3. April 2002

Musik, die innere Gelöstheit bringt

Anton Schoendlinger auf CD: Die weißen Flecken auf dem Gebiet der siebenbürgischen und generell der südosteuropadeutschen Musikhistoriografie werden zunehmend kleiner und weniger. Vor allem die biografische Forschung hat in den letzten Jahren manches zuwege gebracht.
So erschienen monografische Arbeiten über Komponisten und Interpreten, wie Valentin Greff Bakfark, Georg Ostermayer, Gabriel Reilich, Johann Sartorius, Daniel Croner, Philipp Caudella, Carl Filtsch, Waldemar von Baußnern, Rudolf Lassel, Paul Richter, Victor Bickerich, Franz Xaver Dressler, Norbert von Hannenheim, Heinrich Neugeboren/Nouveau und Rudolf Wagner-Regeny. Der Siebenbürger Richard Witsch arbeitet zurzeit an einer Monografie über den donauschwäbischen Komponisten Anton Schoendlinger (1919-1983).
Vermehrt entstanden auch Tonträger mit Musik deutscher Komponisten aus Südosteuropa. Die jüngste CD brachte Witsch als Edition des „Institutes für deutsche Musikkultur im östlichen Europa“ (IME) mit folgenden Kammermusikwerken Schoendlingers heraus: Sonate für Viola und Klavier, das Zweite Streichquartett, die Zweite Sonate für Violine und Klavier und das Dritte-Streichquartett, vier Werke, die sich durch ihre Ähnlichkeit in Anlage und Aussage als Einheit darstellen. Auch die Spieldauer ist jeweils etwa gleich und erreicht zusammen eine knappe Stunde. Schoendlinger schrieb diese Musik zwischen 1954 und 1966.
Die durchweg jungen Interpreten, Absolventen bedeutender italienischer Musikhochschulen, haben sich in dem seit einigen Jahren erfolgreich agierenden „Contemporanea Ensemble“ zusammengeschlossen: Lucio Degani und Anna Trentin (Violine), Alfredo Zamarra (Viola), Luigi Puxeddu (Violoncello) und Ferdinando Mussutto (Klavier). Die Aufnahmen entstanden im August 2001 im Südtiroler Toblach/Dobbiaco, produziert wurde die CD von der italienischen Firma Real Sound in Udine. Für den Begleittext zeichnet Richard Witsch.
Schoendlinger wurde, wie wir dem Begleittext entnehmen, am 12. November 1919 in Neudorf (Novo Selo) in der Batschka geboren. Der Krieg verschlug ihn nach Leipzig, wo er zwischen 1946 und 1950 an der Staatlichen Hochschule für Musik Komposition studierte. Von 1950 bis 1952 besuchte er Hanns Eislers Meisterklasse für Komposition an der Deutschen Akademie der Künste in Ostberlin. Mit einigen Unterbrechungen - beispielsweise als Lehrbeauftragter an der Berliner Hanns-Eisler-Musikhochschule - lebte Schoendlinger freischaffend und politisch unabhängig. Das war eine in der DDR seltene und mit nicht geringen Risiken behaftete Existenzform. Im März 1983 gelang es ihm, in die Bundesrepublik Deutschland auszusiedeln. Bereits am 16. August desselben Jahres starb er im württembergischen Giengen.
Schoendlingers Musik auf dieser CD kann man als „gemäßigt modern“ bezeichnen. Sie ist ausgesprochen neoklassizistisch geprägt, mit gelegentlichem folkloristischem Einschlag, also weder von spekulativ-konstruktivistischer, noch expressionistischer Faktur. Der tonal-modale Rahmen bleibt gewahrt, tradierte formale Muster garantieren gewachsenes Gefüge und Ebenmaß. Im Ausdruck hält sie die Mitte zwischen Emotionalität und Distanz, besticht durch Natürlichkeit und Ehrlichkeit, gewollte Effekte - welcher Art auch immer – oder aufgesetzte Manierismen und spektakuläre Äußerlichkeiten sind ihr zutiefst fremd. Im Rückgriff auf barocke Strukturen und kontrapunktische Satztechniken gestaltet sich das Zusammenspiel von Melodie-Instrument und Klavier zu einem ästhetisch anregenden, kompositorisch ausgezeichnet geformten polyphonen Zwiegespräch. Charakteristisch sind die beherrschenden, wunderbar ausschwingenden Kantilenen. Es gibt gewiss bedeutendere und eigengeprägtere Werke in der neueren deutschen Musik, doch der bewundernswerte und wohltuende apollinische Gestus, die abgeklärte Serenität, die Ausgeglichenheit, bezaubernde Leichtigkeit, reizvolle Beschwingtheit, die Transparenz und das In-sich-Ruhende der Musik Schoendlingers, auch die entsprechenden und gekonnt eingesetzten kompositorischen Mittel, rechtfertigen die besondere Aufmerksamkeit, die wir darauf zu richten haben. Dem Hörer – sei er einschlägig vorgebildet oder nicht - erschließt sich eine Dimension der Ruhe und Beschaulichkeit, des Verweilens und der Kontemplation, des Gelöstseins und des seelischen Ausgleichs. Das vital-virtuose Element wird nicht ausgeklammert – Allegro vivo als Satzbezeichnung ist mehrmals vorgeschrieben -, doch auch darin waltet überlegene Beherrschtheit, das Primat ästhetischer Bedingtheit mit metrisch-rhythmisch geordneten Abläufen.
Das alles hörbar und spürbar gemacht zu haben, ist das Verdienst der von Witsch herangezogenen Interpreten. Ihr Spiel, von vornherein ohne Fehl und Tadel, wird dem Charakter und der geistigen Beschaffenheit der vier Kammermusikwerke Schoendlingers in eloquenter Weise und in hohem Maße gerecht. Zu bemängeln sind einzig der verzerrte Schriftsatz der deutschen Fassung des viersprachigen Begleittextes und einige Druckfehler. Doch das sind Nebensächlichkeiten.

K. T.



Die CD „Anton Schoendlinger“ ist zum Preis von 16 Euro über den Fachhandel zu beziehen oder per E-Mail musikw@st-online.net oder bei Musikwelt, Sprakelerstraße 370, 48159 Münster, Telefon: (02 51) 26 50 4-4, Fax: (02 61) 26 50 4-50.

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