11. Juni 2016

Autorenlesung beim Heimattag in Dinkelsbühl

Um die siebenbürgische Heimat und um Welten, die vergangen sind, ging es am Pfingstsonntag bei der gut besuchten Autorenlesung mit Iris Wolff und Frieder Schuller im Evangelischen Gemeindehaus St. Paul in Dinkelsbühl.
Als „Liebeserklärung an Hermannstadt” bezeichnete Iris Wolff ihren zweiten Roman, „Leuchtende Schatten” (2015), dessen Handlung in den Jahren 1943-1944 spielt und aus dem sie einige Ausschnitte für das literaturinteressierte Publikum des Heimattags der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl vorlas. Damit widmet die junge Schriftstellerin, eine gebürtige Hermannstädterin, der Heimat Siebenbürgen schon ihr zweites Buch.

Für ihren Debütroman „Halber Stein“, dessen Handlung in Michelsberg spielt, wurde sie 2014 mit dem Ernst-Habermann-Preis ausgezeichnet. In „Leuchtende Schatten“ thematisiert Iris Wolff die Rekrutierung der Siebenbürger Sachsen für die Wehrmacht, den Frontenwechsel Rumäniens von den Achsenmächten zu den Alliierten, die politischen Verstrickungen im Zweiten Weltkrieg – und somit den Anfang vom Ende des traditionellen siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaftslebens, so wie es seit Jahrhunderten in Siebenbürgen stattgefunden hatte. All diese ernsten Themen erkennt der Leser jedoch nur im Hintergrund.

Die Schriftstellerin Iris Wolff las aus ihrem ...
Die Schriftstellerin Iris Wolff las aus ihrem Roman „Leuchtende Schatten“. Foto: Hans-Werner Schuster
Im Mittelpunkt der Narration steht eine unschuldige Mädchenfreundschaft zwischen Ella und Harriet, die aus sehr unterschiedlichen Elternhäusern kommen und einander mit umso mehr Neugier begegnen.

Politische Ereignisse reißen die Familien auseinander, Ellas Vater wird verhaftet, später entschließt er sich in letzter Minute, in den Zug nach Deutschland zu steigen und sich den Truppen des Reichs anzuschließen. Die Verabschiedung der Männer auf dem Bahnsteig von Hermannstadt gleicht einem Volksfest, aber sobald der Zug zu rollen beginnt, kehrt eine beklemmende Stille ein, die nichts Gutes ahnen lässt – als wäre dies die Verabschiedung von einer Welt, die für immer verloren geht. Es gab jedoch im Saal in Dinkelsbühl auch lautes Gelächter, vor allem bei den Szenen, in denen es um Schnaps, Tanz und Großmutter Ursulas lustige Welterklärungsmodelle ging. Der Roman, der beim Publikum sehr gut ankam, lebt gerade vom Spannungsverhältnis zwischen Erwachsenenwelt und Kinderträumen, zwischen Schwere und Leichtigkeit.

Ähnlich verhielt es sich mit der Lyrik von Frieder Schuller. Der Dichter las aus seinen Bänden „Die Angst der Parkbank vor dem Abendrot“ (2016) und „Mein Vaterland ging auf den roten Strich“ (2006). Thematisch ging es um die „Jahre keiner Begeisterung“, wie Schuller die Zeit vor drei-vier Jahrzehnten in der Sozialistischen Republik Rumänien nennt.

Frieder Schuller bei der Autorenlesung am ...
Frieder Schuller bei der Autorenlesung am Pfingstsonntag in Dinkelsbühl. Foto: Janek Wiechers
Er selbst hatte mehrfach die Gelegenheit, das Regime kennenzulernen: als Kulturredakteur der Karpatenrundschau (1968-1972), als Dramaturg am Staatstheater Hermannstadt und als Autor. 1969 veröffentlichte er seinen ersten Lyrikband, 1970 sein erstes Theaterstück – doch nach wiederholter Zensur, Veröffentlichungs- und Aufführungsverboten reiste er 1978 in die Bundesrepublik aus. Seit einigen Jahren lebt er abwechselnd in Berlin und dem siebenbürgischen Katzendorf, seinem Geburtsort, wo er jährlich einen Dorfschreiberpreis vergibt. 2012 wurde am Hermannstädter Theater sein Stück „Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“ uraufgeführt, in dem er das Leben zwischen Erpressbarkeit, Kompromiss und Widerstand im totalitären Rumänien thematisiert.

Weniger brisant, aber nicht minder bewegend ist die Lyrik, die Frieder Schuller in Dinkelsbühl vorlas. Nachdenklich stimmte das Gedicht über „Frau Martha Gunesch aus Malmkrog“, die zum 29. Mal bei der Behörde in Hermannstadt auf ihren Pass wartet und abermals die lakonische Antwort bekommt: „Kommen Sie in drei Wochen noch einmal.“ Auf der Rückfahrt in ihr Dorf errechnet die alte Frau, dass 29 Fahrten von Malmkrog nach Hermannstadt und zurück bei weitem gereicht hätten, um nach Ingolstadt zu ihrem Sohn zu gelangen. Weitere „Passamtlegenden“ und „Verwandte mit Opel und Westmark“ kamen in den Gedichten vor. Aber auch Nostalgie war zu spüren, als es um ein gesticktes Tulpenmuster ging, „das am Hochzeitstag festhält“, oder um die Heimat, in der „das Sterben ernst genommen wird”. Heiter war hingegen die Miniatur über das Palukes-Rezept. Viele der Zuhörer mussten lächeln, insbesondere bei den Versen über das Schlangestehen vor dem Lebensmittelladen und das „Reden um den heißen Brei“.

Christine Chiriac

Schlagwörter: Heimattag 2016, Dinkelsbühl, Autor, Lesung Wolff, Schuller

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