27. März 2002

Bürgerliches Engagement für Gundelsheim

Stiftung Siebenbürgische Bibliothek in Gundelsheim am Neckar erhält bedeutsames Vermächtnis von Johanna und Dr. Arnold Weingärtner. Es ist ein Musterbeispiel, wie für die Zukunft des kulturellen Erbes der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft vorgesorgt werden kann. Den mühsam aufgebauten Beständen der Siebenbürgischen Bibliothek und des Archivs kommt dabei eine einmalige Bedeutung zu.
Die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek wurde im Herbst 1999 von verantwortungsbewussten Landsleuten gegründet, indem diese einen namhaften Betrag aus ihrem Vermögen zum „gemeinen Nutzen“ zur Verfügung stellten. Die Stiftung soll zusätzlich und unabhängig von der öffentlichen Förderung der siebenbürgischen Kultureinrichtungen in Gundelsheim deren Bestand und Funktionieren dauerhaft sichern. Die Initiatoren hegen die Hoffnung, dass dieses vorbildhafte Handeln weitere Landsleute anregt, es ebenso zu tun.
Ein Musterbeispiel, wie für die Zukunft des kulturellen Erbes der sächsischen Gemeinschaft vorgesorgt werden kann, bietet das Vermächtnis des Ehepaars Johanna und Dr. Arnold Weingärtner. Als Ende letzten Jahres das Testament der kürzlich verstorbenen Witwe unseres Landsmanns Arnold Weingärtner eröffnet wurde, fand sich darin die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek mit einem Betrag von über 120 000 Euro bedacht. Diese Summe ist ein bedeutender Sprung hin zur Überschreitung der Marge von einer halben Million Euro Stiftungskapital. Erst bei einem Kapital von zwei Millionen Euro wird die Stiftung ihre satzungsgemäßen Aufgaben erfüllen können.
Wer waren nun Johanna und Dr. Arnold Weingärtner? Arnold Weingärtner wurde 1913 in Talmesch in Siebenbürgen als Sohn eines Predigerlehrers geboren. Sowohl die väterlichen als auch die mütterlichen Großeltern waren ebenfalls Lehrer und stammten – bedingt durch berufliche Versetzungen – aus unterschiedlichen dörflichen Gemeinden. Die Urgroßeltern waren überwiegend Bauern und Handwerker, es findet sich aber auch - im Nebenberuf - ein Organist. Seine Kindheit verbrachte er in Großscheuern, besuchte dann das Brukenthal-Lyzeum, wo er achtzehnjährig das Bakkalaureat ablegte, und studierte anschließend an der Universität Klausenburg Jurisprudenz. 1936 schloss er das Studium als Doktor der Rechte erfolgreich ab.
Seit den späten 1930er Jahren lebte er in Berlin. In den Jahren 1938-1944 war er als Redakteur bei der in Wien erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschrift „Nation und Staat“ tätig. Diese nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen „Europa Ethnica“ bis heute erscheinende Zeitschrift befasste sich mit europäischen Nationalitätenfragen, besonders aber mit der Situation der deutschen Minderheiten. Daneben war er aufgrund seiner Sprachkenntnisse beim deutschen Auslandsrundfunk als Leiter der Rumänienredaktion sowie als Korrespondent für rumänische Zeitungen journalistisch tätig. Vom Kriegsdienst blieb er freigestellt. Er hatte Kontakt zu einem Mann des 20. Juli, Dr. Fritz Theil, einem Siebenbürger Sachsen. Dieser, ebenfalls beim Rundfunk tätig, hatte die Aufgabe, nach Gelingen des Attentats dieses in einer Sondermeldung zu verkünden. Der Text war vorbereitet.
Nach Kriegsende folgte die Flucht vor den sowjetischen Besatzungstruppen aus Berlin nach Wuppertal. Politisch unbelastet wurde er bei der dort erscheinenden „Westdeutschen Rundschau“ stellvertretender Chefredakteur und leitete das Politikressort. Dort lernte er auch seine Frau Johanna, geb. Neubert, kennen - eine Elberfelderin. Von 1952 bis zu seiner Pensionierung 1978 war er Redakteur des Pressedienstes des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Daneben schrieb er als freier Journalist für mehrere Wochenzeitungen über Fragen des Außenhandels, der Medien und der ethnischen Minderheiten sowie kleinere belletristische Arbeiten. Von 1951 bis 1953 war er Vorsitzender der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, die er mitbegründet hat. Noch viele Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Vorsitzenden war er Pressereferent der Landesgruppe. 1981 starb Arnold Weingärtner in Köln.
Johanna Weingärtner, seine Ehefrau, überlebte ihren Mann um zwanzig Jahre. Sie starb Ende 2001 in Köln. Auch als Witwe blieb sie den Siebenbürger Sachsen gewogen und spendete regelmäßig hohe Beträge für deren Kultureinrichtungen. Da die Ehe kinderlos geblieben war, verfügte sie in ihrem Testament, dass die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek in Gundelsheim ihr nachgelassenes Vermögen erben solle. Der Nachlass ihres Mannes war bereits vor Jahren dem Gundelsheimer Archiv übergeben worden. In der Bibliothek lagern Teile der journalistischen und schriftstellerischen Arbeiten von Arnold Weingärtner.

Kultureinrichtungen dauerhaft sichern

Die Weingärtnersche Zuwendung ist der bisher größte Einzelbetrag, den die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek verbuchen konnte und ein ermutigendes Zeichen, dass die Gründer einen richtigen Weg beschritten haben. Wie das Beispiel des Ehepaares Weingärtner zeigt, sind Nachlässe bedeutende Meilensteine beim Aufbau der Stiftung. Das Stiftungswesen ist - wie so vieles von den sächsischen Traditionen - in der Zeit des Kommunismus eingegangen. Und doch ist es nicht völlig vergessen worden. In der neuen Heimat kam es erneut zu Stiftungsgründungen von Siebenbürger Sachsen. Deren größte ist die Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung, die Ernst Habermann Ende der 1970er Jahre begründet hat. Neben anderen kleineren Stiftungen und gemeinnützigen Vereinen folgte 1999 die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek. Sie ist explizit als Bürgerstiftung konzipiert und hat den Zweck, die Funktionsfähigkeit der Gundelsheimer Kultureinrichtungen der Siebenbürger Sachsen durch bürgerliches Engagement dauerhaft und nachhaltig zu sichern. Heute bestehen folglich mehrere Stiftungen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen.
„Bürgerstiftung“ bedeutet, dass sich alle Siebenbürger Sachsen – und nicht nur sie, wie das Beispiel Johanna Weingärtner bezeugt – an der Mehrung des Stiftungskapitals beteiligen können und sollen. Martin und Dr. Roswitha Guist, die Gründer der Bibliotheksstiftung, haben mehrfach ein Rechenmodell vorgestellt, wie das Grundkapital der Stiftung eingeworben werden könnte. Ihr Vorschlag heißt schlicht, aber griffig: Modell 2000. Zweitausend, das wären ein Prozent aller in Deutschland lebenden Landsleute, stiften je 1 000 Euro, und das Ziel wäre erreicht. Dieser Betrag käme ebenso zusammen, wenn jeder der in Deutschland, Österreich und Übersee lebenden Landsleute 10 Euro überweist oder 20 000 Personen je 100 Euro! Dies sind wahrlich nicht unmögliche Dinge, die aber die Stiftung aller Sorgen entheben würden. Jeder kann, darf und soll nach seinem Möglichkeiten an der „letzten Wehrburg“, die die kulturellen Hinterlassenschaften der Siebenbürger Sachsen bewahrt, mitbauen. Der Gemeinsinn, der die Siebenbürger Sachsen geprägt hat, kann ihre kollektive Identität auch in einer ganz anderen Gesellschaft wohl noch einige Generationen tragen.

Bedeutung der Siebenbürgischen Bibliothek

In Anbetracht der großen kulturellen Verluste, die durch die Emigration der Sachsen aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet zu beklagen sind, kommt den mühsam aufgebauten Beständen der Siebenbürgischen Bibliothek und des Archivs eine einmalige Bedeutung zu. Durch Ausbau und Erschließung ihrer Bestände für die Forschung und die Popularisierung der Forschungsergebnisse kann und soll die Kultur der Siebenbürger Sachsen im Bewusstsein von deren Nachkommen und der interessierten Öffentlichkeit bleiben.
Die Siebenbürgische Bibliothek besitzt derzeit über 62 000 Bücher, Zeitschriften, Landkarten, Tonträger, Videofilme u. Ä. Damit ist sie die größte Spezialbibliothek außerhalb Siebenbürgens. Sie wird von Studenten, Doktoranden, Wissenschaftlern und Heimatforschern aus dem In- und Ausland intensiv genutzt. Das Archiv bewahrt und erschließt Nachlässe von Personen der Zeitgeschichte, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Künstlern sowie sonstige Dokumente, beispielsweise zur Ortsgeschichte oder zur Genealogie. Daneben wird ein umfangreiches Fotoarchiv gepflegt.
Durch die Knappheit öffentlicher Gelder für die Siebenbürgenforschung ist diese in ihrer Existenz gefährdet. Dieser Gefährdung entgegenzuwirken ist der Zweck der Siebenbürgischen Bibliotheksstiftung.
Lediglich die Zinserträge dürfen bei dieser Stiftung für Sachausgaben und qualifiziertes Personal ausgegeben werden, so dass die Stiftung ceteris paribus in alle Ewigkeit funktionieren kann. Die Siebenbürger Sachsen, deren Gemeinschaftsgeist heute vielleicht ihr bemerkenswertester Wesenszug ist, dürfen sich dieser Aufgabe nicht entziehen.
Für Anfragen stehen das Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim, Schloss Horneck, D-74821 Gundelsheim, Telefax: (0 62 69) 42 10 10, oder der Stiftungsvorstand mit Martin Guist und Georg Wilhelm Hietsch zur Verfügung.

Gustav Binder


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2002, Seite 8)

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