1. Juli 2008
Siebenbürger Orientteppiche: weltweit einzigartige Sammlung
Ausstellungen in Rom, Berlin und Istanbul, vor allem aber ein nach der englischen Originalfassung nunmehr auch in deutscher, rumänischer und ungarischer Sprache vorliegendes, prachtvolles Standardwerk haben den unter Kennern seit jeher bekannten „Siebenbürger Teppichen“ enorme Publizität beschert. Nach sorgfältiger Konservierung und Wäsche und dem Ausflug in ferne Länder – bei Istanbul könnte man fast sagen in die eigentliche Heimat – hängen diese Teppiche nun wieder in Mediasch oder in der Schwarzen Kirche in Kronstadt und verleihen den sakralen und sonst weitgehend schmucklosen Räumen ein Flair und eine Festlichkeit, die den Besuchern den Atem nehmen. Es ist den für diese Teppiche verantwortlichen Kirchengemeinden zu danken, dass diese Schätze nicht in Museen oder Depots verwahrt werden, sondern sich den Gläubigen und Besuchern in dem ungewöhnlichen und spannungsreichen Kontext präsentieren wie seit Hunderten von Jahren.
Es ist keineswegs ungewöhnlich, in europäischen Kirchenschätzen Zeugnisse orientalischer Kunst zu finden. Ein geläufiges Beispiel sind frühe Seidengewebe aus dem nahen und fernen Osten, aus Byzanz, aus Persien, aus Zentralasien und sogar aus China, die in mittelalterlichen Messgewändern verarbeitet oder zur Aufbewahrung kostbarer Reliquien verwendet wurden. Das Wissen um die Vielfalt, Schönheit und die hochentwickelte Technik orientalischer Seidengewebe wäre ohne diesen beachtlichen Bestand aus zahlreichen Kirchenschätzen in ganz Europa ungleich ärmer. Doch von Teppichen in diesen Kirchenschätzen ist nichts bekannt. Mit einer einzigen Ausnahme: In Rumänien, genauer gesagt in den reformierten Kirchen Siebenbürgens hat sich ein Bestand anatolischer Gebetsteppiche aus dem 17. Jahrhundert erhalten, der weltweit einzigartig ist. Aber türkische Gebetsteppiche in christlichen Kirchen? Und nicht nur der eine oder andere, sondern gleich Hunderte davon?
Diese Fragen drängen sich unwillkürlich auf und in der Tat ist dieser Teppichschatz, der nicht einmal in der Türkei seinesgleichen hat, seit seinem ersten Bekanntwerden vor über einhundert Jahren eines der großen Geheimnisse in der Teppichwelt. Ein Siebenbürger Sammler aus einer prominenten Kronstädter Familie hat sich als erster mit diesem Rätsel befasst. Das 1933 erschienene Buch von Emil Schmutzler dokumentiert nicht weniger als 440 dieser „Siebenbürger“ Teppiche. Es wurde in einer kleinen Auflage von nur 325 Exemplaren gedruckt und gehört heute zu den Cimelien der Teppichliteratur, gesucht, selten angeboten und nur mit vierstelligen Beträgen zu bezahlen. Trotz Schmutzler blieb die Frage nach dem Warum und Woher letztlich unbeantwortet. Dieses ungelöste Rätsel, die jahrzehntelange Unzugänglichkeit dieses Schatzes hinter dem eisernen Vorhang und die bange Frage nach dem nach Krieg, Vertreibung und Kirchenverbot noch vorhandenen Bestand hat nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eine ganze Anzahl von Tapitologen nach Rumänien gelockt und verschiedene Buchprojekte entstehen lassen.
Das Autorenteam Alberto Boralevi, Stefano Ionescu und Andrei Kertesz hat dieses Rennen gewonnen und präsentiert nun ein Teppichbuch, das in Ausstattung und Druckqualität, vor allem aber in der sorgfältigen und wissenschaftlichen Bearbeitung einer für die Rezeption des Orientteppichs in Europa eminent wichtigen Thematik Maßstäbe setzt. 252 von insgesamt 390 von dem Autorenteam in Siebenbürger Kirchen und in rumänischen Museen vorgefundenen osmanischen Teppichen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert werden in farbigen Abbildungen vorgestellt, davon 43 auf ganzseitigen Tafeln. Von den weiteren Illustrationen – insgesamt über 400 – sind die Innenaufnahmen aus den Kirchen bemerkenswert, allen voran natürlich aus der Schwarzen Kirche in Kronstadt, zu deren ständiger Ausstattung ein großer Teil der dort vorhandenen 142 Teppiche gehört. Die weiteren Abbildungen zeigen historisches Material, Vergleichsstücke aus anderen Sammlungen, Inschriften, die sich in vielen Teppichen finden, und Gemälde mit Teppichdarstellungen. Sie illustrieren einen sorgfältig recherchierten und unbedingt lesenswerten Text über Siebenbürgen und seine türkischen Teppiche, deren Typologie und die einzelnen Sammlungen.
Schon seit dem 12. Jahrhundert wurde Siebenbürgen von deutschen Siedlern, den „Siebenbürger Sachsen“ kolonisiert. Die Städte Bistritz (Bistrița), Hermannstadt (Sibiu), Kronstadt (Brașov) und Mediasch (Mediaș) mit mächtigen Hallenkirchen aus gotischer Zeit waren die Zentren der Region. Die Reformation, das Bekenntnis der Siebenbürger zur Confessio Augustana und der damit verbundene Bildersturm hinterließ leere Kirchen und weiße Wände. Dieses Geschehen und der Beginn religiöser Toleranz war wohl eines der Schlüsselereignisse in der Geschichte Siebenbürgens und einer der Gründe für die Existenz der Teppiche in den Kirchen. Ein anderer war der rege Handel mit der Türkei, für den Siebenbürgen ein wichtiger Knotenpunkt war. Teppiche, schon damals eine in Europa begehrte Luxusware, waren Bestandteil dieses Handels, und aus einem erhaltenen Register in Kronstadt weiß man, dass allein im Jahre 1503 über 500 Teppiche die Stadt erreichten. Es müssen tausende und abertausende Teppiche gewesen sein, die spätestens seit dem 15. Jahrhundert, vielleicht sogar schon früher in Siebenbürgen umgeschlagen wurden. Warum aber so viele Teppiche aus diesem Kreislauf genommen wurden und warum sie sich bis heute, zum großen Teil in exzellentem Zustand, ausgerechnet in Kirchen erhalten haben, ist damit noch nicht erklärt. Es bleibt letztlich rätselhaft, warum Teppiche, geschaffen in einer dem Christentum vollkommen fremden Welt, den vom Bildersturm der Reformation hinterlassenen leeren Platz in den Kirchen einnahmen. Wir wissen nicht, wie der über einen langen Zeitraum aufrecht erhaltene Brauch Siebenbürger Kaufmanns- und Handwerkerfamilien entstanden ist, ihren Kirchengemeinden Teppiche zu schenken. Sicher ist nur, dass die Licht- und Luftverhältnisse in den ungeheizten gotischen Hallenkirchen für den Erhalt von Flor und Farben optimal waren, und dass die konservative Grundhaltung der Kirche dafür gesorgt hat, dass nie ein Stück verkauft wurde. Ihr ist es auch zu danken, dass der Schwund seit der Bestandsaufnahme durch Schmutzler mit knapp 15 % nur gering ist. Es versteht sich, dass die Autoren Herkunft und mögliche Bedeutung der Muster der osmanischen Teppiche in Siebenbürgen vollständig bearbeitet haben und dass die Standorte und natürlich auch die Strukturen aller Teppiche textlich und statistisch in zahlreichen Tabellen aufgearbeitet wurden.
Bemerkenswert ist schließlich ein reich illustrierter Aufsatz über Teodor Tuduc (1888-1983), den berühmten rumänischen Teppichfälscher, dessen teilweise perfekte Kopien Siebenbürger Teppiche noch heute selbst bei Kennern für Unsicherheit sorgen. Das Beste an dem Buch aber sind natürlich die Teppiche selbst. Es ist ein Schwelgen in Teppichen mit Holbein- und Lottomuster, in Doppelnischen- und Säulenteppichen und die seltenen weißgrundigen Selendi-Teppiche mit Tschintamani- oder Vogelmuster finden sich gleich dutzendfach. Das Wissen, dass es sich ausnahmslos um Exportproduktionen türkischer Manufakturen für Europa gehandelt hat, vermag den Genuss nicht zu schmälern. Dieses Buch ist ein Muss für jeden Liebhaber antiker Teppichkunst.
Schon seit dem 12. Jahrhundert wurde Siebenbürgen von deutschen Siedlern, den „Siebenbürger Sachsen“ kolonisiert. Die Städte Bistritz (Bistrița), Hermannstadt (Sibiu), Kronstadt (Brașov) und Mediasch (Mediaș) mit mächtigen Hallenkirchen aus gotischer Zeit waren die Zentren der Region. Die Reformation, das Bekenntnis der Siebenbürger zur Confessio Augustana und der damit verbundene Bildersturm hinterließ leere Kirchen und weiße Wände. Dieses Geschehen und der Beginn religiöser Toleranz war wohl eines der Schlüsselereignisse in der Geschichte Siebenbürgens und einer der Gründe für die Existenz der Teppiche in den Kirchen. Ein anderer war der rege Handel mit der Türkei, für den Siebenbürgen ein wichtiger Knotenpunkt war. Teppiche, schon damals eine in Europa begehrte Luxusware, waren Bestandteil dieses Handels, und aus einem erhaltenen Register in Kronstadt weiß man, dass allein im Jahre 1503 über 500 Teppiche die Stadt erreichten. Es müssen tausende und abertausende Teppiche gewesen sein, die spätestens seit dem 15. Jahrhundert, vielleicht sogar schon früher in Siebenbürgen umgeschlagen wurden. Warum aber so viele Teppiche aus diesem Kreislauf genommen wurden und warum sie sich bis heute, zum großen Teil in exzellentem Zustand, ausgerechnet in Kirchen erhalten haben, ist damit noch nicht erklärt. Es bleibt letztlich rätselhaft, warum Teppiche, geschaffen in einer dem Christentum vollkommen fremden Welt, den vom Bildersturm der Reformation hinterlassenen leeren Platz in den Kirchen einnahmen. Wir wissen nicht, wie der über einen langen Zeitraum aufrecht erhaltene Brauch Siebenbürger Kaufmanns- und Handwerkerfamilien entstanden ist, ihren Kirchengemeinden Teppiche zu schenken. Sicher ist nur, dass die Licht- und Luftverhältnisse in den ungeheizten gotischen Hallenkirchen für den Erhalt von Flor und Farben optimal waren, und dass die konservative Grundhaltung der Kirche dafür gesorgt hat, dass nie ein Stück verkauft wurde. Ihr ist es auch zu danken, dass der Schwund seit der Bestandsaufnahme durch Schmutzler mit knapp 15 % nur gering ist. Es versteht sich, dass die Autoren Herkunft und mögliche Bedeutung der Muster der osmanischen Teppiche in Siebenbürgen vollständig bearbeitet haben und dass die Standorte und natürlich auch die Strukturen aller Teppiche textlich und statistisch in zahlreichen Tabellen aufgearbeitet wurden.
Bemerkenswert ist schließlich ein reich illustrierter Aufsatz über Teodor Tuduc (1888-1983), den berühmten rumänischen Teppichfälscher, dessen teilweise perfekte Kopien Siebenbürger Teppiche noch heute selbst bei Kennern für Unsicherheit sorgen. Das Beste an dem Buch aber sind natürlich die Teppiche selbst. Es ist ein Schwelgen in Teppichen mit Holbein- und Lottomuster, in Doppelnischen- und Säulenteppichen und die seltenen weißgrundigen Selendi-Teppiche mit Tschintamani- oder Vogelmuster finden sich gleich dutzendfach. Das Wissen, dass es sich ausnahmslos um Exportproduktionen türkischer Manufakturen für Europa gehandelt hat, vermag den Genuss nicht zu schmälern. Dieses Buch ist ein Muss für jeden Liebhaber antiker Teppichkunst.
Dr. Michael Buddeberg
Stefano Ionescu (Hrsg): „Die Osmanischen Teppiche in Siebenbürgen“, Verlag: Stefano Ionescu und Verduci Editore, Rom 2006, 240 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, 120 Euro, ISBN 88-7620-753-8, Bestelladresse: Stefano Ionescu, Piazza Ledro 7, Roma/Italia, E-Mail: info [ät] transylvanianrugs.com, Internet: www.transylvanianrugs.com. Wichtige Teile des Buches, die Sammlungen der Schwarzen Kirche in Kronstadt und der Margarethenkirche in Mediasch, jeweils mit Umgebung, hat Ionescu in zwei Broschüren (40 bzw. 32 Seiten stark, 10 Euro) zusammengefasst, zu bestellen unter derselben Anschrift.
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Schlagwörter: Orientteppiche, Kultur, Rezension
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- 01.07.2008, 06:41 Uhr von pedimed: Vermutlich ist den Sb-S ihre leere Kirche nach der Löschung der Wandmalereien zu arm vorgekommen ... [weiter]
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