27. August 2012

Mit Heckenscheren gegen den Zahn der Zeit - Ein Reisebericht der HOG Zendersch

Unerbittlich tropft kalter Frühlingsregen auf das Autodach. Der Scheibenwischer kämpft sich seit Stunden monoton voran, draußen ziehen Pappeln stumm am Wegesrand vorbei. Es ist Mai, sprichwörtlicher Wonnemonat – doch dieses Jahr ist er wahrlich keiner in Rumänien. Der Osten des Landes, jenseits der Berggipfel, versinkt in gewaltigen Fluten und auch innerhalb des Karpatenbogens ziehen seit Wochen unförmige Wolkentürme heran, stauen sich an den schroffen Hängen und regnen sich zornig ab. Das Wetter, so hoffen wir, wird sich in den nächsten Tagen bessern. Wir sind schließlich in einer Art missionarischer Tätigkeit hier – abgesandt von der HOG Zendersch, bepackt mit allerlei Werkzeug und Utensilien.
Der Plan sieht vor, den in die Jahre gekommenen Friedhof und das Gattertor in Zendersch auf Vordermann zu bringen. Regen, so sind wir uns alle einig, wäre hierfür der schlechteste Begleiter. Also erhaschen wir einen letzten Blick auf die Wetterprognosen in den mitgebrachten Smartphones, ehe sich die Netzverbindung kurz vor der „Firma“ verabschiedet: Siehe da, das Wetter wird sich tatsächlich bessern. Na also, jubeln wir mit einem verstohlenen Blick nach oben und recken uns die Müdigkeit aus den Gliedern. 17 Stunden sind wir nun unterwegs und die letzten Kilometer ziehen sich schier endlos. Vorsichtig umfahren wir die Pfützen auf der holprigen Landstraße. In der Ferne schälen sich die Umrisse des Dorfes aus dem Morgendunst. Es ist noch früh, der Tag kaum angebrochen und die Sonne lässt sich nur erahnen hinter dem grauen, trüben Schleier am Himmel. Gummistiefel, ruft einer, hat jemand an Gummistiefel gedacht? Fragend schaut man sich an. Es hat wohl keiner. Wir sollen dennoch fündig werden – in der Koprativ, wo sie extra für uns einige Paare besorgt haben. Auf dem Weg hinauf zur Kirche und dem Friedhof sind wir ihnen erst recht dankbar, denn zwischen den Pfützen haben sich schmale Rinnsale gebildet, der lehmige Boden ist matschig und aufgeweicht und klebt an den Sohlen wie feuchter Zement. Hin und wieder schaut jemand aus einem Fenster oder lugt durch das Eingangstor. Einmal ruft eine Stimme unsere Namen, altbekannte Hände werden geschüttelt, Neuigkeiten ausgetauscht. Es hat sich bereits herumgesprochen, dass wir angekommen sind. Wir werden freundlich aufgenommen, man ist froh, dass sich ab und zu jemand in die alte Heimat verirrt, auch wenn diesmal wenig Zeit bleibt für Geselligkeiten. Man wird sich dennoch irgendwo über den Weg laufen im Dorf – es ist ja nicht so groß.
Der Weg auf dem Zenderscher Friedhof wurde ...
Der Weg auf dem Zenderscher Friedhof wurde erneuert.
Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen. Nur die Wolken halten sich hartnäckig. Das Gras auf dem Friedhof war geduldig. Es ist gewachsen. Schafgarbe, Sauerampfer und Hahnenfuß recken ihre Hälse zum Licht, dazwischen die Grabsteine, die nur knapp über die gräserne Oberfläche hinaus ragen. Ergeben warten sie, oft bedeckt mit Efeu, sodass sich die Schriftprägung nur noch vage erahnen lässt. Rasch befreien wir sie mit großen Heckenscheren und machen uns an die Wucherungen rund um den Tornazien. Hier hat sich urwaldartig ein gewaltiges Gebüsch hochgeschraubt. Jemand sägt mit einer Motorsäge an einem Baumstumpf, die Luft riecht nach Benzin und feuchtem Gras. Zwischen den Wolken spickt nun ab und zu die Sonne durch. Sofort legt sich eine unangenehme Schwüle über das Land. Der Schweiß läuft uns den Nacken hinab, die Hecken lichten sich gemächlich, die Grundmauern des Tornazien – längst in sich zerfallen – kommen wieder zum Vorschein. Wir suchen etwas Schatten unter einer Linde, weiter unten graben Arbeiter einer rumänischen Baufirma einen Kiesweg zu uns hinauf. Wir hören, wie sie schnaufen, sich auf Ungarisch unterhalten, während sie ihre Hacken in den Grund hinein treiben. Sie sind fleißig, versprechen uns, bis zu unserer Abreise mit den Arbeiten an dem Weg fertig zu sein, denn auch ihnen hat das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir dokumentieren alles, sind spendabel, unser angebotenes Bier lehnen sie jedoch ab – der Arbeitsschutz! Es scheint, als sei die EU auch hier angekommen.

Zufrieden ziehen wir weiter, hinunter zum metallenen Gattertor, welches den Fußweg zum Friedhof freigibt. Rote und gelbe Rostflecken haben die Oberfläche zerfressen. Stundenlang schleifen wir das Metall ab, bürsten die Späne heraus, streichen frische Farbe darüber und machen stolz Bilder davon, als seien wir Großwildjäger und das Gattertor unsere erlegte Trophäe. Manch einer hält uns für verrückt, als er uns posieren sieht. Für wen machen sie das, fragen sie sich. Und dann muss ich unweigerlich an die alte Frau denken, die ich am Tag zuvor traf. Wann wir wiederkommen, hatte sie mich mit einem wehmütigen Blick gefragt. In meiner Verlegenheit tat ich so, als hätte ich den tieferen Sinn der Frage nicht verstanden. Nächstes Jahr, sagte ich in gebrochenem Rumänisch, im nächsten Jahr komme ich wieder. Und dann ließ sie mich lächelnd stehen, alleine mit meinem Versprechen.

Frank Gross

Schlagwörter: Zendersch, Reisebericht

Bewerten:

16 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 28.08.2012, 18:50 Uhr von Georg Fritsch: ich finde es mehr als grosartig ! Ich Ahne Heuer auch am Felldorfer Friedhof gearbeitet. nun hat ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.