17. März 2011

Zum 150. Geburtstag des Musikers Rudolf Lassel

Das Nachleben des Kronstädter Organisten, Kantors, Pianisten, Chordirigenten, Musikpädagogen, Komponisten und Kirchenmusikdirektors Rudolf Lassel, eines der begabtesten, in seiner künstlerischen Persönlichkeit und seiner Wirksamkeit bedeutendsten siebenbürgischen Musiker, geboren in Kronstadt am 15. März 1861, steht heute im Bewusstsein des Publikums, der Musiker und Musikinteressierten im Schatten der beiden nach ihm in Siebenbürgen auftretenden, führenden, dominierenden, aber auch aufopferungsbereiten, hochgeachteten und gefeierten musikalischen Titanen Siebenbürgens Victor Bickerich (1895-1964) und Franz Xaver Dressler (1898-1981), ebenfalls Organisten, Chordirigenten, Pädagogen und Kirchenmusikdirektoren, Bickerich in Kronstadt und Dressler in Hermannstadt.
Ihr Wirken und ihre in ganz Siebenbürgen, auch bis Bukarest spürbare Strahlkraft während der Zwischenkriegszeit haben so starke und nachhaltige Eindrücke hinterlassen, sie haben auch das in der kommunistischen Zeit gegängelte, unterdrückte, behinderte, abklingende Musikleben der Siebenbürger Sachsen mutig prägend begleitet und hochgehalten, so dass Verehrung und Gedenken der Nachwelt offenbar zum Großteil davon absorbiert waren und für den verstorbenen Lassel fast kein Raum mehr blieb.

Die Verehrung für Lassel war während seiner Lebenszeit und unmittelbar nach seinem frühen unerwarteten Tod am 18. Januar 1918 noch ungemein stark und lebendig. Am 12. Februar 1918 konstituierte sich eine vom Kronstädter Männergesangverein initiierte „Rudolf-Lassel-Stiftung“, die den „Rudolf-Lassel-Preis“ ins Leben rief. Außerdem wurde ein Kuratorium zur Herausgabe von Lassels Werken gegründet. Allen war keine lange Lebensdauer und nur geringe Wirksamkeit beschieden. Das Kuratorium gab in Kronstadt eine Anzahl Lieder für Gesang und Klavier sowie und zwei Chöre (Bietklok und Ruhetal) heraus. Mehrere Vokal- und Orgelwerke wurden in Konzerten und Gedenkfeiern aufgeführt, einige gedruckt. Auch unter Victor Bickerich erklangen oft Lasselsche Kompositionen, in der Karwoche auch dessen Passionsmusik. Diese wurde 1931 in Wiesbaden aufgeführt. Das Chorwerk Gelübde erklang 1937 in Stuttgart, Tübingen und Berlin. Die Orgelwerke halten sich bis heute im Repertoire einiger siebenbürgischer Organisten. Sie sind seit neuem als Druckausgabe erhältlich: Präludium und Fuge c-Moll, Fantasie über "Ein feste Burg", Cornetto-Verlag Stuttgart, 1996 (Hg. Raimund Schächer). In Deutschland bemühen sich seit den 1980er Jahren das Siebenbürgische Musikarchiv Gundelsheim, der Arbeitskreis für siebenbürgische Landeskunde, der Arbeitskreis für südostdeutsche Musik und die Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa durch Konzertveranstaltungen, Tagungen, Vorträge und Editionen das Gedenken an Lassel aufrechtzuerhalten bzw. neu zu beleben. Es wurden einige Werke (Chorwerke, Kantaten, Lieder, Orgelmusik) aufgeführt, auf Tonträger eingespielt und veröffentlicht. Die Siebenbürgische Kantorei leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Pflege Lasselscher Musik. In der Siebenbürgischen Bibliothek (Musikarchiv) in Gundelsheim/a.N. liegen einige Werke auf: Lieder, Chorkompositionen, Orgelwerke, Psalmvertonungen, die Passionsmusik. Ebenso im Pfarramtsarchiv in Kronstadt und im Archiv der evangelischen Landeskirche in Hermannstadt.

Geschrieben wurde und wird über Lassel bedeutend mehr als über die beiden oben Genannten zusammen. Kleinere und größere monographische Arbeiten, veröffentlicht oder als Manuskript vorhanden, Abhandlungen, Aufsätze, Artikel, vermitteln zusammen ein umfassendes Bild des Musikers und Menschen, seines Wirkens und seines Schöpfertums. Autoren sind Gottlieb Brandsch, Victor Bickerich, Viorel Cosma, Franz Xaver Dressler, Carl Göllner, Egon Hajek, Christof Hannak, Franz Herfurth, Johannes Killyen, Ernst Kühlbrandt, Ferenc László, Erich H. Müller, Konrad Nußbächer, Richard Ernst Reichart, Wolfgang Sand, Georg Scherg, Hermann Schlandt, Eckart Schlandt, Friedrich Schuller, Karl Teutsch, Christian Thal, Hans Tobie, Hans Peter Türk, Manfred Wittstock.

Rudolf Lassel, um 1910. Auf dem linken Arm ist ...
Rudolf Lassel, um 1910. Auf dem linken Arm ist ein mit Tinte geschriebenes Autogramm des Künstlers zu erkennen. Foto: Fotografisches Atelier Muschalek (Bildarchiv Konrad Klein)
Die letzte größere monographische Darstellung (176 Seiten) über Lassel schrieb der junge, aus dem rheinischen Beuel stammende, an der Friedrich-Wilhelms-Universitär in Bonn ausgebildete Musikwissenschaftler Wolfgang Sand als Magisterarbeit 1995. Sie erschien in Buchform 1999 im Gehann-Musikverlag Kludenbach, unter dem Titel „Rudolf Lassel und die evangelische Kirchenmusik in Kronstadt (Siebenbürgen) auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert“. Darin ist neben dem anhängenden vollständigen Werkverzeichnis, ein „Literatur- und Quellenverzeichnis“ angefügt, das die gesamte bis zum Erscheinungsjahr entstandene Literatur zu Leben und Werk Lassels anführt., darunter auch Bücher, Schriften und Aufsätze aus Siebenbürgen, Deutschland, Ungarn und Rumänien, in denen Lassel im Zusammenhang mit anderen Themen oder in allgemeinen musikgeschichtlichen Ausführungen behandelt wird. Erwähnenswert sind auch die Jahresberichte der siebenbürgischen Musikvereine, Archive und Gymnasien sowie „Programme“, Kalender und Festschriften.

In seiner Rezension über die der umfassenden Arbeit von Sand hebt Johannes Killyen (Siebenbürgische Zeitung, 15. 5. 2000) zahlreiche Aspekte der Ausführungen Sands positiv und lobend hervor, bemängelt nur das Fehlen „einiger Bemerkungen zum Menschen Rudolf Lassel“, dem, wie Reichart anführt, „zu Lebzeiten das Glück zuteil wurde, in seiner Vaterstadt als Organist und Kantor, ja als Mensch nicht nur verehrt, sondern auch geliebt zu werden“. Über diesen Aspekt ist bei Hajek nachzulesen (siehe unten).

Hervorzuheben ist desgleichen die umfangreiche, umspannende Diplomarbeit (140 Seiten) in rumänischer Sprache von Christian Thal an der Klausenburger Musikakademie aus dem Jahr 1975 – sie nennt sich bescheiden „Beitrag zu Leben und Werk des siebenbürgischen Komponisten Rudolf Lassel“ –, als Typoskript herausgegeben am Conservatorul de Muzica „G. Dima“ Cluj-Napoca. Dem Hauptwerk Lassels, der 1901 uraufgeführten Leidensgeschichte unseres Herrn Jesu Christi für Chor, Solostimmen, Gemeindegesang und Orgelbegleitung (nach Matthäus 26, 27) – man spricht oft kurz auch nur von der Matthäuspassion oder der Passionsmusik Lassels –, stehen hier nur 6 Seiten zur Verfügung. Für den, der die Restriktionen politisch-ideologischer Art im kommunistischen Rumänien kennt, ist dies verständlich. Der auch in anderen Punkten besser, genauer und umfassender informierte Sand widmet diesem „beeindruckenden Werk von besonderer Bedeutung für die Kronstädter und siebenbürgische evangelische Kirchenmusik“, wozu auch der bis heute verhältnismäßig oft separat aufgeführte Teil „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“ auf Psalm 42 (UA 1900) gehört, 22 Seiten. Lassel hat diese dreiteilige Passionsmusik nicht vollendet, der geplante dritte Teil blieb ein Torso (wurde aber 1906 ohne die fehlenden drei letzten Sätze – Verurteilung, Tod und Begräbnis Jesu – aufgeführt). Die Gründe und Ursachen für den Abbruch der Komposition – oder sind Teile verloren gegangen ? – wurden zur Streitfrage für die Nachwelt. Dessen ungeachtet ist sie regelmäßig am Gründonnerstag als Ersatz für die tradierte Schütz-Riedel-Passion mit dem Schülerkirchenchor in Kronstadt aufgeführt worden. Ein besonderes Verdienst kommt in letzter Zeit dem Hermannstädter Bach-Chor, seinem Leiter Kurt Philippi und der Organistin Ursula Philippi zu, die das Werk aufgeführt und 2005 auf CD eingespielt haben. Johannes Killyen berichtet darüber in der Siebenbürgischen Zeitung vom 10. August 2005. Im Musiknotenverlag Latzina in Karlsruhe ist das handschriftlich bzw. in einem längst vergriffenen Kronstädter Druck von 1930 überlieferte Werk erschienen und somit verfügbar.

Im Besonderen zu erwähnen wären noch die Aufsätze von Egon Hajek Rudolf Lassel der Mensch, Rudolf Lassel als Tondichter (in Ostland, 1920, Heft 3-5) – darin auch ein nach Opuszahlen geordnetes erstes nahezu komplettes Werkverzeichnis – und Rudolf Lassel, zu seinem 100. Geburtstag (Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 1961), ferner das Kapitel über Lassel in Hajeks Buch Die Musik, ihre Gestalter und Verkünder in Siebenbürgen einst und jetzt (Siebenbürgische Kunstbücher Bd. 2, Kronstadt 1927) sowie die Artikel über Lassel von Christian Thal in der Zeitschrift Karpatenrundschau (1974). Nicht zu vergessen die Erinnerungen an Rudolf Lassel von dessen einstigem Schüler Reichart, erschienen in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern 1988/3.

Zu wenig Aufmerksamkeit erfahren im Schrifttum die Lieder Lassels. Es sind dies Lieder für Singstimme mit Klavier (auf Verse von Chamisso, Dahn, Ebner-Eschenbach, Eichendorff, Goethe, Heine, Hesse, Heyse, Mörike, Rückert, Uhland und siebenbürgischen Dichtern, u.a. Michael Albert) sowie Chorlieder, die – im Vergleich zu den größeren Chorwerken – ohne Aufwand gesungen und aufgeführt werden können. Einige reihen sich in den „siebenbürgischen Liederfrühling“ (Otto Folberth) ein, in eine Bewegung vom Ausgang des 19. Jahrhunderts und aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Schaffung und Verbreitung volkstümlicher Lieder sowohl in der Mundart als auch in der Hochsprache, zu der zahlreiche Laienmusiker und Komponisten Lieder beigesteuert haben, beginnend mit Hermann Kirchner und Georg Meyndt bis Lassel und Grete Lienert. Viele dieser Lieder sind tatsächlich zu Volksliedern geworden. Von Lassel wären zu nennen: „Ich bin ein Sachs, ich sags mit Stolz“, „Ich kenn ein Fleckchen auf der Welt“, „Wenn ich durch die Felder schreite“, „Heil Honterus“, „Sachseland, vun denge Berjen“, „Än der Himet“, „Himwih“, „Hieren ech de Bietklok logden“, „Ech wil, ech wer e Vijeltchen“, „Äm Fräjor kam e Vijeltchen“, „Äm Ma“, „Ech bän deng und ta bäst meng“. Sie sind teilweise zu finden in Siebenbürgen, Land des Segens (Hg. Erich Phleps), Lieder der Heimat (Hg. Norbert Petri), Siebenbürgisches Chorbuch (Hg. Karl Teutsch) oder in älteren Ausgaben. Lassel selbst präsentierte sie zumeist in mehreren Fassungen: für gemischten Chor, für Männerchor, für Singstimme und Klavier. Zu Lassels schlichteren Liedern für Singstimme und Klavier gehören „So bin ich gleich dem Spielmann“, „Ein kleines Lied“, „Still“ und „Freunde“, die 1992 im Rahmen einer Liederanthologie im Gehann-Musikverlag Kludenbach erschienen sind. (In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass das bekannte und beliebte, ästhetisch recht ansprechende Lied „Die Gipfel der Karpaten“ keine Komposition Lassels ist, sondern eines aus Reps gebürtigen, in Bukarest tätig gewesenen Lehrers namens Friedrich Binder. Lassel hat das Lied lediglich für Männerchor und für Singstimme und Klavier bearbeitet.)

Im Unterschied zu anderen siebenbürgischen Musikern (Valentin Greff Bakfark, Carl Filtsch, Waldemar von Baußnern, Norbert von Hannenheim, Rudolf Wagner-Régeny, Wilhelm Georg Berger, Dieter Acker, Hans Peter Türk) hat Lassel es nicht „geschafft“, in die großen und namhaften Musiklexika Eingang zu finden. Wir begegnen seinem Namen zwar im Österreichischen Biographischen Lexikon (Heft 21), im Kurzgefassten Tonkünstler-Lexikon (1936), in den Lexika Muzicieni Romani (Bukarest, 1970) und Muzicieni din Romania (1989) von Viorel Cosma, im Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen (Bd. IV) und im Lexikon der Siebenbürger Sachsen, nicht aber – wie jenen – in der weltgrößten und berühmtesten Musikenzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Kassel/Basel/London) mit dem legendären Kürzel MGG, auch nicht in Das große Lexikon der Musik (Freiburg/Basel/Wien) oder im Riemann Musiklexikon. Durch seinen frühen Tod ist Lassel auch nicht in dem ungewöhnlich umfassenden, 1929 in Dresden erschienenen Deutschen Musiker-Lexikon von Erich H. Müller zu finden, da dieses Lexikon nur die (damals) „lebenden deutschen Musiker“ berücksichtigt. Die siebenbürgisch-sächsischen Musiker, die in der MGG aufscheinen (was natürlich mit Stolz und Dankbarkeit registriert wird), sind zum Großteil diejenigen, die im Ausland wirkten und dort zu Ansehen kamen. Wenn wir an Lassels außergewöhnliche Begabung und sein überragendes Können als Organist, Chorleiter und Pädagoge denken, an das durch ihn vertretene hohe musikalische Niveau, sein elementares künstlerisches Profil, seine umfassende Bildung, sein hochprofessionelles, prägendes, in die Zukunft weisendes Wirken und an sein schöpferisches Werk, das auch in ganz Siebenbürgen und zum Teil in Deutschland bekannt wurde, müssen wir die Entscheidung der Herausgeber und Redakteure des Lexikons zu Ungunsten Lassels bedauern. Was Lassels Kompositionen betrifft, orientieren sie sich zwar an der deutschen Romantik und an Mendelssohn, sind mit dessen Tondichtungen aber in manchen Belangen durchaus zu vergleichen und haben ihre Eigenständigkeit. Johannes Killyen schreibt über den als Höhepunkt von Lassels Passionsmusik betrachteten Satz Harre auf Gott: „Hier steht Lassels Kompositionskunst derjenigen Mendelssohns – der sein großes Vorbild war – in nichts nach“.

Für die Leser, die sich fürs Erste und auf die Schnelle über Lassels Leben und Werk informieren möchten, sei im Folgenden der teils etwas gekürzte, teils ergänzte Wortlaut eines Artikels wiedergegeben, der für die MGG gedacht war, dort aber nicht aufgenommen wurde:

Von seinem Vater, dem musikkundigen und komponierenden Kronstädter Gymnasialrektor Franz Lassel, im Musikleben der Stadt aktiv tätig, erhielt Rudolf den ersten Klavierunterricht, ab seinem siebten Lebensjahr weiterführende Unterweisung im Klavierspiel von Johann Hedwig, dem Sohn des in Siebenbürgen bekannten Kronstädter Kantors und Komponisten Johann Lukas Hedwig, auf den die Melodie der siebenbürgischen Volkshymne „Siebenbürgen, Land des Segens“ zurückgeht), danach wurden die Kantoren Johann Friedrich Lurtz und Ottomar Neubner seine Lehrer in Klavier und Theorie. Als Gymnasiast begann er auch bereits zu komponieren, hauptsächlich Lieder. Auf Wunsch der Familie – sein Vater war 1876 gestorben – nahm er nach dem Abitur 1880 an der Universität Leipzig ein Theologie- und Philosophiestudium auf, brach es jedoch nach einem Jahr ab und studierte von 1881 bis 1883 am Königlichen Konservatorium in Leipzig Komposition und Theorie beim berühmten Salomon Jadassohn – der ihn sehr schätzte und lobte –, Orgel beim Thomasorganisten Carl Piutti, Klavier bei Johannes Weidenbach, Gesang bei Heinrich Klesse, Ensemblespiel bei Carl Reinecke, Musikästhetik und –geschichte bei Oscar Paul. Er wurde Leiter des Leipziger Akademischen Musikvereins und war mit dem namhaften Chordirigenten Karl Riedel, dem damals schon renommierten Dirigenten Felix von Weingartner und dem Organisten Paul Homeyer befreundet. In der öffentlichen Abschlussprüfung 1883 spielte er als Uraufführung auf der Orgel sein Opus 1 Nr. 1: Präludium und Fuge c-Moll („Gerade dieses Werk kann sich mit denen der ´Großen` der deutschen romantischen Orgelliteratur messen“, schreibt Wolfgang Sand). Nach Siebenbürgen zurückgekehrt, gab Lassel Privatunterricht und nahm eine sich bietende halbe Stelle als Gesangslehrer an einer Volksschule an, denn er musste sich und seine Mutter Auguste, geborene Bömches, die sein Studium mit Mühe finanziell getragen hatte, durchbringen. Der ältere Bruder Rudolfs war bereits im frühen Alter verstorben. Nach zwei Jahren bewarb er sich Lassel um die vakante Stelle des Musiklehrers an Gymnasium und Lehrerseminar in Bistritz, Ämter, die er Anfang 1885 antrat und kurz darauf auch die Chormeisterstelle im Bistritzer Musikverein übernahm. Er heiratete Bertha Gusbeth, mit der er sich in Kronstadt verlobt hatte. 1887 vom Presbyterium in Kronstadt zum Organisten, später auch zum Kantor und in der Vereinigung der beiden Ämter zum Musikdirektor der evangelischen Stadtpfarrkirche (der Schwarzen Kirche) sowie zum Gymnasial- und Seminarlehrer gewählt, engagierte ihn 1889 auch der Kronstädter Männergesangvereins als Chormeister.

Lassel gründete in Kronstadt 1894 in Anlehnung an den Leipziger Thomanerchor einen neuen „Schülerkirchenchor“, einen Knabenchor, der auch unter der Bezeichnung Honterus-Chor (nach dem siebenbürgischen Reformator Johannes Honterus) bekannt wurde. Mit diesem Chor konzertierte Lassel sowohl in der Kirche als auch bei Schülerkonzerten, schulischen Festveranstaltungen und öffentlichen städtischen Einrichtungen. Das Repertoire umfasste kleinere und größere geistliche und weltliche Werke aus allen europäischen Stilepochen. Lassel war auch tatkräftiger Förderer und zum Teil Initiator einer neuen Chorbewegung, auch im ländlichen Bereich.

Für das Amt des Thomasorganisten in Leipzig vorgeschlagen, fiel die Wahl 1902 auf Lassel und Karl Straube. Lassel lehnte eine Bewerbung zugunsten seiner Kronstädter Ämter ab. Im selben Jahr legte er sein Amt als Erster Chormeister des KMGV nieder und übergab es seinem Schüler Paul Richter, der als einer der herausragendsten Komponisten, Chor- und Orchesterdirigenten Siebenbürgens mit Ausstrahlung nach Rumänien und Deutschland in die Musikgeschichte des Landes eingehen sollte.

Als Organist leitete Lassel in Kronstadt die Pflege der barocken und der spätromantischen Orgelmusik ein, führte. Er war der erste, der seiner Hörergemeinde, neben Kompositionen von Liszt, Brahms, Reger, Alexander Guilmant, Joseph Rheinberger oder Gustav Merkel, konsequent Musik von Johann Sebastian Bach vor, führte. Er war aber noch nicht einer jener, später oft anzutreffender, gastierender Organisten. Lassel galt auch als Meister der selten gewordenen Improvisationskunst. Mit dem damals in Hermannstadt tätigen Organisten, Stadtkantor und Komponisten Johann Leopold Bella gab Lassel 1900 das Orgelbuch zum Gesangbuch der evangelischen Landeskirche heraus, er selbst aber improvisierte nach altem Brauch sämtliche Orgelvorspiele und Zwischenspiele im Gottesdienst. Lassel liebte es auch, in privaten häuslichen Kreisen, aber auch in Konzertvorführungen und Kirchenkonzerten zu improvisieren. (Erwähnenswert ist eine Improvisation im Rahmen eines Konzerts aus Anlass der Titanic-Tragödie 1912 auf die Melodie des Chorals, die von der Bordkapelle bis zum Sinken des Schiffs gespielt wurde.)

Mit dem Chor des Gesangvereins oder des Kirchenmusikvereins führte er die bedeutenden Vokalwerke der deutschen Musikliteratur auf, von Schütz, Praetorius und Gluck über Haydn und Mozart bis Brahms, Mendelssohn, Bruch und dem Leipziger Repertoire mit Moritz Hauptmann, Friedrich Richter, Riedel, Piutti oder Jadassohn (u.a. Mendelssohns Elias 1891, Bruchs Odysseus 1892, die Matthäus-Passion von Schütz/Riedel 1893, Die Schöpfung von Haydn 1896 unter Mitwirkung des Knabenchors, jeweils mehrere Aufführungen), wobei er neue ästhetische und interpretatorische Maßstäbe für Kronstadt setzte. Mit dem Schülerkirchenchor brachte er vor allem Psalmvertonungen und Motetten von Mendelssohn und erstmalig in Kronstadt auch Kantaten von Johann Sebastian Bach: 1907 Wachet auf, ruft uns die Stimme (BWV 140), 1914 Christ lag in Todesbanden (BWV 4), dazwischen Teile aus den Kantaten BWV 93, 6 und 1. Er war der erste, der das Kronstädter Publikum und die Kirchengemeinde Kronstadts an die Musik Bachs heranführte. (In Hermannstadt waren die ersten Bach-Kantaten, Actus tragicus und O ewiges Feuer, 1884 und 1885 unter Johann Leopold Bella erklungen, nachdem Hermann Bönicke bereits 1868 Teile aus dem Weihnachtsoratorium aufgeführt hatte).

Eigene Kompositionen Lassels fehlten im Konzertleben nicht. Sie erhielten zum Großteil lebhaften Zuspruch. Begehrt waren Lassels Vorträge über Chorleitung und zu musikhistorischen Themen sowie seine in den Zeitungen erscheinenden Einführungen in Werke, die aufgeführt werden sollten. Sehr gut angenommen wurden auch seine mit Musikbeispielen und konzertanten Darbietungen kombinierten Vorträge – heute würde man sie als „Gesprächskonzerte“ bezeichnen –, wie sie später Emil Honigberger mit seinen „Tondichter-Abenden“ und Ernst Irtel mit seinen „Komponistenstunden“ fortsetzten.

Wegen seiner pädagogischen und menschlichen Qualitäten war Lassel gesucht, geschätzt und beliebt. Begabte junge Kräfte, wie Paul Richter, Gerhard Jekelius oder die Geschwister Gmeiner (Ella, Lula, Luise, Rudolf) erfuhren durch ihn eine entscheidende Förderung und professionelle musikalische Ausbildung bis sie auf die Musikhochschule kamen. Richter nannte ihn „einen idealen Lehrer und unübertroffenen Pädagogen“.

Der deutsche Kaiser Wilhelm II. verlieh Lassel den Roten Adlerorden und Königin Elisabeth von Rumänien den Orden Bene merentis 1. Klasse. Lassel musizierte oft als Gast am Hof der musisch gebildeten und unter dem Namen Carmen Sylva dichtenden Königin deutschen Geblüts in Bukarest und Sinaia.

Lassels Gattin hatte vier Kinder zur Welt gebracht. Der jüngere von drei Söhnen litt an einer unheilbaren Gehirnerkrankung und starb mit zwölf Jahren. Der älteste, musikalisch außergewöhnlich begabte Sohn Erwin studierte Musik in Berlin, zog dann aber in den Krieg. Er fiel 1915 an der galizischen Front. Sohn Hans lebte in Hermannstadt. Die Tochter Hede (Hedwig), verheiratete von Bömches, hatte zwei Töchter, Leonore und Dorit, die sich in München niederließen.

Lassel starb unerwartet an den Folgen einer Lungenentzündung die vermutlich Folge einer winterlichen Erkältung in der (damals noch) nicht heizbaren großen Kirche war. Auf dem Totenbett hatte er begonnen, ein Gedicht zu schreiben, „Und soll denn geschieden sein“, konnte es aber nicht vollenden. Nach der zweiten Strophe bricht es ab. Lassels Grab befindet sich auf dem Innerstädtischen Friedhof in Kronstadt.

Der Komponist Lassel schrieb hauptsächlich Vokalmusik für seine berufliche Praxis. Stilistisch war er der deutschen Hochromantik verpflichtet; er hielt an tradierten Formen und Techniken fest. Im Ausdruck trägt seine Musik neue und eigenständige Züge, sie ist tiefempfunden, ehrlich, ansprechend.

Für die nach lexikalischen Gesichtspunkten konzipierte Werkliste fehlt hier der Raum. Außer den oben erwähnten Kompositionen seien noch einige kantatenähnliche Werke und Motetten genannt (z.T. herausgegeben bei Hug & Co. Leipzig): Bußlied, für Solo-Alt, Chor und Orchester oder Orgel 1894; Ständchen für Soli (Mezzosopran, Alt), Frauenchor und Klavier (Hug & Co., Leipzig); Motetten Laß dich nur ja nichts dauern für Chor und Solostimmen (Hug & Co., Leipzig) und Osterfreude „Das ist ein Grüßen hier und dort“ für Chor a cappella (Hug); Gelübde nach Friedrich Schiller für Männerchor, Solo-Bariton und Orchester oder Klavier (W. Hiemesch, Kronstadt); Geistliche Szene „Richte mich, Gott“ (nach Psalm 43) für Solo-Bariton, Vokalquartett, Männerchor, gemischten Chor und Orgel oder Orchester; Weihnachtslied „Was tönt so wundersamer Klang“ für Chor a.c. (Hug); Weihnachtsgesang „Als ich bei meinen Schafen wacht“ für Chor a.c. (Hug); Singspiel Amor im Pensionat; verschiedene Kinder- und Schullieder (Liederstrauß - Ein Liederbuch für Schule und Haus, 5 Hefte, H. Zeidner, Kronstadt).

Karl Teutsch

Schlagwörter: Musiker, Komponist, Geburtstag, Porträt, Gedenken

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