24. April 2011

Der Wahrheit ein Stück näher bringen

„Der Wahrheit ein Stück näher bringen“ – es war das Credo des Karikaturisten und Grafikers Rudi Schmückle, der am 5. April 2011 im Alter von 71 Jahren in Hermannstadt verstorben ist.
Man kann nicht einfach erheitert lachen, wenn man die Karikaturen Rudi Schmückles betrachtet, denn diese unverwechselbaren Bilder der Übertreibung durch Reduzierung mit virtuosem Federstrich, sie üben gleichzeitig einen ernsthaften Sog aus, diese Bilder, man muss sich dabei nicht nur auf eine Momentbetrachtung, sondern auf eine ganze Geschichte einlassen. Deren gelungene Pointe gestalten abwechselnd Ironie, Spott, manchmal Zynismus mit, aber auch letzterer erstaunlicherweise sehr gut erträglich, denn die Feder führt in jedem Falle ein im Grunde um allzu Menschliches wohl wissender Humor, der den unverwechselbaren Rudi-Schmückle-Stil mitschreibt.

Man wird auch nicht zum nostalgischen Wanderer in heimatlichen Gefilden, wenn man den Geschichtsraum seiner Veduten begeht: es sind Grafiken von Kirchenburgen, Mauerwerk, scheinbar nur noch vom akkuraten Tuschestrich assembliert und aufrecht gehalten, das bisschen Farbe entwich in Einzeldetails – „Farbe ist schön, aber im Ernstfall nicht nötig“ (R.Sch.).

Alle Zeichnungen Schmückles, wortwörtlich Zeichen-haft, fordern zur Entschlüsselung auf. Keine trägt einen Titel, der dabei hilfreich wäre, aber die beschriebenen Blätter offenbaren im Arrangement ihrer Symbole Einzelgeschichten, in toto: die Geschichte einer mythenlosen Gegenwart.

„Mit zweideutigen Zeichnungen hinters Licht führen, zur Gaudi der Unzufriedenen und zum Ärger der Obrigkeit“ (R.Sch), als Homo Politicus zeichnete schon der unbestechlich beobachtende Kunststudent Rudi Schmückle im damaligen sozialistischen Rumänien, als die Wahrheit nur unter dem Mäntelchen der Verschlüsselung, der Andeutung in der Vieldeutigkeit mitzuteilen möglich war. Erfolgreiches Übungstraining für einen, der ein Leben lang zwar nicht den Aufstand probte, aber das Lachen über gelungene Enttarnung „als Heilung“ wertete, wenn er die Menschen der Wahrheit, sei es auch seine Wahrheit, ein Stück näher zu bringen trachtete.
Der Karikaturist Rudi Schmückle 2009 bei der ...
Der Karikaturist Rudi Schmückle 2009 bei der Eröffnung einer seiner letzten Ausstellungen im Hermannstädter Gheorghe-Lazăr-Gym­na­sium. Foto: Holger Wermke
Mit Karikaturen im Neuen Weg war der 20-jährige gebürtige Hermannstädter 1960 an die Öffentlichkeit getreten. 1966 absolvierte er als Kunstgrafiker die Klausenburger Hochschule für Bildende Kunst, 1969 wurde er Mitglied im Verband Bildender Künstler Rumäniens. Erst Grafiker und Designer in Hermannstädter Unternehmen – seit 1968 veröffentlichte er auch in der Hermannstädter Zeitung – wirkte er dann 21 Jahre als Zeichenlehrer an der Heltauer Berufsfachschule für textiles Werken. 1990 wanderte er mit seiner Frau im Sinne der Familienzusammenführung nach Deutschland aus; er wurde in Freiburg ansässig. Es sollte nicht für immer sein.

Obwohl von Freunden begleitet und unterstützt, 1996 dem Verband der Bildenden Künste Deutschlands beigetreten, seit 1997 Mitglied des Weltverbandes der Karikaturisten (FECO), Einzelausstellungen und Veröffentlichungen, u. a. im Berliner „Eulenspiegel“, dem Künstler Rudi Schmückle schien die schöpferische Antriebskraft abhanden gekommen zu sein, weil er wähnte, seine in einer anderen Lebenswelt erlernte Sprache, die Mitteilung seiner titellosen Schmückle-Geschichten, würde hier, im Lebensraum einer anderen Geschichtserfahrung, nicht verstanden.

1998 kehrte er nach Hermannstadt zurück, renovierte das Elternhaus, sprach von einem immensen Lebenshunger und neuer Lebensfreude: „ich genieße das Leben und möchte zeichnen, zeichnen“. Er widmete sich ganz dem Zeichnen, designte, fasste seine „Rudi-cartoons“ in einem ersten Band zusammen, ergänzte seine über dreißig Einzelausstellungen im In- und Ausland mit weiteren, erhielt weitere Preise zu denen aus Rumänien, Österreich, Italien, Frankreich, Spanien, Kroatien, Israel, China hinzu und wünschte sich zu seinem 70. Geburtstag nur Gesundheit. Er wurde unheilbar krank und verstarb am 5. April im Hospiz des Carl-Wolff-Vereins in Hermannstadt. Der Vogel – viele Jahre im Käfig, dann frei, mit gerupftem Gefieder, aber immer noch mit kräftigem Flügelschlag auf dem Weg zur Wahrheit, war eines seiner Lieblingsmotive.

Karin Servatius-Speck

Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Graphik

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