7. Januar 2018

Gedichte von der Stange

Rein äußerlich stellt sich das von Klaus F. Schneider in der Stuttgarter Edition Peter Schlack herausgegebene Bändchen „prêt-à-porter“ mit 15 Gedichten minimalistisch unauffällig dar: Ein graubrauner Umschlag, konventionell beschriftet, geschmückt durch eine Replik auf den binären QR-Code aus schwarzen und weißen Quadraten, hier in der rechteckigen iQR-Variante, die Daten in 15 Formaten verschlüsselt. Also doch nicht gar so bescheiden, sondern hintergründig wohlbedacht?
Wohl bedacht ist allemal der Titel. Der Fachbegriff prêt-à-porter – wörtlich „fertig zum Tragen“, sinngemäß etwa „von der Stange“ – bezeichnet in der Modebranche eine zwar in limitierter Stückzahl, aber in Standardgrößen fertig an den Markt gelieferte Kleidung im Gegensatz zu der individuell und handgefertigten der „gehobenen Schneiderei“ Haute Couture. Wenn einer Schneider heißt, darf dieser Titelbegriff als Programm seiner Angebote verstanden werden.

Rein äußerlich muten auch diese zurückgenommen an. Da sind keine gestaffelten Zeileneinzüge mehr, keine Texte, die sich zu Ein-Wort-Kolonnen verschlanken oder sich zu zweispaltiger Lesart verästeln, wie man das aus früheren Gedichtbänden Schneiders kennt. Seine Spielfreude ist zwar geblieben, doch sie hat sich mehr nach innen verlagert. Die durchwegs in Kleinschrift gehaltenen Texte weisen eine gezähmte, strophisch gegliederte oder zu Blöcken gefügte freirhythmische Zeilenstruktur auf, wie sie die klassische Moderne gepflegt hat. Sie sind klanglich und rhythmisch so vollendet durchgearbeitet, dass auch dies nicht auffällig wirkt und beim Lesen ein von Zeile zu Zeile weitertragender Sog entsteht. Statt der Titel, die traditionell das Thema eines Textes zusammenfassen, steht hier das Doppelkreuz #, das als Hashtag in den sozialen Netzwerken dazu dient, verschlagwortete Nachrichten, in Webadressen Fragmente auffindbar zu machen.

Wer also von Schneiders Texten kohärente, linear entfaltete Botschaften erwartet, ist hier falsch, „Welthaltigkeit“ und „hohe Tiefsinnigkeiten“ seien seine Sache nicht, hat er in einem Gespräch bekannt. ich war heut im wald / und hab kein reh gesehen / aber dem hund hat es gefallen (S. 4): Es sind nicht selten tiefgestapelte Alltäglichkeiten wie diese, die Schneider zum Anlass seiner Gedichte nimmt, diese jedoch umgehend ins phantasievoll Spielerische oder Surreale verlängert. In einem stillgelegten wald sucht sein Gedicht-Ich romantische konnotationen (S. 8), es belauscht, an einer Haltestelle wartend, das Zwiegespräch zweier Fensterläden, die sich mit einem klingenden Reim bei der Markise einschleimen (S.7). Solch erheiternde, spielerisch verschrobene, polysem und paradox changierende Einfälle beherrscht Schneider souverän, doch seine Gedichte sind keineswegs bloße Spaßblasen.

ein wort fiel mir vor die füße / ich las es auf / sagte apfel und biss hinein // da war ein wurm drin: Nach diesen Wurm im Wort und in der Wirklichkeit, die es benennt, fragt Schneider und spürt in beiden einer ordnenden „Zeichengrammatik“ nach, begegnet jedoch allenthalben gerade der Erosion von Ordnungsmustern. Im eben zitierten Text (S. 5-6) wird eine Art imaginärer Märchenreise durch gut zwanzig Redensarten und sprachliche Festfügungen inszeniert, die zu dem keineswegs märchenhaften Schluss eines zwiegespaltenen Ichs führt, das als Person genau das tat was mit ihr geschah. Es lebt nicht, es wird gelebt. Konventionen unterworfen und dem stand der dinge ausgeliefert, üben die Zeitgenossen, zu denken was sie sagen, während es die gedankenbewegte Wortart „Wir“ nur noch gibt, sofern sich jeder davon ausgenommen fühlen kann (S. 10). Parodistisch geistreich an die Scheltrede (1998) des ehemaligen FC Bayern-Trainers Giovanni Trapattoni angelehnt, stellt Schneider in der komme sprache eines beschädigten Globalisierungsdeutsch ein umfassendes Defizitregister der Zeitgenossen auf: alles marionetten; nix mehr wie subjekt. / subjekt ist abseits; alle wolle machen libero; Überkommenes ist nix mehr gut, Leistung zählt nicht, nur worte rotieren, Mannschaftsgeist bleibt heutigen global Playern fremd (S. 11-12).

Nicht selten gehen diese Texte von erzählendem Ansatz aus und finden über mäandrisch verschlungene, reichlich mit Wortspielen gepflasterte Pfade zu einem betrachtenden Schluss, in dem Zeitalter und Zeitgenossen zwar gemustert werden, doch ohne Zorn und Schaum vor dem Mund, sondern mit Geist und Witz, mit Humor, Selbstironie und reichlich kurzweiligen sprachlichen Einfällen, Skurrilitäten und Paradoxa. Zutreffender als der Text dieses gedicht stellt sich zu beginn die frage (S. 22–24) kann der Rezensent Schneiders Ars poetica nicht beschreiben. Sein Gedicht spekuliert nicht mit konzept derivaten; es lässt sich gehen ohne jedoch die kontrolle einzubüßen; es fährt in hoheitliche paraden, lacht sich in die geballte faust und ist nicht immer politisch korrekt, kurzum: dies gedicht ist ein primus inter parias – kein erstes unter Gleichen (pares), sondern unter Außenseitern (paria). In der äußerlich gebändigten Textur klassischer Moderne entfaltet Schneider geistvoll virtuose Flackerformen der Postmoderne. Wirklichkeiten spielen in Illusionsrealitäten hinüber und umgekehrt, der Sinn der Texte vermittelt sich dekonstruktivistisch verschlagwortet in sprunghaften Querschlägen, zwischen denen sich ein ergiebiges auslegoland kryptischer Echoräume auftut. Schneiders Texte nutzen reichlich parodistische intertextuelle Anspielungen, eventgardistische typographien (S. 15) und ­andere sprachmateriale Spielformen experimenteller Lyrik; sein Gedicht (nur noch ein spielplatz, S. 13) nimmt sich nicht selten selber auf die Schippe, und wo das lyrische Ich ausdrücklich um Gehör buhlt (hallo hört mich jemand? / hier spricht das lyrische ich, S. 13-14), scheitert Sprache paradoxerweise an der Sprachlosigkeit eines nicht mehr auslegbaren Buchstabensalats und landet schließlich beim Nonsens des rätselhaften nächtlichen Präsidentengezwitschers covfefe … vom 31.05.2017.

Klaus F. Schneider (geb. 1958 in Mediasch) war mit seinen bisher fünf Gedichtbänden kein Hätschelkind der Presse, auch nicht der regional interessierten. Spätestens mit diesem sollte sich das ändern, denn hier ist ein Könner unterwegs. dieses gedicht will keinen preis / wäre aber neugierig auf die laudatio (S. 24): Meine wäre dies schon gewesen.

Michael Markel

klaus f. schneider: prêt-à-porter. Gedichte. 32 Seiten, 8,00 Euro, zu bestellen bei Edition Peter Schlack, Epplestraße 69, 70597 Stuttgart, E-Mail: peterschlack [ät] mac.com

Schlagwörter: Rezension, Lyrik, Mediasch

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