angeblichen aggressiven, imperialistischen Westen und die revanchistische Bundesrepublik zu rechtfertigen war, standen in den 70er und 80er Jahren so genannte "Orientierungsreferate" auf der Tagesordnung mit Themen wie "50 Jahre seit der Gründung der Kommunistischen Partei", "Volksräte - Organe der lokalen Staatsmacht", "Befreiung Rumäniens vom faschistischen Joch", "Leben und Wirken Nicolae Ceausescu" u. a. In diesen Referaten musste die sozialistische Gesellschaft von der Kirche gutgeheißen werden und die Gläubigen zu deren aktiven Mitgestaltern aufgerufen werden. Im Zusammenhang mit der Kampagne zur Kollektivierung der Landwirtschaft wies beispielsweise der damalige Dechant des Bezirks Hermannstadt auf einer Pfarrerversammlung, wie man im Tagebuch nachlesen kann, auf die Notwendigkeit einer ständigen Verbindung des Pfarrers mit dem Volksrat und der Leitung der Kollektivwirtschaft hin. Sie sollten die Glaubensgenossen anweisen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Dienste des sozialistischen Staates nachzukommen. Diese Frage, in welchem Maße sich die Pfarrer in diese und andere außerkirchliche Arbeit einzuschalten habe, bildete des Öfteren ein Diskussionsthema, wie in den Tagebüchern nachgelesen werden kann. Was die Haltung gegenüber Mängeln des Regimes betrifft, gab Bischof Albert Klein im Jahre 1970 die Empfehlung, Kirchenmänner sollten mit den Verwaltungsmännern der Gemeinden zusammenarbeiten und gemeinsam Nöte bekämpfen. Es sollten jedoch nicht das politische System, sondern einzelne lokale Unzulänglichkeiten bekämpft werden. Die Kritik sollte aber nicht von der Kanzel erfolgen, da der Dienst des Pfarrers nicht "politische Agitation" sei. Bischof und Pfarrer konnten somit öffentlich bloß die offizielle rumänische Politik vertreten, was gewisse Kreise in der Bundesrepublik nicht wahrnehmen wollten, andere hingegen ihnen als liebdienerische Unterwürfigkeit gegenüber dem Regime anlasteten. Wer jedoch hinter die Kulissen blickte und in Klimas Tagebüchern auch zwischen den Zeilen lesen kann, der erkennt darin die erforderlichen regimbedingten Spielregeln, deren Einhaltung die Existenz der Kirche im Sozialismus sicherte. Dass niemand die demagogischen Loyalitätserklärungen ernst nahm, war kein Geheimnis. Dass man dabei gelegentlich zu weit gegangen ist, bleibe dahingestellt.

Auswanderung klischeehaft als Abwerbung gesehen

Ein Dauerthema, das in Klimas Tagebüchern seit Mitte der 50er Jahre erscheint, waren die Auswanderung in die Bundesrepublik und Besuche ausgewanderter Landsleute. Klima war, wie die damalige Kirchenleitung, gegen die Aussiedlung. Da diese Einstellung der offiziellen Haltung der Regierung entsprach, konnte er in den Tagebüchern seine Abneigung dazu äußeren, ohne jedoch die wahren Ursachen der Aussiedlung beim Namen zu nennen, denn dann hätte die Rumänisierungs- und Unterdrückungspolitik sowie Wirtschaftsmisere des sozialistischen Rumäniens genannt werden müssen. Die Auswanderung wird einseitig und fälschlicherweise als eine Abwerbung eingeschätzt, die zum Teil der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in der Bundesrepublik angelastet wurde. Es wurde vor allem, wie Klima aufzeichnet, die Abwanderung von Pfarrern und von leitenden Angestellten der Kirche verurteilt und dagegen die bekannten restriktiven Maßnahmen getroffen, die dazu führten, dass ein großer Teil der ausgesiedelten Pfarrer in der Bundesrepublik von der EKD nicht angestellt wurden. Klima registriert mit Besorgnis die allgemeine abnehmende Zahl der evangelischen Gläubigen und speziell jene von Neppendorf als Folge der Aussiedlung. Am 1. Januar 1985 stellte er, ohne den Massenexodus nach 1990 vorauszusehen, fest, dass bei gleichbleibender Auswanderungszahl in Neppendorf (im Vorjahr waren es fast 150 Personen gewesen) im Jahre 2004 das letzte evangelische Gemeindemitglied verschwunden sein werde.
Man kann feststellen, dass eine Reihe von Gegnern der Auswanderung, die Klima namentlich erwähnt, mittlerweile ihre Meinung geändert haben und in der Bundesrepublik Aufnahme gefunden haben. Ob Klima selbst geblieben wäre, ist fraglich.
Im Tagebuch von 1990 wird auf die mit österreichischen Regierungsstellen geführten Verhandlungen betreffend die kompakte Rückführung und Ansiedlung von etwa 3 000 bis 4 000 Landlern in Österreich hingewiesen. Die Verhandlungen scheiterten, da Österreich nicht bereit war, den Landlern dieselben Aufnahmevergünstigungen wie die Bundesrepublik zu gewähren.
Der Band enthält eine solche Fülle von Fakten, dass das Stichwörterverzeichnis des Rezensenten, das er sich beim Lesen angelegt hat, 15 DIN 4 Seiten zählt. Ein Teil des schriftlichen Nachlasses von Hellmut Klima (Transsylvanica-Sammlung, 364 Ortsmonografien aller siebenbürgisch-sächsischen Dorfgründungen) befindet sich im Siebenbürgischen Archiv auf Schloss Horneck in Gundelsheim, die Münzsammlung wurde dem dortigen Museum übereignet.
Der zweite Band der Tagebücher kann bei Samuel Liebhart, Am Kehrberg 4, 66424 Homburg, Telefon: (0 68 41) 45 41, Fax: (0 68 41) 1 59 00, zum Preis von 32,50 Euro, einschließlich Versand, bestellt werden. Der erste Band ist unter der gleichen Adresse zum Preis von 30 Euro, einschließlich Versand, erhältlich.

Michael Kroner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2002, Seite 7)

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.