4. März 2012

Kompetenz und Integrität – Zum Tod von Hannelore Schuller

Am 19. Februar ist in Heidelberg Hannelore Schuller, langjährige Deutschlehrerin und von 1986 bis 1996 Schulleiterin des Kronstädter Honterus-Lyzeums, nach schwerer Krankheit verstorben.
Nicht nur ihre Familie ist von ihrem Tod erschüttert, auch Freunden, ehemaligen Lehrerkollegen und Schülern wird sie fehlen. Ein Rückblick auf ihren Lebenslauf lässt erkennen, wie sehr dieser von den Folgen und schwerwiegenden Veränderungen der Nachkriegszeit einerseits und der Wende von 1989 andererseits bestimmt wurde und dass er somit in mehrfachem Sinne aufschlussreich für die Biographie von Intellektuellen der deutschen Minderheit im Rumänien nach 1945 ist.

Am 2. Mai 1939 wurde „Hanne“ in Heltau als erstes Kind von Kurt Klein (ausgebildeter Betriebsingenieur, der nach verschiedenen Arbeitsstellen schließlich Bauplaner der Stadtverwaltung Heltau war) und Erna Klein, geborene Bonfert, geboren. Drei weitere Geschwister (Kurt, Gretel und Horst) folgten. Nicht nur Wohnortswechsel der Familie Klein von Heltau nach Bukarest, nach Hermannstadt und dann zurück nach Heltau waren kriegsfolgenbedingt, sondern auch Plünderungen, einengende Wohnverhältnisse sowie materielle Not gehörten zu den Erfahrungen der Heranwachsenden. In Heltau besuchte sie die deutsche Allgemeinschule zwischen 1946 und 1953, danach bestand sie die Aufnahmeprüfung am Lehrerinnenseminar in Hermannstadt. Nachdem dieses nach einem Jahr im Zuge kurzfristig wechselnder Bukarester Unterrichtspolitik aufgelöst wurde, besuchte sie dort die deutsche Mittelschule (Lyzeum). Danach ging sie nach Klausenburg zum Studium der Germanistik und Rumänistik.

Hannelore Schuller ...
Hannelore Schuller
Die Studienzeit fand in einem politischen Klima der Verunsicherung und mit vielerlei Entbehrungen und Mangel statt, war jedoch gleichzeitig reich an geistigen Anregungen durch einige Hochschullehrer, die Mut zu Wagnissen hatten, und dem intellektuellem Austausch mit gleichgesinnten Studienkollegen. Diese Zeit sollte geistige und ethische Prägekraft für ein ganzes Leben haben, nicht nur lebenslängliche Freundschaften begründen, sondern auch ihre Ehe. Hanne und ihr Studienkollege Horst Schuller heirateten im Jahr 1963. Zwei Töchter, Susanne und Bärbel, entstammen dieser Ehe. Dass Hannelore als Mutter ihr Leben lang voll berufstätig gewesen ist, sollte man immer mitdenken, wenn im Folgenden von diesem Berufsleben die Rede sein wird. Mehrfacher Wechsel war dabei bestimmend wie schon bei ihrem Start ins Leben. Es begann nach der üblichen staatlichen Stellenzuteilung („repartiție“) nach Kirchberg bei Agnetheln, führte nach ihrer Eheschließung nach Marienburg ins Burzenland, wohin ihr Mann zugeteilt worden war, danach an die Allgemeinschule in Kronstadt (Horst Schuller arbeitete inzwischen als Kulturredakteur bei der Karpatenrundschau in Kronstadt), und schließlich zwischen 1976 bis 1996 ans Honteruslyzeum, wo sie zwischen 1986 und 1995 auch Schulleiterin war – als erste Frau in dieser traditionsreichen Bildungsanstalt. Immer waren professioneller Anspruch und moralische Integrität in ihrer Unterrichtsarbeit Konstanten, wiewohl Flexibilität und häufige Umstellung im Hinblick auf wechselnde Klassenprofile und -stufen sowie unterschiedliche Aufgabenbereiche, wechselnde Schulatmosphäre und politische Großwetterlage gefordert waren.

Dem politischen Druck, der zeitweilig auf ihr noch mehr als auf anderen lastete, nachdem sie infolge streng verordneter Quotenzahlen „als Deutsche, als Frau und als Lehrerin“ sozusagen in die Parteiorganisation hineingedrängt worden war und einige Jahre für die Honterusschule verantworten musste, hat sie mit Vernunft, „Dezenz und Noblesse“ (wie eine ehemalige Kollegin ihre Haltung bezeichnete) standgehalten, so dass das Lehrerkollegium von der internen „Parteiführung“ in den frühen achtziger Jahren ohne Aufhebens geschützt war. Wer Hannelore Schuller kannte, weiß, wie schwer ihr solche Aufgaben gefallen sein müssen und gefallen sind, weil sie von Natur aus ein sehr ernsthafter und redlicher Mensch war, der das Leben nie auf die leichte Schulter nehmen konnte und strenge ethische Maßstäbe zeitlebens an sich selbst und auch an andere angelegt hat.

Und dann kam die Wende. Sie brachte für die Schulleitung des Honteruslyzeums zuerst einmal die große Freiheit, neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen und vielfältige neue Aufgaben. Es galt, die Abwanderung von Schülern und Lehrern organisatorisch zu bewältigen und eine neue Schulidentität aufzubauen, um die deutsche Schule zu einer Begegnungsschule „in der Sprache der Minderheit“ umzuwandeln. Die Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten Deutschen Forum und mit der evangelischen Kirche wollte organisiert, der Religionsunterricht eingeführt, Kontakte zu Partnerschulen im Ausland geknüpft werden. Entsandte Gastlehrer sollten im Hinblick auf einen fruchtbaren Erfahrungsaustausch angeleitet werden. Die Wiederaufnahme des lange Jahre verbotenen Honterus-Schulfestes fällt ebenfalls in die Amtszeit von Hannelore Schuller. Aber auch „außerschulische“ Aufgaben fielen ihr zu: Angelieferte Hilfsgüter aus aller Welt überschwemmten die Schule und sollten gerecht verteilt werden. Die „Subdirektoren“ der Wendejahre, Felicia Rujan, Heinz Phleps und Helmut Wagner (heutiger Leiter der Schule) standen ihr zur Seite. Eine Sanierung des während der dunklen Jahre von Diktatur und Mangelwirtschaft vernachlässigten und baufälligen Schulgebäudes war dringend nötig und wurd nun in Angriff genommen, was natürlich den regulären Unterrichtsalltag erheblich beeinträchtigte. Die Arbeiten begannen noch vor der Verrentung von Hannelore Schuller, sollten Jahre andauern und erst unter ihrem Nachfolger abgeschlossen werden.

Fortbildungsreisen und Schüleraustausch führten die Deutschlehrerin in die Schweiz und nach Österreich und waren eine fachlich spannende Abwechslung zum voll gepackten täglichen Dienstplan der Schulleiterin. Auch einige Besuchs-, Urlaubs- und Erholungsreisen waren nun möglich.

In den Jahren des Aufbruchs nach der Wende 1989 hat Hanne Schuller ihr ganzes Kräftepotential einsetzen und ausbauen können und ihre eigene Befreiung erlebt. Engagement und professioneller Eifer ließen auch nach ihrem Eintritt in den Ruhestand nicht nach. Sie erarbeitete zwei moderne Lehrbücher für die 5. und 6. Klasse, die 2011 in Bukarest in zweiter Auflage erschienen sind und auch heute im Deutschunterricht in Rumänien verwendet werden.

Für ihre vielfältige verantwortungsvolle und engagierte Arbeit als Leiterin der Honterusschule Kronstadt wurde Hanne Schuller von Emil Constantinescu, dem rumänischen Präsidenten, im Jahr 2000 der Nationale Verdienstorden Pentru Merit im Rang eines Offiziers verliehen, die Heimatortsgemeinschaften Kronstadt und Bartholomae und das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt zeichneten sie 2002 mit dem Appolonia Hirscher Preis aus.

Nie hörte man jedoch ein Wort von ihr darüber, denn Bescheidenheit und intellektuelle Skepsis allen öffentlichen Ehrungen gegenüber kennzeichneten und schützten sie vor Eitelkeit und Selbstüberschätzung.

Gesundheitliche Probleme machten einen erneuten Wechsel in ihrem Leben nötig: 2000 reiste sie in die Bundesrepublik Deutschland aus und ließ sich in Heidelberg nieder, wo ihre beiden Töchter mit ihren Familien leben. Der Wechsel war nicht leicht, ihr Mann hatte an seinem Dienstort in Hermannstadt, an der „Lucian Blaga“-Universität, noch mehrere Jahre seinen Lehrpflichten nachzugehen und musste demzufolge pendeln. Heidelberg wurde jedoch ihr Zuhause und neues Zentrum der Großfamilie. Von der Freude an den harmonischen und guten familiären Beziehungen und über die Entwicklung der beiden Enkeltöchter war noch die Todkranke erfüllt.

Den letzten Wechsel in eine unbekannte Welt hat sie nun auch geschafft. „Ruhe in Frieden, liebe Hanne!“

Gudrun Schuster

Schlagwörter: Nachruf, Germanistik, Schule, Kronstadt, Horst Schuller

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Neueste Kommentare

  • 04.03.2012, 13:03 Uhr von getkiss: Meine Frau Elfi hatte die Lehrerkollegin, Frau Schuller gekannt und geschätzt. Das war an strenge, ... [weiter]

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