9. November 2000

Schulgeschichte Siebenbürgens nach 1944 erforscht

Mitte Oktober fand in München in Zusammenarbeit mit dem dortigen Haus des Deutschen Ostens ein Seminar der Sektion Pädagogik und Schulgeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde zum Thema "Schule nach 1944" statt. Über 30 Teilnehmer waren der Einladung von Professor Dr. h.c. Walter König gefolgt, der sich seit Jahren um die Erforschung des siebenbürgisch-sächsischen Schulsystems und seiner Geschichte verdient macht.
Nach der Begrüßung durch den Hausherrn (HDO) Udo W. Acker informierte König über den Stand der Dokumentation, die er 1995 anlässlich des ersten Seminars zum genannten Thema ebenfalls in München angeregt hatte. Die damaligen Teilnehmer (teilweise die gleichen des diesjährigen Seminars) waren Grundschullehrer oder Fachlehrer der verschiedenen Gymnasialstufen ("Professoren"), ehemalige Schulleiter, Direktoren und "Inspektoren". Sie sollten eigene Erfahrungen und Erinnerungen, eigenes Wissen im Zusammenhang mit einer noch zu schreibenden Schulgeschichte festhalten und sie der Materialiensammlung im Dokumentationszentrum Gundelsheim beifügen. Dort können und sollen sie danach der Forschung zur Verfügung stehen.
Die Dringlichkeit solcher Sammel- und Archivierungstätigkeit wird vom Schnelllauf der gegenwärtigen europäischen Geschichte nach der Wende in Osteuropa, von der Generationenablösung, nicht zuletzt jedoch auch von der menschlichen Schwäche, die Vergesslichkeit heißt, bestimmt: "Quod non in actibus, non in mundo", mahnte König.
Einen Teil der bereits nach jenem ersten "Aufruf" eingegangenen Arbeiten stellte er denn auch exemplarisch zwecks Anregung in München zur Schau. Es handelt sich dabei um so unterschiedliche Formen wie Schulberichte, Dokumentation der Tätigkeit von Lehrern und Schulleitern nach 1944, Lebensläufe eines Matura-Jahrgangs, die Schilderung von Prüfungsverläufen, Sport- und Freizeitaktivitäten in einzelnen Schulen nach 1944, Lehrbücher, Facharbeiten und Fotomaterial.
Die Teilnehmer des Seminars waren sich einig, dass auf solche Weise Zeitgeschehen festgehalten werde, das weder in Büchern noch offiziellen Verlautbarungen des rumänischen Unterrichtsministeriums zu finden sei. Erst viele, die vielen "Geschichten" Einzelner machen eine Geschichtsschreibung möglich, die sich nicht nur über Daten und Fakten der "historischen Wahrheit" nähert. Im Falle der deutschen Schulen in Rumänien nach 1944 muss allerdings in beiden Richtungen gesammelt werden: sowohl die Daten als auch das Wissen um die Hintergründe von Daten in Zeiten der Diktatur.
In der Vielfalt lag die Würze der Münchner Berichte und vorgetragenen Arbeiten. So dokumentierten mehrere Referenten bestimmte Zeitabschnitte ihrer Lehrertätigkeit oder auch einzelner Schulen: Michael Markel Die Geschichte der Klausenburger deutschen Schule nach 1944, Edda Gross Die Brukenthalschule zwischen 1965 und 1978, jene Zeit nämlich, während der sie dort das Amt der Schulleiterin innehatte. Jutta Caplat stellte ihre Arbeit als Schulleiterin der Schellenberger Allgemeinschule zwischen 1967 und 1977 dar. Hans Gerhard Pauer, Geschichtelehrer am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Leverkusen, berichtete über die Dokumentationsarbeit der Schüler seines Leistungskurses zur Geschichte des Mediascher Gymnasiums, ein zweites interessantes Projekt nach der bereits erfolgreich abgeschlossenen Dokumentation zur Schäßburger Bergschule.
Über Ziele, Inhalte und schöne Ergebnisse der Schülerfachzirkel in wechselvollen Zeiten dirigistischer Schulpolitik lieferten Gustav Servatius (zwischen 1947 und 1982 Fachlehrer für Biologie am Axente-Sever-Gymnasium (heute Stephan-Ludwig-Roth-Gymnasium) in Mediasch und Ingmar Brandsch, Geschichtelehrer ebenda, interessante Einsichten.
Hans Georg Killyen (ehedem Biologielehrer in Tartlau, danach Fachleiter am Institut für Lehrerfortbildung in Kronstadt) und Gudrun Schuster (bis 1987 Deutschlehrerin am Honterus-Gymnasium ebenfalls in Kronstadt) legten Versuche zum Thema Schule und Ideologie im kommunistischen Rumänien vor, wobei Ersterer einen folgenreichen zeitlichen Einschnitt zwischen 1959 und 1965 markierte und Letztere Grenzen und Folgen von Vereinnahmung thematisierte. Beide Referate waren um Systematik in der Herangehensweise an dieses schwierige Thema bemüht.
Zum Teil anrührende, auf jeden Fall aufschlussreiche Erlebnisberichte über die Gratwanderung zwischen Anpassung einerseits und Abschwächung kommunistischer Einflussnahme andererseits oder deren Umgehung und Ausklinkung, bzw. über das stille Einvernehmen zwischen Schülern und Lehrern jenseits der von außen aufgezwungenen traditions- und mentalitätsfremden politischen Akklamationsrituale lieferten Gerda Bretz-Schwarzenbacher, Werner Kuchar, Mathias Möss und Hermann Schmidt. Schmidt formulierte seine wertenden Einsichten in das Thema aufgrund von Erinnerungen ehemaliger siebenbürgisch-sächsischer Dorfschullehrer und -leiter, die 1946/47 nach Front- oder Zwangsarbeitsjahren in der Sowjetunion am Hermannstädter Seminar "inskribierten". Den Spagat zwischen Berufsethos und Forderungen politischer Willkür seitens lokaler rumänischer Parteifunktionäre hatten die ehemaligen Lehrer in einer Festschrift anlässlich ihres 50-jährigen Absolventenjubiläums geschildert: Zwischen Hammer und Amboss.
Mehrere Manuskripte wurden eingeschickt, da ihre Verfasser am Seminar nicht teilnehmen konnten (z.B. Prof. Dr. Heinz Brandschs Erinnerungen an das Abitur im Jahre 1947, Richard Mildts Text über sein Verhältnis zu seinen rumänischen Lehrerkollegen).
Im zweiten Teil des Tagungsprogramms kamen zwei Vertreter aus Rumänien zu Wort. Gerold Hermann, heutiger Leiter der Brukenthalschule in Hermannstadt, sprach über Wandel und Kontinuität in "seiner" Schule. Seine Ausführungen zeigten in überzeugender Weise, dass sächsische Schultradition unter radikal veränderten Voraussetzungen, wie der Exodus der Siebenbürger Sachsen eine ist, selbstverständlich nur in veränderter Form weitergegeben werden und weiterleben kann.
Martin Bottesch, Leiter des seit 1998 funktionierenden Fortbildungsinstituts für Lehrer in Mediasch, schilderte anschaulich die Entwicklung einer Idee sowie Etappen und Hürden ihrer Verwirklichung: die Gründung des Instituts.
Alles in allem - ein fruchtbarer Informationsaustausch, anregende Diskussionen, kritische Anstöße zum Weiterdenken und -sammeln und nicht zuletzt: unverzichtbares Teilchen zum großen Puzzle, das Ausgangspunkt für die Geschichte der deutschen Schulen im kommunistischen Rumänien sein wird.
Der tiefgründige Anfangssatz aus Martin Walsers Roman Ein springender Brunnen, von Walter König zur Einstimmung ins Thema zitiert, ließe sich auch als Fazit der Vorträge und Wortmeldungen anführen: Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte. Allerdings ist man dem näher. Obwohl es die Vergangenheit, als sie Gegenwart war, nicht gegeben hat, drängt sie sich jetzt auf, als habe es sie so gegeben, wie sie sich jetzt aufdrängt....

Gudrun Schuster

Bewerten:

2 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.