26. Juni 2011

Lied und Literatur beim Heimattag

Es ist längst gute Tradition unseres Heimattages, siebenbürgisch-sächsisches, lies siebenbürgisch-deutsches Kulturerbe in seiner Vielfalt zu präsentieren, gleichzeitig das wertvolle kreative Potential, für seine Fortführung so nötig, zu fördern, ihm Raum zu geben. Die Veranstaltung Lied und Literatur aus dem reichen Programm des diesjährigen Heimattages stand im Zeichen der glücklichen Fügung, dass Musik und Literatur, Lied und Dichterwort, die von Anfang an eins waren – seit Orpheus, seit Homer mit der Lyra – hier durch die Künstler einer Künstlerfamilie dargeboten wurden.
Es las aus seinem jüngsten Werk Hans Bergel, der bekannteste und produktivste, vielfach ausgezeichnete siebenbürgisch-deutsche Schriftsteller, Essayist mit enzyklopädischem Wissen und mutiger Publizist, der mit seinen Romanen die Thematik siebenbürgischer Geschichte des letzten Jahrhunderts in die europäische Literatur eingeschrieben hat. Es sang seine Tochter Hildegard Bergel-Boettcher, Mezzosopranistin mit weltweiten Auftritten, am liebsten „Liedersängerin“ (Hildegard Bergel-Boettcher) auch von Vertonungen siebenbürgischer Komponisten wie Paul Richter und Wagner-Régeny oder Felicia Donceanu, rumänische Komponistin unserer Tage, die Lyrik von Hans Bergel vertont hat. Begleitet wurde die Sängerin von Andrea Gatzke, Konzertgitarristin, Trägerin internationaler Preise, die sich auch mit siebenbürgischem Liedgut intensiv beschäftigt.
Hildegard Bergel-Boettcher (rechts) und Andrea ...
Hildegard Bergel-Boettcher (rechts) und Andrea Gatzke interpretierten siebenbürgisch-sächsische Volkslieder. Foto: Hans-Werner Schuster
Laut Literaturwissenschaft ist Erzählen, die Epik gleich Erinnern, die Wiedergabe von Erinnerung, und in einem Essay von Hans Bergel heißt es wie ergänzend dazu: „Musik ist die weheste Form von Erinnerung“. Nicht besser hätte man die Teile der Veranstaltung ,Erzählung und Lied’ zusammenbringen können. Hinzu kam noch, dass die Künstler beider Kunstbereiche siebenbürgisch-sächsischen Lebensraum aufleben ließen: Hans Bergel in zwei gleichnishaften Erzählungen der Erinnerung und die beiden Musikerinnen durch die Auslese von siebenbürgisch-sächsischem Volksliedgut. Im kurzen Prosastück „Die Wurzel oder Fürst Bismarck in den Südkarpaten“ aus Bergels jüngstem Erzählband „Die Wildgans“ (2011) vermittelt der Ich-Erzähler auf der Brücke der Erinnerung aus einer heilen Kindheit in die Gegenwart herüber leitend tiefe Heimatverbundenheit: Anhand des Geschehens um ein „Bismarck“-Taschenmesser, ein Schatz, den er als Kind im heimischen Obstgarten verlor und dann nach dem Sturz des Kommunismus wiederfand, durch dieses Dingsymbol, das er mit dem Symbol der Baumwurzel, die das Messer versteckt und gehütet hatte, verbindet, wird die Erzählung zum Gleichnis für tief wurzelnde Herkunftsverbundenheit.

Auch die kurze Erzählung „Novelle“ (Typoskript) ist als Gleichnis zu verstehen: Die Zugfahrt in Siebenbürgen des an einer Novelle schreibenden Schriftstellers, von Störungen behütet durch eine Zigeunerin, die nicht Sinti, nicht Roma sein will, aber das bunte Leben an sich darstellt, führt bildhaft an den abgründigen Schöpfungsprozess heran, der selbst dem bemühten Literaturwissenschaftler im Grunde fremd bleibt.
Autorenlesung Hans Bergel
Foto: Hans-Werner ...
Autorenlesung Hans Bergel Foto: Hans-Werner Schuster
Bei den Erzählungen Bergels wurde die alte Lust zu lesen wieder wach und bei der Darbietung der Volkslieder, in deren Liederbogen die Lesung eingebettet war, hätte man am liebsten mitgesummt. Letzteres verbot natürlich der Respekt vor der gekonnt professionellen, konzertanten Aufführung und verhindert hätte es auch das permanente stille Lächeln, mit dem man unbewusst mit Gesang und Wort mitschwang, mit dem man auch dem gestalterischen Herangehen an die Thematik der Lieder, der zurückhaltenden, aber so ausgewogenen und treffenden Gestik und Mimik der Interpretin sehr gerne gefolgt ist. Für jedes der bekannten volksliedhaften Lieder, die man mit den Namen Grete Lienerth, Ernst Thullner, Hermann Kirchner, Carl Reich, Joseph Lehrer und anderer bekannter Texter und Komponisten verbindet, ebenso für die echten Volkslieder wie „Wäld Vijelchen“, „Alle Birebimcher“, „Medche wällt te´n Kanter nien“ u. a. hatten Sängerin und Gitarrenbegleitung den entsprechenden Platz in der Liederfolge gefunden, vor allem auch einen individuellen und themengerechten Wiedergabe- und Darstellungsmodus. Die Begleitsätze und die Interpretation von Andrea Gatzke wurden der schlichten Weise eines Volksliedes gerecht, entnahmen ihm gleichzeitig eine Fülle von Ausdrucks- und Mitteilungsnuancen, die von Hildegard Bergel-Boettcher in siebenbürgisch-sächsischer Lautung konzertgerecht perfekt interpretiert wurden als Zeugnis hoher musikalischer Kultur. Kunstvoll und sehr professionell harmonisierend stellte sich das Duo dar.

Der warme Mezzosopran als Grundklang in der Stimme Hildegard Bergel-Boettchers verzauberte mit den schlichten Liedern und man verstand, dass dem Singen seit jeher eine Zauberkraft innewohnt, die bis heute in Sprachen als incantare, enchantement, charm, carmen, descintec genannt wird, dass Hans Bergel in einem seiner Essays über „die alles vermögende Kraft dieser Kunst“ sprach und Goethe sagte: „…kein Wort von der alten Zauberkraft der Musik ist mir unwahrscheinlich“.

Durch Jahrhunderte war die „Rokestuf“ Schutzraum für die Gemeinschaft gewesen, Lied und Wort ihre Bindemittel. Eine Brücke über Zeit und Raum hat auch diese Veranstaltung geschlagen, sehr gelungen, schön und stabil, auch weil sie mit guten Gedanken und guten Emotionen gebaut wurde, in Jahrhunderten einer wertvollen Tradition immer wieder erprobt.

Hildegard Bergel-Boettcher und Andrea Gatzke haben auch die Veranstaltung der Preisverleihungen am Pfingstsonntag in der St.Pauls-Kirche mit ihrem musikalischen Auftritt umrahmt und glanzvoll bereichert.

Karin Servatius-Speck

Schlagwörter: Literatur, Volkslied, Bergel, Heimattag 2011, Dinkelsbühl

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