15. November 2011

Nicht diese Töne! Bemerkungen über das Singen des Siebenbürgenlieds

Uneingeschränkt zuzustimmen ist den Bemerkungen von Hartfried Depner in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. September 2011, Seite 13, über eine eingerissene Praxis beim Singen des Siebenbürgenlieds, nämlich den befremdenden Einschub in die letzte Strophe.
Ein melodisches Anhängsel oder Einschiebsel in ein seit über 150 Jahren überliefertes, in der Originalfassung des Komponisten bekanntes Gesangsstück muss allgemein und grundsätzlich abgelehnt werden. Eine eingeschobene Melodiezeile hat sich in die Singweise des Siebenbürgenlieds eingeschlichen und taucht gelegentlich auf, in letzter Zeit öfter, wenn diese Volkshymne der Siebenbürger Sachsen öffentlich in feierlichem Rahmen gesungen wird.

Zunächst kommt einem der Gedanke, dass eine solche Gepflogenheit beim Absingen etwa des Deutschlandlieds unvorstellbar wäre. Die Melodie des Deutschlandlieds, der deutschen Nationalhymne, wurde von einem der größten deutschen(österreichischen) Komponisten geschaffen, ist in der Originalform tradiert und wird genau so auch gesungen. Die Melodie der siebenbürgisch-sächsischen Volkshymne stammt von einem der herausragendsten siebenbürgischen Komponisten.

Max Moltke als 35-Jähriger. Stamm­buchzeichnung ...
Max Moltke als 35-Jähriger. Stamm­buchzeichnung von Wilhelm Kamner, erhalten als Kopie im Geschichtsmuseum Hermannstadt, Bleistiftzeichnung, 1854. Verbleib des Stammbuches unbekannt. Foto: Konrad Klein
In beiden Fällen entstand die Melodie ursprünglich zu anderen – nicht sehr erlesenen – Texten: Joseph Haydn schrieb die berühmte Melodie, über die er selbst sehr glücklich war, als Lobgesang auf den österreichischen Kaiser („Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz“), Johann Lukas Hedwig komponierte die Melodie, der er selbst später den schönen Text Max Moltkes unterlegte, ursprünglich auf leicht banale Verse als Eloge auf die verdiente Kronstädter Handelsunternehmerin, Bauherrin eines großen Kaufhauses und sozial engagierte Bürgerin Appolonia Hirscher („Bürger Kronstadts, lasst uns singen mit begeistert frohem Sinn […] unsrer edlen Hirscherin.“). Das schmälert oder relativiert aber in keiner Weise den autarken Wert und die Qualität der Melodie. (Übrigens lassen sich beide Melodien interessanterweise und wie naturgegeben auf den Text der jeweils anderen Hymne – von Hoffmann von Fallersleben bzw. Moltke – singen.) Dass vorhandenen Melodien neue Texte unterlegt werden, ist ein alter, seit der Reformation und dem Barock geübter Brauch. Melodien aber wurden kaum je verändert, ebensowenig melodische Elemente hinzugefügt. Die Melodien folgen gewissermaßen unabhängig vom Text meist eigenen musikalischen Gesetzen und ästhetischen Kategorien, besonders wenn sie von schöpferisch begabten Komponisten herrühren. Eine Melodie verändern oder ergänzen ist – wenn das einmal vorkommt – ein schwerer, immer unbefriedigender und meist unnötiger Eingriff, der eine Verfremdung und Verunstaltung des Gesangsstücks zur Folge hat. Nach heutigem Urheberrecht ist er auch unstatthaft.

Das Siebenbürgenlied ist, wie Hartfried Depner zu Recht feststellt, seinem Ursprung nach kein Volkslied, das im Laufe der Zeit und je nach geografischer Lage Veränderungen erfahren kann, sondern es ist, wie das Deutschlandlied, eine von Anfang an in Noten fixierte Komposition eines bekannten Tonschöpfers, an der nichts verändert werden darf, auch wenn sich das Lied bald nach seiner Entstehung mit dem neuen Text und auf der Grundlage der authentischen Notation ähnlich wie ein Volkslied verbreitete. Aber selbst wenn wir das moderne Urheberrecht nicht bemühen wollen, ist der erwähnte Eingriff als pietätlose Handlung und Verletzung des künstlerischen Vermächtnisses des Komponisten zu sehen. In unserem Fall kommt noch hinzu, dass die eingeschobene Melodiezeile nicht nur unangebracht, unerlaubt, pietätlos und als solche störend erscheint, sondern sie ist auch von zweifelhafter musikalisch-ästhetischer Qualität, rückt das lebensvolle, markig-beherzte und gleichzeitig innig-herzenswarme Lied in die Nähe eines Rührstücks, emotionalisiert und dramatisiert es, hat also auch in dieser Hinsicht keine Daseinsberechtigung innerhalb der inspirierten Melodie eines Meisters der Komposition.
Bildniskarte aus dem Verlag von Heinrich Zeidner, ...
Bildniskarte aus dem Verlag von Heinrich Zeidner, Kronstadt, mit den Bildnissen von J. L. Hedwig und M. Moltke. Lichtdruck 1898. Sammlung: Konrad Klein
In der eingeschobenen Melodiefloskel scheint jener Lied- und Gesangsstil durch, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland aufgekommen und auch in Siebenbürgen sehr verbreitet war, dem jedoch in Deutschland bereits der Finkensteiner Bund, Wandervogel, Jugendbewegung und Jugendmusikbewegung mit Walther Hensel, Konrad Ameln – der auch in Siebenbürgen tätig wurde –, Fritz Jöde, Karl Marx, Walter Rein und Cesar Bresgen entgegentraten, das unverdorbene, echte, ästhetisch anspruchsvolle, vom Gefühlsausdruck her wahrhaftige Lied propagierend. In Siebenbürgen wirkten in diesem Sinne Rudolf Lassel, Victor Bickerich, Franz Xaver Dressler, Walther Scheiner, Rolf Müller, Willi Hermann, Erich Bergel sen., Karl Fisi und mit besonderem Nachdruck und großer Überzeugungskraft Ernst Irtel. Ihre Wirkungskraft scheint zeitlich begrenzt gewesen zu sein.

Sowohl inhaltlich als auch musikalisch ist der Einschub auch insoweit sinnlos und überflüssig, als er eine vorher in der Fassung Hedwigs gesungene Textzeile wiederholt.

Aus all diesen Gründen wäre zu raten, künftig diese Gepflogenheit abzulegen, so wie Hartfried Depner und mit ihm auch andere Musikspezialisten, Musikliebhaber und Freunde des Siebenbürgerlieds fordern.

Karl Teutsch

Schlagwörter: Musik, Lieder

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