3. Juli 2017

Film soll Andenken an Wunderkind Carl Filtsch wiederbeleben

Mühlbach, 1835: Der Baron von Bánffy, Gouverneur von Siebenbürgen, der Bürgermeister und der Pfarrer sitzen mit ihren Familien am Mittagstisch. Weil die Konversation der Erwachsenen kein Ende nehmen will, setzt sich der fünfjährige Pfarrerssohn ans Klavier und schlägt, ohne um Erlaubnis zu fragen, ein paar Tasten an. Augenblicklich vergisst der kleine Carl die Menschen um sich herum, verschmilzt mit seiner Welt aus Tönen: Mozart.
Auf Anhieb hatte Baronesse Jeannette von Bánffy die Genialität des Jungen erkannt. Der Baron bietet an, Carl mit nach Wien zu nehmen, um seine Ausbildung zu finanzieren. Zwei Jahre lang beknien sie die Mutter, die ihren Jüngsten nicht ziehen lassen will. Dann, am 7. April 1837, spielt der Knabe erstmals in der Öffentlichkeit. Das Publikum im Thalia-Theater tobt vor Begeisterung. Der Siebenjährige ist wie im Rausch. „Ich habe Angst, dass ich die ganze Musik in meinem Kopf nicht herauslassen kann“, bekennt er seinem Bruder Joseph. Schweren Herzens lassen ihn die Eltern nach Wien ziehen, in Begleitung seines 17 Jahre älteren Bruders. Vier Jahre später schreibt bereits die internationale Presse über das Wunderkind aus Siebenbürgen: Carl Filtsch.

Begleitet von Joseph, der seine eigene Pianistenkarriere dem kleinen Bruder zuliebe geopfert hatte, gibt der Junge bald Konzerte in Wien, London, Paris, München. Eines Tages schreibt er begeistert nach Hause, er habe sich mit Franz Liszt und Sigismund Thalberg angefreundet. Liszt bat ihn, zu improvisieren – und war wie vom Donner gerührt: „Wenn dieses Kind mit Tourneen beginnt, muss ich meinen Laden schließen!“ 1841 reist der Wunderknabe nach Paris, in der Hoffnung, von Frédéric Chopin unterrichtet zu werden. Zwischen Carl und seinem neuen Lehrer entspinnt sich vom ersten Augenblick an eine tiefe Bindung. 1843 spielt der Zwölfjährige erstmals vor Königin Victoria – ausschließlich Stücke von Chopin. Die Morning Post prophezeit ihm eine strahlende Karriere: Weder Mozart noch Mendelssohn oder Bennett wären in diesem Alter so vielversprechend gewesen.

Heute, gut 170 Jahre später, kennt kaum jemand mehr seinen Namen. Das Wunderkind, das am 11. Mai 1845 in Venedig fast 15-jährig der Tuberkulose erlag (Irene Andrews, die Tochter von Carls Bruder Joseph, erinnert sich an eine endlose Reihe Gondeln, „wie lauter schwarze Särge, als wäre ganz Venedig gestorben“) ist fast vergessen. „Vielleicht, weil viele seiner Werke lange als verschollen galten“, mutmaßt Regisseurin Brigitte Drodtloff, die Leben und Werk des Wunderkindes aus Siebenbürgen am 25. Mai im Opernsaal der Bukarester Musikuniversität vorstellte. Die visuelle Präsentation mit Konzert wurde unterstützt von Triarte International, dem Rumänischen Kulturinstitut, der Michael Schmidt Stiftung und der Nationalen Musikuniversität Bukarest.

Bis zu den 1990er Jahren waren nur acht Stücke von Carl Filtsch bekannt, bis 2005 sind jedoch einige Partituren wieder aufgetaucht, so Drodtloff. Zwar gibt es mittlerweile einen internationalen Carl-Filtsch-Wettbewerb in Hermannstadt. „Und doch kennt immer noch kaum jemand den Namen des Kindes, das zu seiner Zeit ein Star war“, klagt die Regisseurin. Drodtloff, die wie Filtsch aus Siebenbürgen stammt, präsentiert die Zerrissenheit eines Kindes mit absolutem Gehör, seinen Ehrgeiz, seine Höhenflüge, seine Qualen. Wie Carl als Dreijähriger während des Gottesdienstes, als der Organist einsetzte, plötzlich rief: „Aufhören – der spielt falsch!“ Oder, frisch in Wien angekommen, seine Karriere beendet glaubte, nachdem Kritiker Moritz Gottlieb Saphir schrieb, er hätte genug von diesen Wunderkindern, die genauso schnell verschwänden wie sie auftauchten. In einer kurzen Filmszene inszenierte Drodtloff einen schmerzvollen Dialog zwischen Joseph und Carl, letzterer gespielt vom 15-jährigen Stefan Pretuleac, der zum Event abwechselnd mit dem 18-jährigen Andrei Preda die Kompositionen von Carl Filtsch auf dem Klavier interpretierte.

„Er war eine alte Seele“, sagt der siebenbürgische Musiker Peter Szaunig über den Jungen, der erst von Chopin gelernt hatte, wie man Gefühle durch Musik ausdrückt – beide waren anders dazu nicht in der Lage. Chopin war der Lehrer, den Carl brauchte, sie teilten denselben Perfektionismus. „Niemand hat mich je besser verstanden als dieses Wunderkind“, bekennt dieser. Drodtloff gibt eine Anekdote von einer Matinee im Hause der Baronesse Rothschildt zum Besten: Man hatte Chopin eingeladen, zu spielen, doch dieser, schwer an TBC erkrankt, gab kaum noch Konzerte. Er willigte nur unter der Bedingung ein, das Publikum möge vom Nebenraum aus zuhören. Dann überließ er das Klavier Carl. Gegen Ende ging Chopin nach drüben, noch während die Musik zu hören war. Und präsentierte das Kind dem erstaunten Publikum mit den Worten: „Voilà – Chopin!“

„Nein, der Tod ist kein ewiger Schlaf, löscht diesen Satz von den Grabsteinen! Der Tod ist der Beginn der Unsterblichkeit“, sagt Peter Szaunig über den Tod von Carl Filtsch. Unsterblichkeit, hat Brigitte Drodtloff sich vorgenommen, will sie dem Wunderkind aus Siebenbürgen wiedergeben. Als Film, auch wenn man ihr beim Antrag auf Finanzierung geraten hatte, doch einen bekannteren Musiker zu wählen: Warum nicht Mozart? Doch Drodtloff gibt nicht auf: „Wir haben die lebendige Pflicht, ihn nicht zu vergessen", insistiert sie. „Carl Filtsch ist ein nationales Kulturerbe von unschätzbarem Wert!"

Nina May

Schlagwörter: Carl Filtsch, Film, Drodtloff

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