19. August 2010

Die sozialistische Zeit in Dan Lungus Roman „Die rote Babuschka“

Eine Babuschka mit rotem Kopftuch und Vampirzähnen grinst grimmig vom Buchumschlag. So grimmig ist dann die Hauptgestalt der Geschichte doch nicht, im Roman „Die rote Babuschka“ des rumänischen Autors Dan Lungu. Vielmehr hadert sie mit ihrem Schicksal, diese Frau namens Emilia Apostoae, Rentnerin und Mutter einer Tochter, die nach Kanada ausgewandert ist.
Alles beginnt mit einem Anruf der Tochter, Alice, der die Mutter in Unruhe versetzt. In ­einem langen Monolog erfahren wir dann die Geschichte von Emilia. Und wer den Kommunismus nicht miterlebt hat und schon immer mal wissen wollte, wie es da so zuging, der ist mit dieser sachlich-humorvollen, ja ironischen Erzählung bestens bedient. Emilia schildert in Bruchstücken mal ihre Kindheit im Dorf, mal die Arbeit in der Fabrik, mal was ihr jetzt, nach der Revolution, gerade passiert. Vor der Revolution hat sie noch Geld wie Heu besessen und in einer Fabrik gearbeitet. Gekommen ist sie vom Dorf, besser gesagt ist sie ausgerissen in die Stadt, zu ihrer Tante Lucreția und zu Onkel Andrei. Der Kommunismus hat eine Städterin aus ihr gemacht, hat Fabriken gebaut und sie vom Tezic-Machen befreit (eine Art Stroh-Kuhfladen-Kugeln, die zum Heizen benutzt wurden). Im Kommunismus hatte sie Arbeit, eine Wohnung und eine Butangasflasche – der Inbegriff von bescheidenem Wohlstand. So verteidigt Emilia das kommunistische Regime. Im Telefongespräch mit Alice, in dem es um die bevorstehende Wahl geht, muss die Mutter zugeben, ein altes Kommunistenweib zu sein, eine rote Babuschka, die sich den Kommunismus zurückwünscht. Emilia ist kommunistischer als ihre Tochter gedacht hätte, ja gar als sie selber es vermutet hätte. Dabei war sie früher gar keine richtige Kommunistin. Das waren vielmehr die Betonköpfe und die ewigen Jasager. Heutzutage, meint Emilia, verstünde man unter Kommunisten jene, die damals andere verfolgt hätten. Zu denen gehöre sie nicht. So ist sie eine Kommunistin zwischen den Stühlen, und wider Willen.

Natürlich wird die frühere Zeit nicht nur verklärt im Roman. In der Fabrik wird in Emilias Abteilung für den Export produziert. Deshalb hat sie eine Sonderstellung und die Arbeiter kön­nen sich unter anderem kühle Getränke leisten. Lebensmittel werden schwarz besorgt und unter der Hand aufgeteilt. „Wer schön fleißig die Klap­pe hält, der kann sich hier einen schönen Lenz machen, wer nicht, der bekommt einen Arschtritt als Abschiedsgruß“, sagt der Chef schon am ersten Tag zu ihr. Da ist vom Kampf um die Orangen die Rede und vom Aufwand, den man betreibt, wenn der Staatschef zu Besuch kommt. Letzteres wird von Dan Lungu detailgenau beschrieben und ad absurdum geführt. So gerät die Staatsvisite zur lehrreichen Farce über das kommunistische Regime im Allgemeinen. Und auch die heutige Zeit bekommt ihr Fett weg. Heute geht man in die Metzgerei, schaut sich die Koteletts an und lässt sie liegen, weil man kein Geld hat, so Emilia; die Neureichen haben sich die Betriebe unter den Nagel gerissen.

Der Monolog der Ich-Erzählerin wird allenfalls durchbrochen durch alte Witze über Ceaușescu, die der Onkel Mitu erzählt, der gegen Ende des Romans noch für eine Überraschung gut ist. Emilia verteidigt in ihrem Plädoyer ihr Leben von damals. Sie war eine, die von der sozialistischen Ära profitiert hatte, die nicht verfolgt wurde, die in die Partei eingetreten war, ohne groß Karriere zu machen, die mitgelaufen ist, ohne vom Kommunismus überzeugt gewesen zu sein, die sich nun in der neuen Zeit nicht wiederfindet. Eigentlich gab es viele Emilias, die den Sozialismus am Laufen hielten – hier in diesem Roman macht sich eine mögliche Mitläuferin zum ersten Mal Gedanken darüber.

Der Roman besticht durch seine abgeklärte, humorvolle Art, in der er die Zeit der sozialistischen Ära beschreibt und ihre Absurdität hervorhebt. So wirkt die dunkle Zeit als Satire; die Tragik wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Zugleich greift der Roman ein Problem auf, das in der rumänischen postrevolutionären Gesellschaft noch lange nicht gelöst ist: die Identitäts­suche einer ganzen Generation. Es handelt sich dabei um jene Mitläufer, wie eben Emilia Apostoae, die sich selbst nicht als „böse“ Kommunisten verstehen und in der neuen Gesellschaft Fuß zu fassen versuchen, ohne ihre Vergangenheit verleugnen zu müssen. Dazu liefert der Autor des Roman einen überzeugenden Denkanstoß. Dan Lungu, der in Iași als Soziologiedozent arbeitet, hat bereits mit seinem Roman „Das Hühnerparadies“ Aufsehen erregt; dieser wurde von der Kritik gelobt und in mehrere Sprachen übersetzt. Auch „Die rote Babuschka“ wurde bereits mehrfach übersetzt. Die deutsche Ver­sion stammt aus der Feder des Satirikers Jan Cornelius.

Edith Ottschofski


Dan Lungu: „Die rote Babuschka“, aus dem Rumänischen von Jan Cornelius, Residenz Ver­lag, St. Pölten, 2009, 248 Seiten, 21,90 Euro, ISBN: 9783701715114.
Dan Lungu: „Das Hühnerparadies“, aus dem Rumänischen von Aranca Munteanu, Residenz Verlag, St. Pölten, 2007, 208 Seiten, 17,90 Euro, ISBN: 9783701714834.

Schlagwörter: Rezension, Sozialismus, Rumänien

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