6. Januar 2024

Wichtigster siebenbürgischer Musikverleger: Zum Tod des Kulturpreisträgers Frieder Latzina

Wie viel Musik wäre ohne ihn nicht erklungen? Wie viele Werke hätten nie das Licht der Welt erblickt und würden als Manuskript fern aller Öffentlichkeit im Archiv liegen? Frieder Latzina war, und das aus reiner Liebhaberei, der vielleicht wichtigste siebenbürgische Musikverleger. Alle, die ihn kennen, wissen: Der gebürtige Kronstädter war noch viel mehr. Nun ist er am 11. Dezember im Alter von 87 Jahren in seinem deutschen Heimatort Karlsruhe gestorben.
Frieder Latzina ...
Frieder Latzina
Frieder Latzina hat im Laufe seiner 25-jährigen Verlegertätigkeit nicht weniger als 170 Werke siebenbürgischer Komponisten herausgegeben, darunter neu entstandene Kompositionen von Helmut Sadler oder Heinz Acker – aber wesentlich auch historische Musik von Johann Lukas Hedwig bis Paul Richter und Ernst Irtel bis Norbert Petri. Carl Filtsch, Franz Xaver Dressler und viele andere nicht zu vergessen. Er schuf die Voraussetzung für Aufführungen und Aufnahmen, etwa bei der Musikwoche Löwenstein. So konnte Musik erlebbar werden für ein großes Publikum. Dazu arbeitete er eng zusammen mit den Interpretinnen und Interpreten, mit Hans Peter Türk und Kurt Philippi, Eckart und Steffen Schlandt, Ilse Maria Reich und Dieter Barthmes, Andrea Kulin und Heinz Acker.

Zurecht ist der begeisterte Laienmusiker, der sich mit Geige und Bratsche gerne ins Ensemble einfügte und nicht den Vordergrund suchte, 2020 mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis ausgezeichnet worden. Ironie der Geschichte, dass diese hohe Auszeichnung aufgrund der Corona-Pandemie nur in einer Online-Übertragung verliehen werden konnte. Zur Ehrung sah man den Kulturpreisträger entspannt mit Urkunde und Medaille im heimischen Wohnzimmer sitzen, ein hintersinniges Lächeln im Gesicht, wie man es von ihm kannte. Frieder Latzina hat sich der Musik ein Leben lang in vielfältigster Weise verschrieben – und mit ihr doch nie sein Geld verdient, nie verdienen wollen. Das gab ihm die Freiheit, Dinge anzupacken, die ihm Spaß machten, dies aber mit vollem Ernst und hoher Professionalität.

In ihrer Laudatio zur Verleihung des Kulturpreises hat die Kirchenmusikerin und Organistin Andrea Kulin, Leiterin der Siebenbürgischen Kantorei, zurecht auf den kulturellen Kronstädter Nährboden hingewiesen, auf dem der 1936 geborene Frieder Latzina aufgewachsen ist. Überall gab es Instrumente, wurde Kammermusik gemacht und gesungen. Die Mutter spielte ebenso Klavier wie die zwei Geschwister, darunter Anemone Latzina, die später eine bedeutende Lyrikerin werden sollte. In der zweiten Grundschulklasse nahm Frieder erstmals Geigenunterricht, zuerst privat bei der bekannten Kronstädter Geigerin Irene Krüger und dann am dortigen Konservatorium.

Er blieb seinem Instrument lange treu, spielte im Schülerorchester der Honterusschule und auch zu Studienzeiten im Studentenorchester und anderen Ensembles, sang im Bachchor. Beruflich orientierte er sich in eine ganz andere Richtung: Frieder Latzina studierte Maschinenbau, Fach Gießerei, und arbeitete von 1960 bis 1982 als Ingenieur in der Tractorul-Fabrik in Kronstadt. Doch auch dort war er musikalisch tätig: Er gründete zusammen mit anderen Begeisterten eine Bigband, die er mehrere Jahre leitete. Klavier hatte er sich autodidaktisch beigebracht und schon zeitig Stücke aus dem Radio einfach nachgespielt. Unvergesslich sind mir selbst Familienabende im Kreise der Kränzchenfreunde, bei denen Frieder Latzina mit meinem Vater Hansgeorg Killyen gemeinsam in die Tasten drosch.

Bereits 1961 hatten Frieder Latzina und seine Frau Irmgard, geborene Schuster, geheiratet. Zwei Kinder wurden dem Paar geschenkt, Helge im Jahr 1963 und Kerstin dann 1969. Schon in Siebenbürgen knüpfte Latzina Kontakte ins deutsche Karlsruhe, so dass er nach der Ausreise mit seiner Familie im Jahr 1982 in der badischen Landeshauptstadt sofort Arbeit in der Badischen Maschinenfabrik Durlach fand. Die Musik rückte für Latzina ab 1987 wieder stärker in den Mittelpunkt: Er wurde mit seiner Frau Gründungsmitglied der Siebenbürgischen Kantorei, deren Singrüstzeiten er bis 2017 organisieren sollte, und holte 1994 auch seine Geige wieder vom Schrank, um in einem kirchlichen Kammerorchester zu spielen.

Doch wie wird man nun Musikverleger? In besagtem Kammerorchester waren immer Noten gefragt, die Frieder Latzina mit seinem ersten kopierten Notenschreibprogramm bereitwillig erstellte. Zum 150. Todestag von Johann Lukas Hedwig, dem Komponisten des Siebenbürgenliedes, klagte der Musikwissenschaftler Karl Teutsch in der Siebenbürgischen Zeitung, nur wenige Werke Hedwigs seien bislang in Druck erschienen. „Das habe ich als Frührentner persönlich genommen und mich Stück für Stück darum gekümmert. Im Jahr davor hatte ich ja meine verlegerische Tätigkeit als Gewerbe angemeldet“, erzählte er mir 2013.

Im Jahr 2000 reiste er mit einem kleinen Kopierer im Gepäck nach Rumänien, um dort in Archiven in Kronstadt, Zeiden und Heldsdorf Kompositionen Hedwigs zu sichten. Über 70 Werke des Komponisten hat er im Laufe der nächsten Jahrzehnte herausgegeben. Zuletzt noch im vergangenen Jahr 2023 eine von Prof. Heinz Acker erstellte Fassung des Siebenbürgenliedes für Chor und Orchester, die zur Musikwoche Löwenstein unter Leitung von Andrea Kulin uraufgeführt und professionell mitgeschnitten wurde.

Als Leiter der Musikwoche war es für mich immer eine große Freude, mit Frieder zusammenzuarbeiten. Rasch und zuverlässig erstellte er Stimmen in allen gewünschten Transpositionen und für jegliche Instrumente, korrigierte in kürzester Zeit Fehler und übernahm persönlich sogar den Notenversand. Die Kosten für die Erstellung des Materials hat er uns meistens erlassen – sein Wunsch war, dass die von ihm vorbereiteten Werke auch erklingen konnten. Am Geld sollte das nicht scheitern. Zu den Höhepunkten seiner Arbeit gehörte sicherlich die Zusammenarbeit mit den Komponisten Helmut Sadler und Heinz Acker, aber auch die Edition der für das Reformationsjahr 2017 entstandenen Missa Coronensis, komponiert von Szalay Zoltán, Steffen Schlandt, Heinz Acker, Şerban Marcu und Brita Falch Leutert.

Sein krankes Herz zwang Frieder Latzina in den letzten Jahren dazu, kürzerzutreten. Es wurde stiller um ihn. Er stellte 2021 offiziell die Verlagstätigkeit ein und meldete das Gewerbe ab. Alle Noten übergab er uneigennützig dem Schiller Verlag, damit sie auch künftig für die Nachwelt verfügbar sein konnten. Was ihn nicht davon abhielt, noch die eine oder andere Aufgabe zu übernehmen, etwa die Herausgabe der von Heinz Acker eingerichteten Lieder von Carl Reich. Im Himmel wird er mit seinem schönen Tenor sicher verschmitzt den Gesang der Englein mitsummen. Und freundlich anbieten, die Engelsmusik in eine Notenausgabe zu fassen.

Johannes Killyen

Schlagwörter: Porträt, Nachruf, Musiker, Verleger

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