27. Oktober 2025

Podiumsgespräch und Konzert zum Gedenken an Hans und Erich Bergel in Rosenau

Wie hoch schätzen wir die Redefreiheit, die Meinungsfreiheit als Wert – vom deutschen Grundgesetz in Artikel 5 verfassungsrechtlich geschützt? Wie sehr ist uns noch bewusst, dass diese Freiheit bis zum Fall des Eisernen Vorhangs in vielen Ländern ­Mittel- und Osteuropas eingeschränkt bzw. nicht vorhanden war? Dass die Stasi in Deutschland und die Securitate in Rumänien ein engmaschiges Netz von Spitzeln unterhielten, dass Abweichungen von der offiziellen, durch die kommunistische Führung vorgegebenen „Wahrheit“ verfolgt und mit Gefängnis bestraft wurden?
Podiumsgespräch in Rosenau, von links nach ...
Podiumsgespräch in Rosenau, von links nach rechts: Cosmin Budeancă, András F. ­Balogh, Ana Blandiana, Thomas Șindilariu, auf dem Bildschirm zugeschaltet Corneliu Pintilescu. Foto: Joachim Hellriegel
In Rumänien wie in Deutschland herrscht in der öffentlichen Wahrnehmung, 35 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der Eindruck vor, dies sei lange her, und vielleicht sei ja „nicht alles so schlimm“ gewesen. Umso wichtiger war das Podiumsgespräch, das am 24. August in Rosenau im Rahmen der 17. Ausgabe des Film- und Geschichtsfestivals stattfand: „In memoriam Hans Bergel, 100 Jahre nach seiner Geburt“.

Mit Ana Blandiana (Schriftstellerin, Präsidentin der Stiftung Academia Civică), Thomas Șindilariu (Historiker, Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen im ­Generalsekretariat der rumänischen Regierung), Dr. András F. Balogh (Professor für Deutsche Literatur aus Südosteuropa an der „Babeș-Bolyai“-Universität Klausenburg), Dr. Corneliu Pintilescu (Historiker am „George Bariţiu“-Institut für Geschichte der Universität Klausenburg) als Gästen und moderiert durch Dr. Cosmin Budeancă (Historiker, Leiter der Kulturstiftung Memoria, Bukarest) findet sich ein hochrangig besetztes Podium. Elke Raschdorf-Bergel ist als Ehrengast anwesend.

Cosmin Budeancă eröffnet das Podiumsgespräch „Worte in Ketten“ mit einer kurzen Würdigung der Person Hans Bergels, der „Prosaist, Essayist, Dichter, Übersetzer, Publizist, ehemaliger politischer Häftling und nicht zuletzt ein Kämpfer für die Menschenrechte war“. 1968 durch das kommunistische Regime ausgewiesen, waren Bergels erste Eindrücke nach der Ankunft in München Demonstrationszüge junger Menschen aus der Mittelschicht, die sogenannte Revolte der 68er, die für Mao, Lenin und Marx Sympathie bekundeten – unfassbar für einen, der den realen Kommunismus jahrelang erdulden musste.

Wie András Balogh erläuternd ausführt, war Bergels erstes Buch „Fürst und Lautenschläger“ (erschienen 1957 im Jugendbuchverlag Bukarest) Gegenstand einer Securitate-Anklage. Entscheidend belastet durch einen vermeintlichen Freund, war Bergel 1959 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden; nach einer Amnestie im Jahr 1964 war ihm bis zur Ausweisung verboten, als Journalist und Autor zu arbeiten.

Corneliu Pintilescu ordnet Bergels persönliches Schicksal ein in die generelle Verfolgung durch das kommunistische Regime in Rumänien, das durch eine Politik „präventiver Repression“ und politischer Schauprozesse nicht nur die deutsche und ungarische Minderheit, sondern auch die rumänische Intelligenz einschüchterte, um jegliches „subversives Denken“ im Keim zu ersticken.

Die Folgen dieser Einschüchterung schildert Pintilescu am Beispiel eines weiteren Angeklagten im Kronstädter Schriftstellerprozess, Andreas Birkner. Dieser sagte über die Wirkung der Zensur: es gibt „Werk[e] der rechten oder linken Hand. Die Werke der linken Hand sollten veröffentlicht, die anderen in einer Schublade aufbewahrt werden“.

Den „Geist der unbedingten Freiheit“, als im Erbgut der Siebenbürgischer Sachsen verankert, eines Volkes, das keinen Adel über sich hatte, sieht Thomas Șindilariu im „Andreanum“ von 1224 begründet, das spätestens seit 1422 auch im Burzenland in Kraft ist. Es ist ein wacher und kritischer Geist, den Hans Bergel wie wenige andere verkörperten. Als Bedrohung dieser Freiheit stand und steht die Unterwanderung deutscher „Friedenskomitees“ durch sozialistische Propaganda, um die Widerstandskraft des Westens zu schwächen, was von Teilen der westdeutschen Gesellschaft nicht gesehen wurde; die Deutschen waren in die Falle des kommunistischen Blocks geraten. Auch die von Bergel jahrelang geleitete Siebenbürgische Zeitung war, laut den Akten der CNSAS, ein wichtiges Ziel der Securitate.

Die Brücke zum heutigen Zustand der Meinungsfreiheit schlägt dann Ana Blandiana: „Außerdem bin ich der Meinung, dass dieses Buch („Tanz in Ketten“, Anm. d. Verf.) das einzige in der rumänischen Literatur nach der Revolution ist, das von innen heraus, d.h. in voller Kenntnis der Tatsachen, ein wahrheitsgetreues Bild der kommunistischen Unterdrückung in Rumänien zeichnet“, da, wie sie sagt, „die rumänische Literatur nach der Revolution … ihre Aufgabe, die wahren Bücher der kommunistischen Zeit zu schreiben, nicht erfüllt hat“.

„Die Freiheit in der freien Welt, … ist eine Freiheit, die im Begriff ist, zu zerfallen“, so habe es bereits Hans Bergel erlebt, so sei es heute, „durch die sogenannte politische Korrektheit, durch alle Formen von Woke- und Cancel-Kultur“. Enttäuschend für Blandiana ist, dass „es diesmal nicht die Staaten, nicht die Regierungen … sind, die die Zensur ausüben, sondern die Intellektuellen selbst. Jene die früher… dafür gekämpft haben, die Freiheit zu verteidigen, sich gegen jede Art von Zensur zu wehren…“, sind diesmal diejenigen, „die sie [die Zensur, Anm. d. Verf.] erfinden“.

Unter dem Beifall der Anwesenden zitiert sie den Friedensnobelpreisträger Lech Wałęsa, „dass früher die Freiheit der höchste Wert war, für den jeder überzeugt war, sein Leben geben zu können“, während er jetzt zu dem Schluss kommt, „dass von der Freiheit eher die Bösen als die Guten profitieren“.

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum, insbesondere mit jungen und ehemaligen Teilnehmern der „Astra“-Sommerschule, führt Thomas Șindilariu eine Lehre aus der jüngeren Vergangenheit in Deutschland an: wer nicht auf dem Boden der Verfassung stand, konnte nicht in den Staatsdienst übernommen werden, weswegen z.B. der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann in seiner Jugend Umwege machen musste. Șindilariu sieht sich einig mit Hans Bergel in der Überzeugung, „dass eine Demokratie nicht etwas ist, das man jedem überlässt, der ein paar hunderttausend Euro investiert, um sie zu ruinieren“. Und zitiert noch einmal Bergel: „Kein System fördert die charakterliche Erbärmlichkeit mehr als die Diktatur.“

Eine Teilnehmerin versucht zum Abschluss einen Blick in die Zukunft, mit der Frage an das Podium: „Wenn Sie sich das Rumänien in 30 Jahren vorstellen würden, in dem Hans Bergel gerne leben würde, wie würde es aussehen?“

Für Thomas Șindilariu ist Rumänien „das Land des interethnischen und interkulturellen Dialogs“. Ana Blandiana wiederum sieht die Gefahr von „zwei Europas“ – der Osten sei aufgrund seiner erlebten Leiden im Kommunismus immun, beispielsweise gegen eine Wiedereinführung der Zensur, wogegen im Westen junge Leute ohne diese Erfahrung diese Geschichten für abwegig halten. Dagegen empfiehlt Șindilariu eine Zentrale für politische Bildung, wie es sie in Deutschland gibt.

Corneliu Pintilescu fasst seine Antwort in dem Wunsch zusammen, „das Schicksal von Hans Bergel und sein Werk [als] Ermahnung zu verstehen, eine demokratische Erinnerung zu schaffen, ausgehend von den diktatorischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts“.

Cosmin Budeancă beschließt das Podiumsgespräch mit einer Einladung zum Konzert in der Evangelischen Kirche um 17 Uhr.

Der Wortlaut der Debatte wird in der Zeitschrift Memoria, revista gândirii arestate (Zeitschrift für inhaftiertes Gedankengut) veröffentlicht, voraussichtlich in Ausgabe 133, Dezember 2025.
Konzert zum Andenken an Hans und Erich Bergel in ...
Konzert zum Andenken an Hans und Erich Bergel in der evangelischen Kirche in Rosenau. Foto: Ioana Pop, Forum ARTE

Konzert der Musica Barcensis – In memoriam Hans und Erich Bergel

Organisiert von der Evangelischen Kirche in Zusammenarbeit mit dem forum ARTE fand am 24. August um 17.00 Uhr in der evangelischen Kirche Rosenau das vorletzte Konzert aus der Reihe Musica Barcensis statt, gewidmet dem Andenken von Hans und Erich Bergel. Der langjährige Konzertmeister der Klausenburger Philharmoniker Albert Márkos gab die Einführung mit einem Einblick in das Leben des Dirigenten Erich Bergel und das Programm des Abends.

Erich Türk, gebürtig aus Klausenburg, Organist und Professor an der Musikakademie „Gheorghe Dima“ in Klausenburg, spielte mehrere Werke von Johann Sebastian Bach, und als speziellen Höhepunkt einen durch Erich Bergel fertiggestellten Contrapunctus XIV aus der „Kunst der Fuge“, BWV 1080.

Über 280 Zuhörerinnen und Zuhörer lauschten der Darbietung, für die es am Ende langanhaltenden Beifall gab. Mit Baumstriezel, bereitgestellt von der evangelischen Kirchengemeinde Rosenau, endete der Nachmittag.

Renate und Joachim Hellriegel

Schlagwörter: Kultur, Bergel, Rosenau

Bewerten:

7 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.