6. April 2017

Tagung "Hilfe und Selbsthilfe bei den Rumäniendeutschen – Neuaufbau in Ostmitteleuropa"

Rund 80 Personen, davon 15 aus Rumänien und Einzelgäste aus Tschechien, der Schweiz und Österreich, fanden sich vom 10. bis 12. März in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ zusammen. Veranstaltet wurde die Tagung vom Evangelischen Freundeskreis Siebenbürgen (EFS), der Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben (früher Hilfskomitee) sowie der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR) unter Beteiligung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien. Die Tagung wurde vom Bundesministerium des Innern gefördert. Seitens der Veranstalter sprachen am Eröffnungsabend Pfarrerin Birgit Hamrich für den EFS sowie Prof. Berthold Köber für das Hilfskomitee Grußworte. Beide gestalteten gemeinsam auch den Gottesdienst am Sonntagmorgen.
Die Zeit nach 1989 ist für die Rumäniendeutschen eine Zeit eines gewaltigen Umbruchs, in der innerhalb eines Jahres nahezu neun Zehntel dieser Minderheit ihr Geburtsland verlassen haben. Zunächst war es für die Verbliebenen eine Zeit der Hoffnungslosigkeit, der Vereinsamung, des Niederganges von Institutionen, vor allem des Schrumpfens bzw. der Auflösung der evangelischen Kirchengemeinden und der Sorge um die Aufrechterhaltung eines deutschen Bildungswesens in Rumänien. Noch in der unmittelbaren Revolutionszeit im Dezember 1989 wurde jedoch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien gegründet, das bald danach als politische Interessenvertretung der Deutschen in Rumänien anerkannt wurde. Das Parlamentswahlrecht Rumäniens, das ethnische Minderheiten privilegiert, erlaubte es, dass seither stets ein Forumsvertreter in der Abgeordnetenkammer ein Mandat erhält und sich für die besonderen Belange der Deutschen Rumäniens einsetzen kann.

Benny Józsa, Geschäftsführer des Landesforums mit ...
Benny Józsa, Geschäftsführer des Landesforums mit Sitz in Hermannstadt. Foto: Gustav Binder
Schon bald gab sich die Evangelische Kirche, die sich bislang als Volkskirche verstanden hatte, eine neue Kirchenordnung und definierte sich als Diasporakirche mit weiterhin – wenn auch nicht ausschließlich – deutscher Verkündigungssprache. Derzeit dienen rund 40 Pfarrer in der EKR. Es wurden neue diakonische Einrichtungen geschaffen, vor allem die großen, mit Bundesmitteln gebauten Altenheime in Hermannstadt und Temeswar sowie kleinere Modellprojekte (Essen auf Rädern, Dorfaltenheime in Schweischer und Hetzeldorf). Über die Bewohner und den Alltag des Hetzeldorfer Altenheims in zwei ehemaligen sächsischen Bauernhäusern wurde der nahezu tragikomische Dokumentarfilm „Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärkt die Glieder“ von Claudia Funk gezeigt.

Nach den Umbruchsjahren, in denen man sich vor allem mit dem Ab- und Rückbau von Institutionen, der Sicherung des Kulturgutes und den Fragen der Restitution von Gebäuden und sozialen Fragen beschäftigt hatte, trat eine gewisse Konsolidierung ein. Es war abzusehen, dass es weiterhin deutsche Minderheiten und Siedlungsschwerpunkte in Rumänien geben würde, dass die Kirchen und die deutsche Verkündigungssprache sowie ein deutschsprachiges Bildungswesen bei gutem Willen und in- und ausländischer Unterstützung erhalten bleiben würden. Dieses gilt vor allem für die Städte. Für die Dörfer kann eine solche Erwartung nicht ausgesprochen werden.
Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der Evangelischen ...
Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Foto: Dr. Egbert Schlarb
Über die Rolle des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien als politische Interessenvertretung auf ethnischer Grundlage und zugleich Kulturverband referierte Benny Józsa, Geschäftsführer des Landesforums mit Sitz in Hermannstadt. Józsa ging auch auf die aktuellen Falschmeldungen und gezielten Kampagnen einzelner rumänischer Boulevardmedien gegen die deutsche Minderheit ein, die im Zusammenhang mit der versuchten Demontage und Verleumdung des aus den Reihen der deutschen Minderheit stammenden rumänischen Staatspräsidenten und langjährigen Hermannstädter Bürgermeister Klaus Johannis stehen, der bestrebt ist die politische Kultur Rumäniens zu verändern. Der Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A.B., Friedrich Gunesch, stellte die Zukunftskonzepte der EKR vor. Nachhaltigkeits- und Solidaritätsfonds innerhalb der Landeskirche werden gebildet, die für einen innerkirchlichen finanziellen Ausgleich, etwa bei der Pfarrerbesoldung, sorgen.

Hilfen für die deutsche Minderheit leistet seit 1990 auch das deutsche Bundesministerium des Innern (BMI). Über das Spektrum dieser Stabilisierungshilfen referierte Dr. Eva Annette Brauns. Hierzu gehören Sachleistungen für Bedürftige, Bau- und Unterhaltskosten für die Altenheime, Förderungen für Deutschlehrer, die Jugendarbeit u.a. Das BMI hatte in Rumänien regionale Stiftungen gegründet, die Kredite für kleine Unternehmensgründungen vergaben. Diese Kredite werden zurückgezahlt und stehen für neue Projekte und Geschäftsideen zur Verfügung. Klaus Sifft, Geschäftsführer der Saxonia-Stiftung in Rosenau und selbst unternehmerisch tätig, referierte über das Wirken der Stiftungen an konkreten Beispielen. Dr. Carmen Schuster, eine Rückkehrerin, die in Rumänien das Bausparkassenwesen mitaufgebaut hat, berichtete von ihrer ­geschäftlichen und gleichzeitig denkmalschützerischen Initiative in ihrem Heimatdorf Kleinschenk mit einem touristischen Angebot sowie der Möglichkeit, Arbeitsplätze und Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen und dabei das kulturelle Erbe (Dorfensemble, Kirche und Schule) zu erhalten und behutsam neuen Zwecken zur Verfügung zu stellen.
Studienleiter Gustav Binder stellte die ...
Studienleiter Gustav Binder stellte die Referentin Carmen Schuster vor. Foto: Dr. Egbert Schlarb
Monika Brandsch, in Deutschland ausgebildete und staatlich anerkannte Sozialpädagogin, berichtete von ihrer Tätigkeit in einer der Hermannstädter evangelischen Kirchengemeinde angegliederten Modelleinrichtung, dem Offenen Haus in Hermannstadt, wo Kinder aus sozial schwachen Familien Essen, eine schulische Förderung wie Hausaufgabenbetreuung und auch Möglichkeiten zur Körperpflege erhalten. Entgegen den Eindrücken, die man als Tourist in Rumänien erfährt, gibt es dort nach wie vor großes Elend und Armut. Das Offene Haus wirkt außerhalb der deutschen Gemeinschaft segensreich in die rumänische Mehrheitsgesellschaft und ist im besten Sinne das, was Altbischof Christoph Klein „Kirche für andere“ genannt hat. Das Offene Haus hat keine gesicherte Finanzierung und ist auf Spenden angewiesen.

Erwin Josef Țigla, Vorsitzender des Banater Berglandforums mit Sitz in Reschitza, berichtete über das 30-jährige Wirken der Reschitzer Vortragsreihe, einer Art Volkshochschule. Die Banater Berglanddeutschen stehen neben den Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben selten im Fokus der Aufmerksamkeit unter den rumäniendeutschen Gruppen, da sie häufig Industriearbeiter waren und keine Eliten hervorgebracht haben. Der Beginn der Vortragsreihe ist noch in der kommunistischen Zeit zu verorten. Țigla, im Hauptberuf Bibliothekar, ist unermüdlich im Einsatz für die deutsche Sprache und Kultur und entfaltet eine unübersehbare schriftstellerische und publizistische Tätigkeit. Die Zukunft der Deutschen in Siebenbürgen und im Banat wird aber eher so aussehen wie im Bergland.
Teilnehmer der Tagung „Hilfe und Selbsthilfe“ in ...
Teilnehmer der Tagung „Hilfe und Selbsthilfe“ in Bad Kissingen. Foto: Dr. Egbert Schlarb
Pfarrer Dr. Stefan Cosoroabă und Kurator Michael Henning zeigten am Sonntagmorgen in einem Zwiegespräch auf, wie sich Michelsberg nach der Wende verändert hat und welche Chancen es vor allem im Dorftourismus bietet. Das ehemalige untertänige Dorf Michelsberg war ein armes Bergdorf ohne Ackerbaumöglichkeiten. Die einzigen Erwerbsquellen waren ­neben Tätigkeiten in der nahen Heltauer Textilindustrie Nebenerwerbslandwirtschaft, Strohflechten und Obstanbau. Eine weitere Besonderheit ist, dass es bis zur Wende das einzige Dorf mit fast ausschließlicher sächsischer Bevölkerung war. Es traf sich gut, dass am Eröffnungsabend ein außergewöhnliches Filmdokument – „Die Leute von Michelsberg“ (1984) – des damaligen ARD-Korrespondenten für Südosteuropa, Peter Miroschnikoff, gezeigt wurde, der den letzten Augenblick authentischen Fest- und Alltagslebens in einem sächsischen Dorf festhielt. Am Samstagabend gab es Wunschfilme von Günter Czernetzky aus der umfangreichen Reihe „Siebenbürgische Dorfporträts“, die er mit seinen rumänischen Studenten der Hochschule für Journalistik in Hermannstadt erstellt hat.

Ziel der Veranstaltung war es, dass Personen und Organisationen aus Rumänien – Kommunalverwaltung, Kirche, Diakonie und die politischen Vertretungen der deutschen Minderheit in Rumänien – ihre Zusammenarbeit mit Ausgesiedelten und gegenwärtig in Deutschland lebenden Personen festigen, neue Aufgaben angehen und neue Perspektiven aufzeigen. Das ist rundum gelungen.

Gustav Binder

Schlagwörter: Bad Kissingen, Rumäniendeutsche, Diakonie, Bürgerinitiative

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  • 06.04.2017, 09:56 Uhr von mhawe: Michelsberg war bis zur Wende nicht das einzige Dorf mit ausschließlicher sächsischer ... [weiter]

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