9. August 2011

Siebenbürger Teppiche aktuell wie nie zuvor

Etwa 400 Wissenschaftler, Sammler, Händler und Liebhaber alter orientalischer Teppiche und Textilien trafen sich im Juni dieses Jahres in Stockholm zur XII. International Conference on Oriental Carpets. Diese Konferenz mit einem anspruchsvollen wissenschaftlichen Vortragsprogramm, hochrangigen Ausstellungen und einer internationalen Händlermesse ist mit ihrem mehrjährigen Rhythmus und dem Wechsel zwischen europäischen und US-amerikanischen Metropolen als Veranstaltungsort das wichtigste Podium für das Kulturgut orientalischer Teppich.
Der orientalische Teppich ist für Siebenbürgen ein Kulturgut ganz besonderer Art. Einige hundert kleinformatige anatolische Teppiche, meist Gebetsteppiche aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, werden in Siebenbürgens Museen, vor allem aber in den Kirchen Siebenbürgens verwahrt. Sie sind ein weltweit einzigartiger Schatz und zugleich ein historisches Dokument für die Bedeutung Siebenbürgens in jener Zeit. Die Siebenbürgische Zeitung hat über diese Teppiche, deren bedeutendste Gruppe von der Fachwelt nach ihrem Fund- und Aufenthaltsort „Siebenbürger“ genannt werden, wiederholt berichtet.

Der Umschlag von OCTS VII mit einem Siebenbürger ...
Der Umschlag von OCTS VII mit einem Siebenbürger Gebetsteppich mit außergewöhnlicher Bordüre aus der Schwarzen Kirche in Kronstadt.
Auf der Stockholmer Konferenz standen die Siebenbürger Teppiche vielfach ganz im Vordergrund des Interesses und des Geschehens: In der Rüstkammer des königlichen Schlosses in Stockholm waren aus Anlass der Konferenz einige der in Schweden in privaten und öffentlichen Sammlungen verwahrten und dem Publikum sonst nicht zugänglichen „Siebenbürger Teppiche“ ausgestellt. Sowohl der prachtvolle Rahmen des schwedischen Königsschlosses wie auch das große Interesse der Konferenzteilnehmer wurde der Seltenheit und Schönheit dieser kostbaren textilen Kleinodien gerecht.

Eines der Highlights der von 40 internationalen Händlern ausgerichteten und von den Besuchern ob ihrer Qualität hoch gelobten Händlermesse war ein vorzüglich erhaltener Siebenbürger Teppich vom Typ der mit Arabesken umgebenen Gebetsnische und einer Kartuschen-Bordüre, wie er mit ganz ähnlicher Zeichnung in der Evangelischen Kirche in Wurmloch entdeckt wurde und seit 2005 in der Margarethenkirche in Mediasch bewundert werden kann. Sensationell waren nicht nur Schönheit und Zustand, sondern vor allem die Provenienz dieses Teppichs. Er war bereits 1933 in dem von Emil Schmutzler (geboren 1889 in Kronstadt, gestorben 1952) herausgegebenen, monumentalen Werk „Altorientalische Teppiche in Siebenbürgen“ (dort die Tafel 42) abgebildet. Man kann vermuten, dass es einer der wenigen Teppiche aus der Sammlung Schmutzler ist, die dieser rechtzeitig vor der Zerstörung seines Hauses bei einem amerikanischen Luftangriff im Jahre 1944 auf den Weg nach Schweden gebracht hatte. Nur ein gutes Dutzend der weltweit bekannten Exemplare dieses Typs der „Siebenbürger“ sind Originale aus dem 17. Jahrhundert; alle anderen werden dem berühmten rumänischen Fälscher Teodor Tuduc zugeschrieben.
Stefan Ionescu während seines Vortrags über die ...
Stefan Ionescu während seines Vortrags über die Orientteppiche aus Bistritz.
Einer der schönsten Gebetsteppiche aus der Schwarzen Kirche in Kronstadt mit einer einzigartigen Bordürengestaltung schmückt den Einband des zur Stockholmer Konferenz erschienenen Buches „Oriental Carpet & Textile Studies VII“, in dem die wichtigsten Beiträge der zuvor in Washington (2003) und Istanbul (2007) abgehaltenen Konferenzen publiziert sind. Einer der in diesem Band veröffentlichten Beiträge ist die in Istanbul von Stefan Ionescu mit Ali Riza Tuna vorgetragene Untersuchung über strukturelle Besonderheiten bei Siebenbürger Teppichen, mit denen eine Zuordnung einzelner Gruppen zu bestimmten, frühen anatolischen Knüpfzentren versucht wird.
Stefano Ionescu, voller Freude über die ...
Stefano Ionescu, voller Freude über die verliehene McMullan-Medaille, vor Schmutzlers Gebetsteppich, einem der Stars der Stockholmer Händlermesse.
Auch in Stockholm gehörten Siebenbürger Teppiche zum Vortragsprogramm. Wieder war es Stefano Ionescu, der dem Auditorium einen bisher nicht publizierten Teil des Schatzes anatolischer Teppiche in Siebenbürgen vorstellen konnte. Es waren dies 14 Teppiche mit dem sogenannten „Lotto“-Muster aus dem Teppichbestand der Evangelischen Kirche in Bistritz, die in der Endphase des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland gelangten und sich seit 1952 in der Verwahrung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg befinden, das auch die Aufnahmen für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt hatte. Von den etwa 100 Teppichen mit diesem „Lotto“-Muster in sächsisch-lutherischen Kirchen in Siebenbürgen gehören die 14 aus Bistritz vor allem wegen ihrer Bordürengestaltung zu den wichtigen und frühen Exemplaren.

Zur festlichen Schlussveranstaltung der Stockholmer Konferenz hatten die Organisatoren eine Überraschung im Hut: Bruce Baganz, der Präsident des Washingtoner Textile Museum, überreichte Alberto Boralevi und Stefano Ionescu den McMullan Award for Stewardship and Scholarship in Islamic Rugs and Textiles für ihre Verdienste um die Erhaltung, Erforschung, Rettung und Konservierung der anatolischen Teppiche in Siebenbürgen.
Fragment eines Lotto-Teppichs mit Kufi-Bordüre ...
Fragment eines Lotto-Teppichs mit Kufi-Bordüre aus Bistritza, heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.
Dieser vom Near Eastern Art Research Center in New York seit dem Jahre 1988 verliehene McMullan Award ist die bedeutendste Auszeichnung auf dem Gebiet der orientalischen Teppiche. Seit vielen Jahren sind Boralevi und Ionescu darum bemüht, dieses einzigartige Erbe Siebenbürgens zu konservieren, zu publizieren und wissenschaftlich zu bearbeiten. Der vorläufige Höhepunkt dieser Arbeit ist das von Stefano Ionescu im Jahre 2005 herausgegebene und in englischer, deutscher und rumänischer Sprache vorliegende Buch über die osmanischen Teppiche in Siebenbürgen. Es ist nicht nur eines der schönsten, sondern zweifellos auch eines der wichtigsten Teppichbücher des vergangenen Jahrzehnts, das einen eminent wichtigen Beitrag geleistet hat und noch leistet, damit eines der bedeutendsten Kulturgüter Siebenbürgens die ihm gebührende weltweite Beachtung erfährt. Die von den beiden Preisträgern seit Jahren mit dem Schwerpunkt Siebenbürger Teppiche organisierten Studienreisen haben eine große Zahl von Liebhabern dieser Teppiche nach Siebenbürgen gebracht.

Dr. Michael Buddeberg


Der Autor, Rechtsanwalt in München, ist Mitglied des Executive Committee der International Conference on Oriental Carpets sowie Mitglied des Kuratoriums der Preetorius Stiftung für Asiatische Kunst und Kultur.

Schlagwörter: Orientteppiche

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