16. April 2024
Chopin und sein Lieblingsschüler Carl Filtsch: Musikalisch-literarischer Salon in Bamberg
Ihr Versprechen, die Carl-Filtsch-Reihe weiterzuführen, verlässlich einhaltend, brachte Dagmar Dusil-Zink am Sonntag, den 17. März, in der Bamberger Harmonie am Schillerplatz Teil II ihres bemerkenswerten, gut informierten und reichlich musikalisch garnierten „Salons“ über Leben, Werk und Bedeutung des siebenbürgischen Wunderkindes des 19. Jahrhunderts zu Gehör.

Im Zentrum dieses zweiten, poetisch-musikalischen Filtsch-Nachmittags stand das Leben und Werk des renommierten Lehrers von Carl Filtsch, des französisch-polnischen Starpianisten jener Zeit Frédéric Chopin. Zunächst gab es einleitende Worte über eigenartige Gemeinsamkeiten von Filtsch und Chopin: beide an derselben Krankheit leidend und jung verstorben, ein aufsteigender Stern der eine, eine europäische musikalische Größe an demselben Instrument der andere, beide aus dem Osten des Kontinents kommend u.a.m. Nach der von Shemchuk interpretierten „Fantaisie Impromptu“ op. 66 ging Dusil auf die Herkunft Chopins ein, der als Sohn eines aus Lothringen eingewanderten französischen Kleinbürgers und einer Klavier spielenden verarmten Adligen in Polen mit drei ebenfalls talentierten Schwestern aufwuchs. Doch bei Frédéric war es nicht einfach nur Talent, es war Genie, wie die Mutter und auch bald seine Klavierlehrer es frühzeitig erkannten. Mit sechs Jahren erhielt er ersten Klavier-, mit zwölf Jahren ersten Kompositions-Unterricht, der erste Früchte trug, wie es der nun folgende, so leicht dahinperlende „Minutenwalzer“ op. 64 beweisen kann. Mit unglaublichen 19 Jahren hatte er schon seine zwei Klavierkonzerte und die ersten ungeheuer anspruchsvollen Etüden konzipiert. Ungefähr zur selben Zeit wird im siebenbürgischen Mühlbach das zehnte Kind der Pfarrersfamilie Filtsch geboren, ein Sohn, der den Namen Carl erhielt und den „die Nornen mit Gaben überschütteten“, aber leider, durch ein Missgeschick, ihm nur ein kurzes Leben bescherten.

Im Herbst des Jahres 1837 verlässt der erst siebenjährige Carl in väterlicher und gräflicher Begleitung Siebenbürgen mit zwei Kutschen und einem für die lange Reise gedachten Sortiment erlesener Speisen und Getränke, aber auch einer Buchauswahl, die von Vergil, Dante und Shakespeare bis zu Goethe, Schiller, Dumas und Hugo reichte. Nach sechs Tagen erreichten sie nach Budapest, dessen malerische Lage am blauen Donauband den kleinen Carl entzückte, endlich das ersehnte Ziel Wien. Vier Jahre später, 1841, fährt Carl Filtsch in Begleitung seines Bruders Josef und der Gräfin Bánffy nach Paris, um dort Chopin vorzuspielen und von diesem den erhofften Unterricht zu erhalten.
Chopins verhaltene „Ballade Nr. 4“ und die, wie auf Wellen tanzende „Barcarolle“ von Carl Filtsch umrahmen den weiteren Werdegang der Erzählung. 18 Monate war Carl Chopins Schüler. Der Meister, der seinen einzigartigen Eleven sozusagen auf Händen trug, führte diesen in die illustre Pariser Gesellschaft ein. Bei dem Fürsten La Rochefoucauld wohnte Carl mit seinem Bruder, er wurde Liszt, Berlioz und Meyerbeer vorgestellt, aber auch Heine, George Sand und dem Maler Delacroix – sie alle bewunderten sein außerordentliches Klavierspiel, das der junge siebenbürgische Pianist anscheinend ohne nennenswerte Publikumsscheu zu Gehör brachte, ganz zum Unterschied von seinem meisterlichen Lehrer, der bei öffentlichen Auftritten unter einem entsetzlichen Lampenfieber litt. Im Mai 1843 trennten sich die beiden Virtuosen sicherlich nicht unbetrübt, nachdem Filtsch seinem Lehrer noch als Dank vor Publikum den ersten Satz von dessen e-Moll-Klavierkonzert gespielt hat und Chopin, tief aufgewühlt, ihm die Partitur von Beethovens „Fidelio“, mit einer innigen Widmung versehen, überreichte. Sie sollten sich tatsächlich nie mehr wiedersehen. Nach dem dritten Teil von Chopins „Sonate Nr. 2, op. 35“ schilderte Dagmar Dusil den weiteren kurzen Lebensweg der beiden seelisch so verwandten Künstler. Filtsch hatte nur noch zwei Jahre zu leben, bevor er in Venedig 15-jährig verstarb und auf der Insel San Michele so weit weg von seiner östlichen Heimat jenseits der Wälder, sein Grab erhielt.
Nur vier Jahre überlebt ihn Chopin, bevor er seiner, damals noch unheilbaren Krankheit erlag und in einem Ehrengrab auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise, ebenfalls fern der polnischen Heimat, beigesetzt wurde. Sein Herz aber wurde nach Warschau gebracht. Seit fast 100 Jahren gibt es einen Warschauer Chopin-Klavierwettbewerb und seit bald 30 Jahren ein Filtsch Klavier-Festival im siebenbürgischen Hermannstadt – beide ein Zeichen der Verehrung dieser beiden komponierenden Ausnahme-Pianisten über Generationen hinweg.
Dusil erwähnt noch ein von Hermann Hesse Chopin gewidmetes Gedicht, „Berceuse“ genannt. Mit der postum erschienenen „Nocturne cis-Moll“, deren Melodie sich leise verliert, quasi mit dem letzten Atemzug ausklingt, schließen Dagmar Dusil-Zink, Luise Pelger-Pomarius und der herausragende Ivan Shemchuk ihren gemeinsamen literarisch-musikalischen Nachmittag. Die textliche Vorlage hat Dusil mit großer Empathie und poetischer Ausmalung, mit erstaunlicher Quellenforschung und interpretatorischem Feingefühl zusammengestellt, beim Vortrag stand ihr gekonnt Luise Pelger-Pomarius zur Seite. Und dann war da noch der junge ukrainische Pianist mit polnischer Vergangenheit und aktuellem Wohnsitz im rumänischen Jassy, Ivan Shemchuk. Er absolvierte in den letzten Jahren verschiedene Meisterkurse, gewann schon eine beträchtliche Anzahl von Wettbewerben und kann auf zahlreiche Auftritte verweisen, die wahrscheinlich alle, so wie diesmal, sowohl seine Perfektion als auch seine Hingabe an ein seelenvolles Klavierspiel bezeugen.

Kurt Thomas Ziegler
Schlagwörter: Musik, Filtsch, Dagmar Dusil, Bamberg
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