22. Mai 2017

Eindrucksvoller Erlebnisbericht über Deportation und Flucht: "Donbass" von Jacques Sandulescu

In den USA sind der Autor und sein Buch seit Jahrzehnten bekannt. Endlich ist der eindrucksvolle Erlebnisbericht über die Deportation und Flucht des Siebenbürgers Hermann Pfaff auch in deutscher Sprache erschienen.
Wenn ein Buch in den USA mehrfach aufgelegt und fast ein halbes Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinen jetzt auch ins Deutsche übersetzt wird, muss es ein besonderes Buch sein. „Donbass – Deportation und Flucht eines jungen Kronstädters“ ist eine autobiografische Erzählung des 1928 geborenen Hermann Pfaff aus Rosenau. Er hat seine Geschichte unter dem Autorenpseudonym Jacques Sandulescu zum ersten Mal 1968 in den USA veröffentlicht, wo er seit den 50er Jahren lebte und 2010 starb. Das Buch setzt Anfang 1945 mit dem Ereignis ein, das den damals 16-Jährigen in sowjetische Gefangenschaft und in die Kohleminen des Donezbeckens führt: „Ich wurde in Kronstadt auf dem Weg zur Schule verhaftet. Es war gerade erst hell geworden, und die kalten dunkelgrauen Straßen waren fast menschenleer. An einer Straßenecke nahe der Schule sah ich mehrere bewaffnete russische Soldaten und einen rumänischen Dolmetscher in Zivil, die jemanden in einen Polizeitransporter drängten. Sie erblickten mich…“
Nüchtern und sehr anschaulich beschreibt der Autor, was ihm und seinen Mitgefangenen in den nächsten zweieinhalb Jahren wiederfährt: der wochenlange Transport im Güterwaggon Richtung Osten, die unmenschlichen Bedingungen im Lager, die schwere Zwangsarbeit im Bergwerk, ständig bedroht von Hunger, Kälte und Arbeitsunfällen, der Willkür der Wärter schutzlos aufgeliefert. Das Leben wird zum nackten Überleben, ein Stück Brot oder eine Jacke können über Leben und Tod entschieden. Es sind einzelne Menschen und schicksalhafte Momente, die dem Deportierten beim Überleben helfen: seine beiden Freunde Omar und Getz, der sowjetische Offizier, der ihm neue Filzstiefel für den harten Winter schenkt und ihn Wanja nennt, der Vorgesetzte in der Mine, der ihn zu sich nach Hause einlädt und sogar eine Heirat für ihn arrangieren will, die jungen russischen Frauen, mit denen er zusammenarbeitet und die ihn ins Herz schließen.

Noch härter als die Arbeit im Bergwerk ist schließlich Pfaffs Flucht. Als er bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt wird und der behandelnde Arzt seine Beine amputieren will, gelingt es ihm, Hals über Kopf zu fliehen. In offenen Waggons, eingegraben in die transportierte Kohle, fährt er in mehreren Etappen Richtung Westen. In der Sowjetunion, Polen, Ostdeutschland: Überall helfen fremde Menschen dem entflohenen Gefangen, obwohl sie damit viel riskieren. „Ich habe in den letzten beiden Jahren gelernt: Je mehr das Verlangen nach Grundbedürfnissen zur Selbsterhaltung stieg, umso mehr kam das menschliche Wesen zur Geltung … Ich war sicher, dass es, falls die Behörden herausfanden, dass Pyotr und Andrei mich versteckt gehalten und mir zu essen gegeben hatten, keine Milde bei ihrer Bestrafung gäbe, und doch riskierten sie es, denn sie empfanden und sahen und verstanden.“

Wie kann ein Mensch aus Fleisch und But das unmenschliche Leid verkraften, an dem die Hälfte seiner Mitgefangenen im Lager stirbt? Wie schafft er, schwer verletzt, mitten im Winter eine Flucht über tausende von Kilometer hinweg? Wanja, wie der Autor in der Sowjetunion genannt wird, ist sowohl körperlich als auch mental ungewöhnlich stark. Diese Stärke und seine Anpassungsfähigkeit werden zu seiner Lebensversicherung. Er ist 1,90 Meter groß und trotz Unterernährung so kräftig, dass er für zwei arbeiten kann. Emotionen sind für den Verschleppten fern der Heimat ein Luxus, den er sich verbietet – umso eindrücklicher sind die Momente, in denen die Verzweiflung überhandnimmt. Doch gerade weil das Buch das Erlebte ungefiltert und wertungsfrei beschreibt, packt es den Leser und kommt ihm sehr nahe. Der Leser fühlt, was Wanja sich nicht gestattete zu fühlen – es hätte ihn zu viel Kraft gekostet, die er zum Überleben brauchte.

Die Flucht und damit der Erlebnisbericht enden im Durchgangslager Buchholz in der Nähe von Hannover. Wie das Leben des Autors weiterging, erfahren wir aus dem Epilog, aber auch aus vielen anderen Quellen, die sich im Internet bei der Suche nach „Jacques Sandulescu“ finden. Pfaff alias Wanja alias Sandulescu hat auch als freier Mann so viel geschafft und erlebt, dass es kaum in eine einziges Leben zu passen scheint. Er war Schwarzmarkt-Händler im Nachkriegsdeutschland, Holzarbeiter in Kanada, Schwergewichtsboxer, Autor mehrere Bücher, in Europa stationierter US-Soldat, Student in Frankreich, UNO-Übersetzer während des ungarischen Volksaufstandes von 1956, Rettungsschwimmer, Barbetreiber, Schauspieler, Freund und Förderer des Kampfsports Karate. Die Online-Filmdatenbank „IMDb“ listet 17 Filme auf, in denen Jacques Sandulescu zwischen 1970 und 2002 mitspielte. Seine Filme, Bücher und Aktivitäten machen ihn in den USA bekannt, gar legendär.

Sein siebenbürgisches Heimatdorf und seine Mutter besucht der Autor erstmals Mitte der 60er Jahre, als die USA diplomatische Beziehungen zu Rumänien aufnehmen, und von da an oft. Auch seine Freunde Omar und Getz findet er wieder. 1999 fliegt er zum ersten Mal zurück in den Donbass, den „der Zusammenbruch der Sowjetregion in den fernen Osten der Ukraine platziert“ hatte. Er sucht nach den Orten und Menschen aus der Zeit als Zwangsarbeiter. Wie aufwühlend diese Begegnungen waren, wie schwer das Trauma durch Gefangenschaft und Flucht, erfahren wir nicht von ihm selbst, sondern von seiner Ehefrau Annie Gottlieb. Ihre Erzählung „Journey to Healing“ (Reise zur Heilung) ist 2001 in „O, The Oprah Magazine“ erschienen, das von der berühmten US-Moderatorin Oprah Winfrey herausgegeben wird (www.oprah.com/spirit/journey-to-healing-jacques-sandulescu-donbas-annie-gottlieb). Es ist ein sehr berührender Bericht, der zeigt, dass die extremen Erfahrungen im Donbass selbst einen so starken Mann wie Sandulescu lebenslang begleitet und gequält haben. Seine mehrfachen Reisen zu den Stätten dieser Zeit helfen ihm, sein Trauma zu bewältigen. Ebenso heilsam war es für ihn zu erfahren, dass sein Buch „Donbass“ in amerikanischen Schulen im Unterricht besprochen wird. Was er durchlebte, war also nicht vergessen. Durch die deutsche Übersetzung und Ausgabe im Schiller Verlag können jetzt noch mehr Menschen an Hermann Pfaffs Lebensgeschichte teilhaben und damit auch besser verstehen, was Russlanddeportierte durchmachen mussten.

Heidrun Rau

Jacques Sandulescu (Hermann Pfaff): „Donbass – Deportation und Flucht eines jungen Kronstädters“. Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Henkel, Schiller Verlag Hermannstadt-Bonn, 191 Seiten, 14,40 Euro, ISBN 978-3-944529-82-0, zu beziehen im deutschen Buchhandel oder unter www.schiller.ro.

Schlagwörter: Rezension, Deportation, Flucht, Rosenau, USA

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