4. Mai 2011

Archivische Bestandserhaltung zum Spurenlesen

Am 24.-26. März 2011 fand am Institut für deutschsprachige Lehre und Forschung der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg die Tagung „Sichern – Erschließen – Erhalten. Überlieferungen zur deutschen Bevölkerung Rumäniens in europäischen Archiven“ statt. Dazu eingeladen hatten die Träger und Nutznießer eines Kooperationsprojekts: das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen, das Landesarchiv Baden-Württemberg und die Kreisdienststelle Klausenburg des Rumänischen Nationalarchivs (Serviciul Județean Cluj al Arhivelor Naționale).
Dr. Ioan Drăgan, Leiter des Klausenburger Archivs, Prof. Dr. Reinhard Johler, Leiter des Tübinger Forschungseinrichtung, Leitender Regierungsdirektor Heinz Baumann, Stellvertreter des Präsidenten des Landesarchivs Baden-Württemberg, und Prof. Dr. Rudolf Gräf, Prorektor der Babeș-Bolyai Universität, begrüßten die Teilnehmer und Gäste.

Der Direktor des Rumänischen Nationalarchivs, Dorin Dobrincu, eröffnete die Tagung mit dem Vortrag „Tradition, Aktualität, Perspektiven. Das Rumänische Nationalarchiv zu Beginn des 21. Jahrhunderts“. Sein Augenmerk lag auf dem systempolitischen Umbruch, der die Institution Archiv als Teil des gesellschaftlichen Gedächtnisses nach 1989 erfasst hat. Anhand von Beispielen analysierte der Referent die gegenwärtige Archivsituation und zeigte die Entwicklung von dem finsteren Machtinstrument der kommunistischen Ära zu einer modernen Dienstleistungseinrichtung im demokratischen Staat auf.
Blick in den Tagungsraum in Klausenburg. ...
Blick in den Tagungsraum in Klausenburg.
Mathias Beer (Tübingen) und Wolfgang Zimmermann (Karlsruhe) führten in „Genese, Ziele und Methoden“ des vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderten und im Spätherbst 2009 begonnenen Pilotprojekts ein. Dieses zielt auf die Sicherung zentraler Bestände in der Kreisdienststelle Klausenburg des Rumänischen Nationalarchivs ab und soll den Archivbenutzern den Zugang zu dokumentarisch wertvollen Archivquellen durch deren konservatorische Sicherung und archivische Erschließung ermöglichen.

Für das Pilotprojekt wurden zwei strukturell unterschiedliche Archiv- bzw. Teilbestände von überregionaler bzw. grenzüberschreitender Bedeutung ausgewählt: Bistritzer Stadtarchiv (Primăria orașului Bistrița) und Präfektur des Kreises Sathmar (Prefectura județului Satu Mare). Sie unterscheiden sich sowohl hinsichtlich des zeitlichen (Mittelalter bzw. Neuzeit), räumlichen (Fürstentum Siebenbürgen bzw. Partium) und institutionellen (mittlere Verwaltungsebene bzw. Stadtgemeinde) Bezugs, als auch ihres konservatorischen Zustands und enthalten jeweils typische Überlieferungsarten und -formen. Der Gesamtbestand des Bistritzer Stadtarchivs bezieht sich auf den Zeitraum 1291 bis 1880 und hat einen Umfang von 220 laufenden Metern. Allein der Teilbestand Reihe I Urkunden (Seria I Documente) umfasst 24820 Schriftstücke aus dem Zeitraum 1291 bis 1700. Die Anzahl der Archiveinheiten, die Aktengattungen, die Vielfalt der Aussteller, der Raumbezug wie auch thematische Inhalte weisen die Urkundenreihe als eine der wertvollsten der rumänischen Archive aus. Die Urkunden haben seit langem Eingang in die historische Forschung gefunden und waren Gegenstand mehrerer Quelleneditionen.
König Mathias bestimmt am 1. September 1478 in ...
König Mathias bestimmt am 1. September 1478 in Ofen (Buda), dass der Bistritzer Rat für Stadt und Distrikt Bistritz Gerichtsbehörde erster Instanz, der Hermannstädter Rat der Oberhof sei (Bestand Stadtarchiv Bistritz, Kreisdienststelle Klausenburg des Rumänischen Nationalarchivs)
Die Organisatoren verorteten die Tagung zugleich in einem größeren Zusammenhang. In der ersten, von Rudolf Gräf und Ladislau Gyémánt (Klausenburg) moderierten Sektion wurde auf wichtige Archivbestände zur Geschichte der Deutschen in Rumänien hingewiesen. Die Referenten, Historiker und Archivare aus Deutschland, Österreich, Rumänien und Ungarn nahmen ein breites Themenspektrum in den Blick. Robert Rill (Wien) präsentierte die flächendeckenden topographischen Landesaufnahmen Siebenbürgens vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. András Oross (Budapest) stellte Quellen der zentralen Budapester Regierungsbehörden im Zeitraum 1867 bis 1918 in archivgeschichtlicher und inhaltlicher Perspektive vor und machte dabei auf die beachtlichen Digitalisierungsfortschritte des Ungarischen Landesarchivs aufmerksam. Am Beispiel der Sammlung zweier Kronstädter Fotografen (Leopold Adler und Oskar Netoliczka) machte Kurt Hochstuhl (Freiburg) die Problematik des Mediums Bild als Speicher einer konstruierten Realität fest.

Mehrere Referenten widmeten sich dem Dokumentationswert siebenbürgischer Archivbestände. Konrad Gündisch (Oldenburg) verwies in seinen Ausführungen über das Archiv der Stadt Hermannstadt und der Sächsischen Nationsuniversität auf die Schnittstelle zwischen Archiv und Historiographie. Nachdem das Archiv seine politische und Rechtsfunktion verloren hatte, war es an der Entstehung neuer Gedächtnisformen beteiligt. Für das moderne siebenbürgisch-sächsische Identitätsnarrativ wie auch für weitere Quelleneditionen zur Geschichte Siebenbürgens war das „Urkundenbuch“ wegweisend. Wolfram G. Theilemann (Hermannstadt) verfolgte im engen Zusammenhang mit der zeitgeschichtlichen Entwicklung der Siebenbürger Sachsen und ihrer Kirche die Bestandsbildung an dem von ihm geleiteten Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, während Ioan Dordea sich mit Archivbeständen der siebenbürgischen Bergämter im habsburgischen Zeitalter (1691-1867) befasste. Ottmar Trașcă (Klausenburg) hat auf neue Quellen zur Zeitgeschichte der deutschen Minderheitengruppen hingewiesen, die er in den Archivbeständen zentraler rumänischer Regierungsstellen aufgespürt hat.

In einer zweiten Sektion befassten sich Gabriela Dumitrache (Bukarest), Alexandru Știrban (Karlsburg) Cornelia Bandow (Ludwigsburg) mit Methoden und Praxis bei der Konservierung und Restaurierung von Archivalien und Handschriften.

In der Schlussdiskussion bilanzierten Ioan Drăgan und der Berichterstatter das Klausenburger Projekt. Das Klausenburger Archiv hat die Grundausstattung für eine Restaurierungswerkstatt erhalten. Damit sind künftighin die ­infrastrukturellen und fachlichen Voraussetzungen für die Restauration von Pergament und ­älterem Papier, wie auch von Siegeln und Bild­dokumenten gegeben. Die Archivare und Restauratoren wurden in den Staatsarchiven Ludwigsburg und Freiburg wie auch am Ludwigsburger Institut für Erhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut in die Methoden und Möglichkeiten der Bestandserhaltung eingearbeitet. Bei den im frisch renovierten Clujana-Palast durchgeführten restauratorischen und konservatorischen Maßnahmen wurde ein besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit gerichtet. Durch Reinigen und Verpacken der Akten in neue säurefreie Papiertaschen und den Ersatz der alten Archivschachteln wurde der Zustand beider Sammlungen gefestigt. Die konservatorische Behandlung dieser Quellen bildet die Grundlage für die Anlage und Nutzung der archivalischen Findhilfsmittel, bis zu Bestandsübersichten und Spezialinventuren für die Auswertung der Dokumente in Quelleneditionen. Damit soll das Projekt dem Archivbenutzer – und darüber hinaus der historischen Forschung – unentbehrliche wissenschaftliche und praktische Hilfen liefern. Durch Aufarbeitung der Entstehungsstufen, Strukturelemente und Besonderheiten der Dokumente wurde eine wesentliche Voraussetzung für deren exakte Analyse und damit für den Nachweis von Authentizität im Rahmen der Quellenkritik geschaffen. Dabei kommt der Bestandserfassung mit einer einheitlichen Datenbank eine wichtige Funktion zu.

Nach der gemeinsamen Festlegung der Erschließungsrichtlinien und der Erfassungsmerkmale zur Erarbeitung der Findmittel für die beiden Pilotbestände wurde die Erfassung komplett vom Staatsarchiv Klausenburg durchgeführt. Die bereits vorhandenen Findmittel wurden eingelesen. Die Informationen aus dem Findbuch wie auch Metadaten auf den Archivschachteln wurden in Tabellenform (Excel-Datei) gespeichert. In einer einfachen Datenbank systematisch abgelegt, stehen sie dabei zur weiteren Bearbeitung und Erschließung durch das Staatsarchiv zur Verfügung.

Die Datenerfassung ist zwar noch nicht abgeschlossen, bis zum Jahresende sollen die zweisprachig (rumänisch / deutsch) angelegten Findmittel jedoch auch online recherchierbar sein.

Josef Wolf

Schlagwörter: Archiv, Klausenburg, Forschung

Bewerten:

9 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.