12. Oktober 2000

Sächsische Identität nach dem Massenexodus

Gibt es eine siebenbürgisch-sächsische Identität in Deutschland nach dem Massenexodus? Worin kann eine solche Identität auf längere Sicht überhaupt bestehen, und wie muss sie neu verstanden werden? Eine Diskussion zu diesem Thema regt der 34-jährige Hermannstädter Klaus Weinrich an. Seine Gedanken dazu hat er in dem Aufsatz "Rückblicke eines Inselbrüchigen" im SibiWeb unter der Internet-Adresse http://www.sibiweb.de/geschi/inselbruch.htm veröffentlicht..
Beobachtungen im Kreise siebenbürgischer Freunde haben Weinrich zu den Fragestellungen angeregt. Nicht ein Schiff, sondern eine "Insel", der "Soziotop", der Ort, in dessen sozialen Struktur Weinrich aufgewachsen war, ist durch den Massenexodus der Siebenbürger Sachsen vom Untergang bedroht. Mitte des 19. Jahrhunderts habe sich eine "kopernikanische Wende" in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen vollzogen, als die Sachsen ihre deutsch-siebenbürgische Identität entdeckten und sich selbst an den Rand des deutschen Kulturkreises rückten. Das kommunistisch gewordene Rumänien habe keinen "dauerhaften Fortbestand unserer Gemeinschaft ohne die Aufgabe ihrer Identität und Kultur" erwarten lassen. Deshalb hätten die Siebenbürger Sachsen ihre Loyalität gegenüber dem Land gekündigt und seien nach Deutschland ausgewandert, in dem sie den einzigen "Garant" für den Fortbestand ihrer Identität sahen. Diese Entwicklung sei bereits vor 1989 unumkehrbar gewesen, stellt Weinrich fest. Das Gefühl der Beständigkeit, das der Autor im vertrauten Hermannnstadt erlebt hat, wird durch die Auswanderung zunächst nicht gestört. "Weil fast alle diesen Weg gingen, bestand die Gemeinschaft für mich im Vollzug ihres Exodus fort."
Die Auflösung der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft fordere jedoch zu Deutungen heraus, die jenseits des privaten Albums oder des Geschichtsbuches liegen. Vor allem bei der jüngeren Generation vermisst der Autor weitgehend ein Bewusstsein für das doch Einzigartige des Erlebten, sind wir doch Zeitzeugen der Auflösung einer alten Gemeinschaft und wohl auch ihrer Kultur. Das Schweigen zu dem Geschehenen zeige doch letztlich, wie gut es uns ergangen sei. Dennoch könne das nicht die Art sein, mit dieser geschichtlichen Verantwortung umzugehen oder sie erst gar nicht zu erkennen. Seinen Aufsatz versteht der Hermannstädter daher auch als Versuch, das Bewusstsein für eine siebenbürgisch-sächsische Identität zu wecken und einen reflektierenden Umgang damit anzuregen. Der Autor würde sich freuen, Gedanken und Erfahrungen zu diesem Thema mit anderen Siebenbürgern auszutauschen. Seine E-Mail-Anschrift: WEINRICH@CCBUCHNER.DE.
Weinrich wurde 1966 in Hermannstadt geboren, besuchte 1980-1984 das Brukenthal-Lyzeum und studierte nach seiner Aussiedlung im Jahre 1984 Mathematik an der Universität Stuttgart. In den Jahren 1993 bis1997 arbeitete er an der Universität Tübingen am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften an seiner Promotion (Abschluss als Dr. rer. nat.). Die Dissertation erschien 1998 unter dem Titel "Die Lichtbrechung in den Theorien von Descartes und Fermat" im Franz Steiner Verlag (Stuttgart) als Buch. Es ist darin u. a. erstmals gelungen, den seit über 350 Jahren ungeklärten Prioritätskonflikt zwischen Descartes und Snellius über die Entdeckung des Gesetzes der Lichtbrechung aufzuklären. Seit 1998 arbeitet Weinrich als Lektor für Mathematik im Schulbuchverlag C. C. Buchner in Bamberg. Sein Aufsatz über die Astronomie bei Johannes Honterus erscheint demnächst in der Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde.

Siegbert Bruss


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