3. Juli 2016

Streiflichter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen

Versuchen wir in den nächsten acht Folgen dieser Serie, die Entwicklung der Siebenbürger Sachsen während neun Jahrhunderten nachzuzeichnen, vieles auslassend – was etwa in den heute rund 80000 Titeln der Siebenbürgischen Bibliothek auf Schloss Horneck im Detail nachgelesen werden kann – und vielleicht einiges besonders betonend, was aus meiner Sicht einen roten Faden bilden könnte, der die Jahre 1141 und 2016 miteinander verbindet.
Die in der ersten Folge dieser „Streiflichter“ genannten Vorrechte, derer sich die Siedler erfreuten, bewirkten ein schnelles Aufblühen ihres neuen Gemeinwesens. Bereits der zweiten Generation der „fremden Gastsiedler des Königs aus Siebenbürgen“ wird 1186 eine herausragende wirtschaftliche Leistungskraft bescheinigt, die der „Krone“, also dem Staat, in den sie gerufen worden waren, zugute kam: Als König Béla III. um die Hand der französischen Königstochter Margarete Capet warb, gab er an, von den Siedlern 15000 Mark zu beziehen. Auch wenn der Werbende vielleicht übertrieben hat – im Andreanum von 1224 wird die Abgabe auf 500 Mark festgelegt – so ist allein die besondere Nennung dieser Einnahmequelle ein deutlicher Hinweis auf die in relativ kurzer Zeit erlangte wirtschaftliche Bedeutung der in dieser Quelle erstmals urkundlich genannten Gruppe.

1191 – 50 Jahre nach der Thronbesteigung Geisas II. – bestätigte Papst Coelestin III. die Errichtung der Ecclesia Theutonicorum Ultrasilvanorum, die direkt dem Erzbischof von Gran/Esztergom nachgeordnet war. Aus dieser eigenen Kirche der Deutschen in Siebenbürgen, die nicht dem örtlichen Bischof, sondern direkt dem fernen Primas der ungarischen Kirche nachgeordnet war, bildete sich bald jene geistliche Universität heraus, welche die Siebenbürger Sachsen über Jahrhunderte – in katholischer wie in evangelischer Zeit – ungeachtet ihres wirtschaftlichen und sozialen Standes zusammengehalten hat.

Ebenfalls im Jahre 1191 erkannte Papst Coelestin auch den Deutschen Orden an, der 1190, während des Dritten Kreuzzugs, als Hospitalorden gegründet worden war, jenen Orden, den der schon mehrmals genannte Andreas II. 1211 nach Siebenbürgen gerufen hat, um die Grenzen der abendländischen Christenheit zu verteidigen und gegebenenfalls auszuweiten, jenen Orden, dem wichtige Bauten und ein nachhaltiges Siedlungswerk im Burzenland zu verdanken sind und über dessen Wirken im Karpatenbogen Professor Harald Zimmermann das Standardwerk schlechthin geschrieben hat.

1241 – sozusagen zum 100. Jubiläum der Ansiedlung – hatte man wenig Anlass, groß zu feiern. Die Mongolen fielen ins Land ein. Bis ins ferne Echternach verbreitete sich die Kunde von den Verwüstungen, die sie verübt haben: „Im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1241, genau am Ostersonntag (31. März), brachen die Tataren über die Karpatenwälder, drangen in Rodna, einem Markt Ungarns, ein und töteten dort viertausend Menschen oder mehr. Am selben Tage drang ein zweites Heer der Tataren in die Provinz ein, die Burzenland heißt, und tötete den Führer eines Heeres des siebenbürgischen Landes mit allen seinen Leuten. Am Dienstag derselben Woche (2. April) fielen im Markt, der Nösen (Bistritz) heißt, 6014 Christen. Am Donnerstag (4. April) fielen im Dorf Kokelburg mehr als dreißigtausend. Ebenfalls an einem Donnerstag, vor dem Sonntag Misericordias (11. April), fielen in der Stadt, die Hermannsdorf heißt, mehr als Hunderttausend ...“ – so die schreckliche Nachricht, welche die luxemburgischen Mönche in einem Codex festgehalten haben. Auch wenn die Bevölkerungszahlen zweifellos übertrieben sind, die Tatsache, dass die Siebenbürger Sachsen binnen kaum eines Jahrhunderts mehrere relativ große Siedlungen geschaffen haben, ist beeindruckend. Beeindruckend auch der Widerstand, den der Bergort Rodenau unter der Führung seines Gräfen Ariscaldus geleistet hat, über den Rogerius von Torre Maggiore in seinem Carmen miserabile berichtet: „König Cadan aber [...] erreichte das deutsche Dorf Radna, das zwischen hohen Bergen lag und durch ein königliches Silberbergwerk reich geworden war. Hier hatte sich eine zahlreiche Volksmenge eingefunden. Da es sich aber um kriegstüchtige Männer handelte, die keinen Mangel an Waffen hatten, rückten sie auf die Nachricht von der Ankunft der Tartaren aus ihrem Dorfe aus und zogen dem Feind durch die Wälder und über das Gebirge entgegen. Als Cadan aber die zahlreichen Bewaffneten erblickte, ließ er wenden und täuschte eine Flucht vor. Da kehrten diese Leute siegestrunken heim, legten ihre Waffen ab und begannen sich mit Wein zu betrinken, wie es die deutsche Leidenschaft erfordert. Aber die Tartaren überraschten sie und griffen, da weder Gräben noch Mauern noch sonst irgendwelche Befestigungen vorhanden waren, das Dorf aus vielen Richtungen an. Und da überall ein großes Morden einsetzte, ergab sich die Bevölkerung auf Gnade und Ungnade, als sie merkte, dass sie keinen Widerstand mehr leisten konnte. Cadan aber stellte die Stadt unter seinen Schutz, nahm Ariscaldus, den Grafen der Ortschaft, mit 600 auserlesenen deutschen Kriegern in sein Heer auf und begann mit ihnen in das Land diesseits der Grenzwälder vorzudringen.“
Unter Hochmeister Hermann von Salza errichtete ...
Unter Hochmeister Hermann von Salza errichtete der Deutsche Ritterorden die ersten Siedlungen im Burzenland. Statue von Rudolf Schweinitz auf der Weichselbrücke bei Thorn. Holzstich aus der Illustrirten Zeitung vom 25. Mai 1878, Sammlung Konrad Klein
Das Zitat macht sowohl die militärische als auch die wirtschaftliche Bedeutung der vor rund hundert Jahren zum Schutz der Krone „Gerufenen“ mehr als deutlich. Das obige Zitat macht am Beispiel von Rodenau auf die unzureichende Befestigung der siebenbürgischen Ortschaften aufmerksam. Dass nunmehr an ein neues Verteidigungssystem gedacht werden musste, das sich selbst verteidigenden Städten eine zentrale Rolle zuwies, und dass König Béla IV. nun weitere westliche Siedler ins Land rief, war die positive Folge dieser Katastrophe. Und nur 50 Jahre später, 1291, ist in einer Urkunde König Andreas‘ III. erstmals von den Burgen und Befestigungen der Sachsen die Rede, die zur Verteidigung der Region wesentlich beigetragen haben, von jenen Wehrkirchen also, die bis heute die Landschaft prägen und die ein wichtiges Element unserer Identität und unserer Erinnerungskultur sind.

Im gleichen Jahr, 1291, fand am 11. März in Weißenburg (Alba Iulia) der erste bekannte Landtag Siebenbürgens statt, an dem Andreas III. „cum universis nobilibus, Saxonibus, Siculis et Olachis“ zusammenkam. Die Sachsen traten hier erstmals als Landstand auf – als eine universitas, als eine den gesamten Landstand umfassende Gruppe –, als zweiter nach dem ungarischen Adel, und blieben ein solcher bis 1867, als die ständische Verfassung des Landes von der ungarischen Regierung aufgelöst wurde, während die Rumänen vermutlich nur dieses einzige Mal vertreten waren. Die Führungsschicht der Sachsen bildeten damals die Gräfen, die seit der Einwanderungszeit, als sie die Ansiedler anführten, in den Gemeinden und auch in den werdenden Städten das Sagen hatten. Gestützt auf das ihnen zugewachsene Ansehen, auf ihre schon im Auswanderungsgebiet bessere wirtschaftliche und soziale Stellung und wohl auch im Wege des Gewohnheitsrechtes hatten sie sich die Erblichkeit ihrer leitenden Funktionen gesichert, die mit dem comes-Titel, mit Abgabenfreiheit, größerem Grundbesitz auf Gemeindeboden, gewissen Vorrechten in der Benutzung von Weide und Wald sowie mit Einkünften aus dem Gerichtsgefälle verbunden war. Von ihnen ist ebenfalls 1291 die Rede, als Andreas III. sie als „Saxones Transilvani, praedia tenentes et more nobilium se gerentes“ bezeichnete, die ihn militärisch unterstützen sollten. Der Kampf gegen diese „nach Art des Adels“ lebenden Erbgräfen, die letztlich die Freiheit der Sachsen bedroht haben, kennzeichnet die beiden folgenden Jahrhunderte. Auch wenn das Theaterstück „Der letzte Gräf von Kelling“ (siehe Abbildung) nicht ganz den historischen Realitäten folgte (ein Gräf Johann von Kelling ist nicht als Teilnehmer der berühmten Schlacht von Nikopolis aus dem Jahr 1396 bekannt; Johann war nicht der letzte Gräf, vielmehr spielten die Gräfen von Kelling und Weingartskirchen noch lange Zeit eine wichtige Rolle in der siebenbürgischen Geschichte; die Gräfenburg wurde nicht 1396, sondern um 1430 der Gemeinde übergeben und zur Bauernburg umgewandelt), macht das Liebesdrama die militärische Bedeutung der sächsischen Gräfen deutlich, die König Sigismund von Luxemburgs Verteidigungspolitik unterstützten.
Uraufführung von Malvine Antonis Historien- und ...
Uraufführung von Malvine Antonis Historien- und Liebesdrama „Der letzte Gräf von Kelling“ im dortigen Burghof (1913). Erbgräf Johann (2. von rechts) erlag – zumindest im Theaterstück – nach der Türkenschlacht bei Nikopolis seinen Verletzungen. Ansichtskarte (Ausschnitt), Sammlung Konrad Klein
Diese Gräfen haben auf ihren Grundbesitzungen außerhalb des Territoriums, auf dem die Freiheit durch das Andreanum abgesichert war, neue, sogenannte Sekundärsiedlungen gegründet und ihre Landsleute angelockt, ohne schriftlich festzuhalten, dass sie frei bleiben werden. Sie wurden nach wenigen Jahrzehnten zu Untertanen auf dem Adelsboden. Der Spruch „Da keiner Herr und keiner Knecht“ galt also – und auch das nur theoretisch – allein auf Königsboden.

Die Siebenbürger Sachsen setzten ihre militärische Stärke nicht immer nur „zum Schutz der Krone“, sondern durchaus auch zum Schutz eigener Interessen ein. Kennzeichnend ist ein Konflikt mit dem Bischof von Siebenbürgen, der 1277 gewaltsam ausgetragen wurde. Dieser hat nicht nur wiederholt versucht, die Hermann­städter Propstei, ihren autonomen Kirchenverband, seiner Diözese unterzuordnen, sondern auch von der Handelstätigkeit der Sachsen zu profitieren und ihre Kaufleute rechtswidrig mit Zöllen zu belegen. Zudem hat der Bischof den Besitz einer Gräfenfamilie wallonischer Herkunft angetastet. Das Fass zum Überlaufen brachte die Ermordung Alards von Salzburg durch Knechte des Bischofs. Daraufhin überfielen sein Sohn Gaan „und die Genossen seiner Arglist sowie die Mittäter seines Unrechts, die Sachsen Siebenbürgens“ den Bischofssitz Weißenburg und legten ihn in Schutt und Asche. Die Täter wurden mit dem Kirchenbann belegt, was sie allerdings nicht sonderlich beeindruckt haben dürfte, denn im Jahre 1308 arteten die Gegensätze wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen aus.
Die Domkirche in Weißenburg (später Karlsburg, ...
Die Domkirche in Weißenburg (später Karlsburg, Alba Iulia) wurde 1277 während der Sonntagsmesse von Gaan von Salzburg in Schutt und Asche gelegt und 1308 bei einem Rachefeldzug der Hermannstädter ein weiteres Mail verwüstet. Lithographie (nach einer Fotografie von Th. Glatz), 1865, Sammlung Konrad Klein
Diesmal standen sie im Zusammenhang mit dem Versuch der Siebenbürger Sachsen, in die „große Politik“ einzugreifen. Im Jahre 1301 war die seit dem Reichsgründer Stephan herrschende Dynastie der Arpaden im Mannesstamm ausgestorben. Von den nun einsetzenden Thronwirren zwischen Prätendenten aus der weiblichen Linie versuchte der seit 1294 amtierende Woiwode Siebenbürgens Ladislaus Kán zusammen mit seinem Bruder Petrus, Bischof von Weißenburg, zu profitieren und das Land in die Gewalt seiner Familie zu bringen. Seine eindeutigen Autonomiebestrebungen hoffte er gegenüber Karl Robert von Anjou aus dem fernen Süditalien leichter durchzusetzen. Die Siebenbürger Sachsen hingegen waren eher an einem starken Königtum interessiert, das ihre Privilegien zu schützen vermochte, und setzen auf den Wittelsbacher Otto von Bayern. Offensichtlich spielte dabei auch ein frühes ethnisches Bewusstsein eine Rolle, das der Chronist Otacher von der Geul in folgenden Reimen festhielt: „grozlich erten si in. / mit geuden und mit schalle / freuten si sich alle, / daz in got noch bî irem leben / ein tiutschen kunic hete geben“. Im Jahre 1305 huldigten ihm die Hermann-städter in Ofen, bei Szegedin kämpfte auch ein sächsisches Heeresaufgebot für König Otto, der danach Siebenbürgen besuchte und in Bistritz und Hermannstadt herzlich begrüßt wurde. Hinterlistig bot ihm daraufhin Ladislaus Kán die Hand seiner Tochter an. Der Wittelsbacher besuchte ihn, wurde jedoch gefangengenommen, seiner Herrschaftsinsignien beraubt und nach Bayern zurückgeschickt (wo er 1312 als Herzog von Niederbayern starb und in Landshut begraben wurde). Die Siebenbürger Sachsen fühlten sich verraten, wurden überdies vom Bruder des Woiwoden, dem siebenbürgischen Bischof, provoziert. Am 19. Februar 1308 überfiel die universitas Saxonum de Cibinio erneut den Bischofssitz, verwüstete die Kathedralkirche, jagte die Kanoniker mit Schwertern durch das Gestühl. In einem Rundumschlag wurden zudem Adlige vertrieben, die Gutsbesitz auf Königsboden erworben hatten, deren Wohntürme und sonstigen Befestigungen zerstört, erfolgreich die Szekler und andere Anhänger des Woiwoden bekämpft. Die Gemeinschaft überstand diesen Mehrfrontenkrieg offenbar ohne nennenswerten Schaden, ihre Führer waren aber politisch klug genug, von dieser Position der Stärke aus Verhandlungen mit Karl Robert von Anjou aufzunehmen, den sie im Jahre 1309 als König anerkannten. 1317 bestätigt dieser den Andreanischen Freibrief. Der Ausgleich währte allerdings nicht lange. Der König versuchte nämlich, die Eigenständigkeit der widerspenstigen Sachsen zu brechen, indem er seinen neuen Woiwoden Thomas Széchényi 1322 zum Grafen von Hermannstadt ernannte und ihm 1324, wider geltendes Recht, auch die uneingeschränkte Gerichtshoheit über das Komitat übertrug. Das aber widersprach den kürzlich bestätigten Andreanischen Freiheiten und dagegen setzten die Sachsen „rechte Gewalt“. „Sämtliche Sachsen Siebenbürgens“ erhoben sich unter der Führung Hennings von Petersdorf und konnten erst 1335 endgültig niedergeschlagen werden. Der harsche Widerstand zeitigte aber Wirkung: Karl Robert suchte nunmehr das Einvernehmen mit den Sachsen, nahm die Reorganisation der Grafschaft Hermannstadt in Stühle und Distrikte vor, förderte durch Stadtrechte, Handelsprivilegien und Maßnahmen zur Hebung des Bergbaus und des Handwerks die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Siedlungsgebiete. Auf verbriefte Rechte zu pochen, ihre Beachtung einzufordern, sich notfalls mit Gewalt gegen Unrecht zu wehren, das waren Konstanten siebenbürgisch-sächsischer Geschichte auch in den folgenden Jahrhunderten.

Dr. Konrad Gündisch


Schlagwörter: Streiflichter, Geschichte, Siebenbürger Sachsen

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