9. Juli 2011

Sieben Ordensritter in Siebenbürgen

Eine Festveranstaltung zum Thema „60 Jahre Heimattag, 800 Jahre Burzenland“ fand am 11. Juni in der St. Paulskirche in Dinkelsbühl statt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann würdigte den Einsatz der ausgesiedelten Siebenbürger Sachsen sowohl in ihrer alten als auch neuen Heimat (siehe Festrede in Folge 10 vom 30. Juni 2011, Seite 4). Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, Leiter des Wissenschaftsbereichs Geschichte des Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg, beleuchtete die Bedeutung des Deutschen Ordens, der vor 800 Jahren vom ungarischen König Andreas II. ins Burzenland berufen worden war. Die Feierstunde wurde durch ein niveauvolles Konzert des Jugendbachchors Kronstadt un­ter der Leitung von Steffen Schlandt umrahmt. Kulturelle Programmpunkte und Kulturgruppen des Heimattages wurden vom bayerischen Sozialministerium über das Münchner Haus des Deutschen Ostens gefördert. Gündischs Festrede wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Es waren wohl nur sieben Ritter, die 1211 nach Siebenbürgen kamen, bestenfalls ein Dutzend. Sie bauten, besser gesagt: sie ließen fünf Burgen im Burzenland bauen, eine sechste jenseits der Karpaten, sie ordneten die Verhältnisse im Burzenland so gut es binnen kurzer Zeit ging, gründeten vielleicht die eine oder andere Siedlung und sie zogen vierzehn Jahre später wieder ab, nicht freiwillig, aber wohl kampflos, sich dem Willen eines machtbewussten Königs beugend, der sie einst gerufen und nun, 1225, fortgejagt hatte. Immerhin wird mit ihrem Namen die erste urkundliche Nennung einer Region in Siebenbürgen verbunden, die vielen unter uns Heimat war und wurde, der „terra Borza“, des Burzenlandes.

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Die wenigen Jahre reichten nicht aus, um nennenswerte Erfolge zu erzielen, und Ehre brachte die siebenbürgische Episode auch nicht ein, aber immerhin manche Lehre, die später von Nutzen gewesen ist. Keine berauschende Bilanz also, an die wir heute, am Heimattag der Siebenbürger Sachsen 2011, erinnern können, 800 Jahre nach Beginn und 786 Jahre nach dem Ende einer Präsenz, die – gemessen am neunten Jahrhundert unserer Existenz in Siebenbürgen – mehr als kurz war. Warum tun wir es trotzdem? Was sagen uns die Deutschen Ordensritter heute? Sagen sie uns was?

Bevor ich diese Fragen zu beantworten versuche, sei ein kurzer Überblick über das Geschehen geboten. Wir können es dank der 38 Urkunden rekonstruieren, die mein verehrter akademischer Lehrer und Landsmann Harald Zimmermann, ein herausragender deutscher Mediävist ediert, und untersucht hat – sein Grundlagenwerk ist soeben in zweiter Auflage erschienen. Wir können auch einiges dank der Ausgrabungen erfahren, die zuerst der bedeutende rumänische Mittelalter-Archäologe Radu Popa, ein Schäßburger übrigens, nach dessen viel zu frühem Tod sein Schüler Adrian Ioniță, in Marienburg am Alt unternommen haben. Diese haben nachgewiesen, dass die deutsche Besiedlung des Burzenlandes schon vor der Ankunft der Deutschherren begonnen hat, haben den Orden somit eines Verdienstes beraubt, der ihm lange Zeit hindurch zugeschrieben worden ist.

Schließlich können wir uns einiges zusammenreimen, wenn wir die Vorgänge verfolgen, die sich nach der siebenbürgischen Episode bei der Gründung des Deutschordensstaates an der Weichsel zugetragen haben und über die auch Chroniken berichten, die buntere, lebendigere Aussagen erlauben, als die spröden Dokumente.

Konrad Gündisch während seiner Festrede in ...
Konrad Gündisch während seiner Festrede in Dinkelsbühl. Foto: Christian Schoger
Solch eine Chronik, jene des Peter von Dusburg, erzählt, dass der spätere Landmeister Hermann von Balk im Jahre des Herren 1231 mit sieben Ordensrittern die Weichsel überschritt und noch im gleichen Jahr eine erste Burg im Kulmer Land baute – Thorn, das heutige Toruń. Wenn man nun annimmt, dass der Beginn der letztlich erfolglosen Ordensmission in Siebenbürgen so ähnlich verlaufen ist, wie jener, der den Beginn der erfolgreichen Staatsgründung im späteren Preußen einläutete, dann können wir von der eingangs genannten Zahl sieben ausgehen. Jedenfalls wissen wir, ebenfalls von Peter von Dusburg, dass Hermann von Salza, der herausragende Hochmeister der Jahre 1210-1239, zu Beginn seiner Amtszeit froh gewesen wäre, hätte er doch zehn rüstige Ritterbrüder unter Waffen gehabt.

Sieben Ordensritter also, die 1211 nach Siebenbürgen kamen, wohl unter der Leitung von Bruder Theodericus/Dietrich, dem einzigen namentlich bekannten Deutschherren unter jenen, die im Burzenland gewirkt haben. Ist das wenig oder viel? Mehr als man denkt jedenfalls, denn zu jedem Ritter gehörte ein Tross von rund 100 kriegstüchtigen Männern und Knechten. Mehr als man denkt, denn die wenigen Ritter waren es wert, dass ein König, Andreas II., nach Mai 1211 ein mit seinem goldenen Siegel, der Goldbulle, versehenes Privileg und 1222 ein weiteres ausstellte, dass drei Päpste, Honorius III., Gregor IX und Innozenz IV., nicht weniger als 24 erhaltene Urkunden verfassen und mit ihrer Bleibulle beglaubigen ließen, dass ein Kaiser, Friedrich II., sich mit ihnen befasste und ihr Hochmeister Hermann von Salza mit Kaiser, König und Päpsten auf Augenhöhe verhandeln konnte. Mehr als man denkt, denn die Ritter – ihre Zahl wuchs unter Leitung des erwähnten Hochmeisters auf immerhin rund 2000 – waren in der Lage, in Preußen binnen kurzer Zeit eines der fortgeschrittensten Staatswesen ihrer Zeit zu schaffen, dessen organisatorische Strukturen und Modernität in Wirtschaftsplanung und -rationalität berühmt waren. Mehr als man denkt, denn sie entwickelten eine militärische Schlagkraft, die zwischen 1211 und 1225 die kriegerischen Kumanen in die Schranken wies und ihnen Gebiet über die Karpaten hinweg bis zur Donau abnahm, das bedrohte „Lateinische Kaiserreich“ von Konstantinopel entlastete, ab 1226 die heidnischen Pruzzen vernichtete und weite Gebiete an Weichsel und Ostsee gewaltsam in Besitz nahm. Mehr als man denkt, waren die Deutschherren doch alsbald im Stande, ihr Herrschaftsgebiet durch Burgen zu sichern, wie es jene von Akkon im Heiligen Land war, damals Sitz des Hochmeisters, wie jene von Thorn an der Weichsel und von Marienburg an der Nogat, ab 1309 das Zentrum des Ordensstaates, wie jene von Marienburg am Alt, das wohl im Burzenland eine solche Position hätte einnehmen können, wenn sich die Ritter denn da hätten entfalten können.

Dieses „wenn“ ist ein Faszinosum, das auf uns Siebenbürger seinen Reiz ausübt, die Vorstellung, was denn aus dieser Region geworden wäre, wenn … Wäre in Siebenbürgen ein so großartiger Ordensstaat entstanden, wie in Preußen, der jahrhundertelang aktiv in der europäischen Politik mitgespielt hat? Würden hier so überwältigend schöne Burgen stehen wie die Marienburg an der Nogat, wie Marienwerder und viele andere? Wären hier Städte wie Thorn, Elbing oder Riga entstanden, die Deutschordensgründungen im Norden und Nordosten Europas? Würde man die Marienburg am Alt so behandeln, wie jene an der Nogat, die aufwendig restauriert wurde und Hunderttausende Touristen anzieht, während in Siebenbürgen eine schäbige Kläranlage direkt unter der Burg gebaut wird, den wunderbaren Blick auf das Burzenland trübend und die würzige Luft verpestend?

Jedenfalls ist es diese europäische Rolle, die Siebenbürgen zumindest in den 14 Deutschordensjahren gespielt hat, die für viele Historiker heute wichtig erscheint, für den großen rumänischen Mediävisten Șerban Papacostea etwa, der die Berufung der Ritter in den Kontext der damaligen weltpolitischen Auseinandersetzung zwischen Katholizismus und Orthodoxie stellt und Siebenbürgen als eine Schneide jener Zange sieht, die zusammen mit dem katholischen Kaiserreich von Konstantinopel, die griechisch-orthodoxe Kirche auf dem Balkan zerquetschen sollte.
Ludwig Rohbock: Die Ruine der Marienburg, ...
Ludwig Rohbock: Die Ruine der Marienburg, Stahlstich, aus: Erdély eredeti képekben (Siebenbürgen in Original-Ansichten), Band 3. Verlag G. G. Lange. Darmstadt 1856, Seite 99.
Den Siebenbürger Sachsen waren die Deutschordensritter überraschend lange Zeit hindurch nicht der Rede wert. Zwar steht ihr „Goldener Freibrief“ von 1224 in direktem Zusammenhang mit der Vertreibung des Deutschen Ordens – König Andreas II. wollte sie in der bevorstehenden Auseinandersetzung mit den nach einem Staat in seinem Staat strebenden Orden für sich gewinnen, wohl auch Abwerbungen aus dem sächsischen Altsiedelland ins Burzenland verhindern. Aber diesen Zusammenhang haben erst Harald Zimmermann so richtig klar herausgestellt. Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichtsschreibung der Siebenbürger Sachsen hingegen erwähnt die Ritter mit keinem Wort, kein Albert Huet in seiner berühmten Rede vor dem Fürsten zu Weißenburg, kein Valentin Frank von Franckenstein, der den Beginn der modernen sächsischen Historiographie am Ende des 17. Jahrhunderts markiert, kein Martin Schmeizel, der Kronstädter, der als Professor in Jena und Halle im 18. Jahrhundert Generationen von siebenbürgischen Gelehrten geprägt hat. Warum auch? Wichtig waren den Sachsen ihre Privilegien, war ihnen der Nachweis ihres Rechtes, in ihrer Heimat als freie Menschen zu leben und zu arbeiten. Warum sollte man sich nach der Reformation mit einem „abenteuerlichen Corps von EdelMönchen“ abgeben, der sie gewiss ihrer „bürgerlichen Freiheit und SelbstRegirung oder Autonomie“ beraubt, die „herzerhebende Gleichheit unter ihnen“ aufgehoben hätte. Ich habe hier aus den „Kritischen Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen“ zitiert, die August Ludwig von Schlözer, der große Göttinger Gelehrte der Aufklärungszeit 1795-1797 veröffentlicht und damit großen Einfluss auf das historische Denken unserer Landsleute genommen hat. Der Protestant konnte aber trotzdem einräumen, dass das Burzenland auch „SchauPlatz [der] GroßTaten“ der Ordensritter und das geworden wäre, „was sie aus dem noch größeren Strich Landes von der Trave bis zum Finnischen MeerBusen“ gemacht haben.

So richtig interessant wird der Deutsche Orden aber für uns Siebenbürger Sachsen erst im Zeitalter des Nationalismus, als wir zum einen von den Habsburgern enttäuscht wurden, weil der österreichisch-ungarische Ausgleich uns den Budapester Magyarisierungstendenzen aussetzte, und wir uns zum anderen bewundernd dem unter preußischer Vorherrschaft vereinigten Deutschen Reich zuwandten. Da wurden die preußischen Bezüge, die der Deutsche Orden herstellte, wieder interessant, man pries die Präsenz der Ritter in Siebenbürgen in historischen, literarischen und künstlerischen Werken. Ob das auch gut war, ist eine andere Frage, wird doch bis heute eine in dieser linearen Einseitigkeit nicht gerechtfertigte Verbindung zwischen der Aggression des Ordens gegen die Pruzzen und Polen im 13. und 14. Jahrhundert, dem preußischen Militarismus im 18. und 19. Jahrhundert und dem deutschen Imperialismus des 20. Jahrhunderts hergestellt, der Schuld an zwei Weltkriegen trägt.

Wenden wir uns also lieber von diesem Geschichtsbild ab und jenem zu, das Georg Daniel Teutsch in der ersten Auflage seiner „Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk“ 1852 entworfen hat: „Die Ansiedler aber … erstarkten zu einem glücklichen und freien Völkchen. Die Sachsen im Burzenland sind Jahrhunderte hindurch eine veste Wehr der Gränze und eine Zierde des ungrischen Reiches gewesen. Unter den Rittern wäre sicher Knechtschaft ihr Los geworden.“

Was sagen uns also die Deutschordensritter heute? Dass auch Siebenbürgen, unsere Heimat, im europäischen Kontext eine Rolle gespielt hat, dass es auch hier wertvolle Hinterlassenschaften deutscher und europäischer Kultur gibt, unter ihnen jene der Deutschherren. Dass immer wieder Brücken geschlagen wurden zwischen West und Ost und dass einst für kurze Zeit auch ein berühmt-berüchtigter Orden einen Brückenkopf gebildet hat, dass letztlich aber jene Siedler, die 1224 auch mit dem Ziel privilegiert wurden, sie von einem Bündnis mit den Deutschherren abzuhalten, jene „Brücken über Zeit und Raum“ geschlagen haben, die tragfähig sind und uns alle hier in Deutschland und dort in Rumänien im gemeinsamen Haus Europa zusammenführen.

Schlagwörter: Heimattag 2011, Jubiläumsjahr 2011, Deutscher Orden, Vortrag, Geschichte

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