22. Februar 2014

Toma inszeniert in München und Berlin Theater gegen das Vergessen

Ioan C. Toma bringt demnächst in München und dann in Berlin die „Ballade der Mädchen vergangener Zeit“ auf die Bühne – Theater mit Texten von Anița Nandris-Cudla, Ana Novac und Bettina Schuller, der Mutter des 1953 in Kronstadt geborenen Regisseurs. Drei in Rumänien aufwachsende Frauen erleben in ihren jungen Jahren das Ende des Zweiten Weltkrieges an extrem unterschiedlichen Orten und bringen ihre Erlebnisse zu Papier. Ihre literarisch außergewöhnlichen Texte bilden die Grundlage für die Theateraufführung. Die „Mädchen“, deren gewohnte Umwelt radikal verändert wird, lachen und weinen, jubeln, singen und träumen, erleben fremde Welten, von der Hitze der Krematorien über siegessichere Soldaten im Stechschritt bis zur eiskalten Tundra, und müssen alle begreifen, was es heißt zu sterben oder zu überleben. Von den drei Autorinnen lebt heute nur mehr Bettina Schuller.
Neben Ioan C. Toma (Regie und Fassung) zeichnet die gebürtige Schäßburgerin Bonnie Tillemann für Kostümbild und Maske verantwortlich. Die Aufführungen finden am 13. und 14. März um 20.00 Uhr in der Reithalle München (Heßstraße 132; Kartentelefon: (089) 12162370; Website: www.reithalle-muenchen.de) und am 28. und 29. März um 20.00 Uhr in der Lukaskirche in München (Mariannenplatz – Tram 18; Karten nur an der Abendkasse; Website: www.sanktlukas.de) statt. Weitere Aufführungen sind in Berlin geplant: am 4. April um 20.00 Uhr im Rumänischen Kulturinstitut (ICR; Königsallee 20 A; Website: www.icr.ro/berlin-1) und am 5. April um 20.00 Uhr im Studio Niculescu (Oranienstraße 163; Website: www.studioniculescu.com).

Ana Novac, als ungarische Jüdin 1929 in Siebenbürgen geboren (2010 gestorben), veröffentlichte „Die schönen Tage meiner Jugend“ (Schöffling & Co. Verlag, Frankfurt am Main, 2009), ihr Tagebuch, das sie als Fünfzehnjährige in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern heimlich führte. Bettina Schuller, als Deutsche 1929 in Siebenbürgen geboren, beschreibt in „Führerkinder“, wie die Begeisterung für Deutschland ihren Geburtsort Kronstadt erfasste (Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2012). Die 1904 in der Bukowina geborene rumänische Bäuerin Anița Nandris-Cudla (1986 gestorben) wurde als junge Frau von den Sowjets deportiert und hinterließ „Lebenserinnerungen – 20 Jahre in Sibirien“ (Bukowina-Institut Augsburg und Humanitas Verlag Bukarest, 2010).
Anița, 1941 einer stalinistischen Deportation zum Opfer gefallen, verbringt 20 Jahre in Sibirien. „Ihr“ Sibirien wird den Rahmen der Vorstellung bilden. Die poetische Kraft und das Gespür für Menschen heben den Text dieser rumänischen Bäuerin von vielen anderen Deportationsbeschreibungen ab. Die fünfzehnjährige Ana schreibt ihrerseits mit wild-jugendlicher Energie gegen die permanent lauernde Gefahr an, ausgelöscht zu werden: „Seit der Tod nicht aufhört, mich sitzen zu lassen, ist er deutlich in meiner Achtung gesunken!“ Die 84-jährige Bettina lässt indessen das Trauma der Verführung, die ihre Jugend begleitet hat, nicht los: „Die Erinnerung schwebt über dem Gedächtnis wie ein Schmetterling über der Blüte und manchmal wie ein Raubvogel über der Beute“.

Zwei Schauspielerinnen (Susanna Kratsch, Ileana Tautu) und eine Akkordeonistin (Jolanta Szczelkun) lassen die Lebensgeschichten ineinandergreifen. Die Vorstellung bewegt sich zwischen Passagen der Erinnerung bis zu gespielten Szenen, wobei die Darstellerinnen in fliegenden Wechseln die Stimmungslage in einem KZ, in dem kriegsbegeisterten Kronstadt oder in Sibirien aufleben lassen. Dabei spielt das Akkordeon atmosphärisch eine wichtige Rolle. Die 1985 in München geborene Schauspielerin Ileana Tautu begründet ihre Affinität zur Inszenierung mit ihrer eigenen Familiengeschichte: „Die Thematik dieses Projektes hat mich von Anfang an fasziniert, nicht nur weil ich rumänische Wurzeln habe und mein Großvater fünf Jahre in einem rumänischen Arbeitslager gefangen gehalten wurde, sondern auch weil ich die verschiedenen Perspektiven der Geschichte kenne, die unser Familienbild so sehr geprägt hat.“

Für Ioan C. Toma birgt die „Ballade der Mädchen vergangener Zeit“ durchaus Anknüpfungsmöglichkeiten hinsichtlich früherer Regiearbeiten: „Vor Jahren habe ich ‚Münchhausen – das wahre Rap-Musical‘, ein Stück meiner Tochter Luise, inszeniert, das die heiteren Lügen des Barons von Münchhausen thematisierte. Jetzt arbeite ich das erste Mal auch mit Texten meiner Mutter. Wieder ist die Lüge das Thema; die verhängnisvolle Lüge der Nazipropaganda und der damit verbundene mörderische Krieg, der am Rande auch das friedliche Zusammenspiel der Kulturen in Siebenbürgen erschüttert hat. Aber sowohl diese Lüge als auch die Geschichten der anderen beiden Autorinnen Sibirien und KZ betreffend sind uns bekannt; vom großen Verführen und Verschleppen in jenen Zeiten wissen wir viel. Der ‚Inhalt‘ ist uns genau so bekannt wie ‚Hamlet‘ mit seiner großen Todesorgie im letzten Bild. Und trotzdem oder gerade deshalb werden die Geschichten wieder und immer wieder aufgegriffen. Hamlet bittet seinen Freund Horatio die Geschichte weiter zu erzählen, damit die Welt davon erfährt. In diesem Sinne will ich die Geschichten der drei ‚Mädchen‘ voller Poesie, Ekstase, Galgenhumor und Musik als lebendiges Theater gegen das Vergessen auf die Bühne bringen.“

CS

Schlagwörter: Theater, München, Berlin

Bewerten:

10 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.