6. Dezember 2018

Zu Werner Förderreuthers Buch „Der Lichtert. Das Quempassingen. Eine Spurensuche“

Werner Förderreuther, der bekannte fränkische Volkskundler und Sammler von Sachgütern der Siebenbürger Sachsen, hat im Sommer dieses Jahres sein fünftes Buch veröffentlicht: eine Dokumentation der Christleuchter und des damit zusammenhängenden Weihnachtsbrauchtums der Repser Gegend. Angeregt wurde er dazu nach eigenem Bekunden in den frühen 1980er Jahren, als er ein erstes Leuchtergestell erwerben konnte. Seither hat er weitere noch vorgefundenen Objekte (Leuchtergestelle, Fähnchen und sonstiges Zubehör) geborgen, hat die wenigen in Museen aufgehobenen Exemplare (Deutsch-Kreuz), auf Dachböden oder in Sakristeien (Keisd, Leblang, Schweischer, Seiburg, Streitfort) vorgefundenen Stücke untersucht, fotografiert und, wo keine mehr greifbar waren, sie selber nachgebaut. Nicht irgendwie nachgebaut, sondern – wie die Seiten 94–99 für Draas belegen – nach voraufgehenden fachgerechten Bauzeichnungen auf der Grundlage ausführlicher Befragungen jeweils mehrerer Gewährsleute.
Entstanden ist im Ergebnis ein schönes und erkenntnisreiches Album, das dem Doppelthema in zweiundzwanzig Ortschaften – von Arkeden im Norden bis Felmern im Süden, von Keisd im Westen bis Draas und dem länger schon magyarisierten Sommerburg im Osten – einzeln nachspürt. Als willkommene Einführung und vorzüglichen allgemeinsiebenbürgischen Überblick zum Thema druckt Förderreuther zunächst Hermann Binders Aufsatz Der Lichtert aus dem „Siebenbürgisch-sächsischen Hauskalender“ 1990 ab. Desgleichen hat er in den alphabetisch geordneten einzelnen Ortsartikeln alle aufgespürten bisherigen Abhandlungen zum Weihnachtsbrauchtum nachgedruckt, ebenso historisches Bildmaterial; er hat weitere Brauchbeschreibungen veranlasst und dem Buch eingefügt und hat schließlich durch die Bilder seiner Leuchter-Nachbauten den Objekten eines schwindenden Brauchs bleibende Anschauungszeichen gesetzt.

Auch in diesem Buch wollte der Autor dokumentieren und erinnern, „was war“. Er geht dem mit dem Weihnachtsleuchter verbundenen Brauchtum und den Gepflogenheiten umfänglich nach: dem Sammeln des Grüns für die Leuchter, deren geregelter Herstellung, der traditionellen Aufstellung im Kirchenraum und dem damit verbundenen Weihnachtssingen der Kinder. Wie überfällig eine solche Dokumentation war, erkennt man spätestens, wenn man erfährt, dass selbst ein Sammelkundiger wie er aus fünf Ortschaften (Galt, Meschendorf, Reps, Stein, Sommerburg) keinerlei Informationen zum Thema mehr beibringen konnte.
Förderreuthers Dokumentation erlaubt einige Verallgemeinerungen. Das ethnographisch gut abgrenzbare Gebiet weist auch im Hinblick auf die Christleuchter weitgehende Einheitlichkeit auf. In Deutsch-Tekes gab es in erfragbarer Zeit keinen Leuchter, sondern vier geschmückte Tännchen, in dem kleinen Klosdorf immer schon nur einen, in Keisd drei, sonst waren es in der Regel vier Leuchter, in schwierigen Zeiten vereinzelt nur noch zwei (Deutsch-Kreuz, Hamruden, Katzendorf, Schweischer). Abgesehen von einzelnen Ausnahmen und Rücksichten auf Raumbedingungen, war auch die Aufstellung im Kirchenraum ähnlich: ein Leuchter vor dem Altar, einer auf der hinteren Querempore (in der Repser Gegend hat die Orgel ihren Platz vorwiegend über dem Altar) und zwei auf den Seitenemporen. Einheitlich aber ist vor allem die Bauart der Leuchter. In der Regel handelt es sich um sogenannte Bienenkorb-Leuchter (mehrfach örtlich „Kronen“ genannt), bestehend aus drei (in Schweischer zeitweise vier, in Arkeden vier bis fünf), nach oben hin sich leicht verjüngenden Schienenkreisen (Kränze) und vier über die Spitze des Mittelstabes laufenden senkrechten Überschienen. Alle Schienen wurden durch Immergrün geschmückt, mehrheitlich durch schuppenartig aufgebundene Einzelblättchen der Pflanze. An den Schnittstellen der Schienen wurden Kerzen angebracht (meist waren es zwölf), eine oder mehrere auf der Spitze (in Deutsch-Kreuz sieben, ebenso auf dem Keisder Schafleuchter). Als zusätzlicher Schmuck der Überschienen kamen örtlich Papierblumen, Sterne oder Bänder aus Krepppapier (Seiburg) hinzu sowie eine wechselnde Zahl von papierenen Schmuckfähnchen. Von diesem Leuchtertyp unterscheidet sich grundsätzlich der auch in dieser Zeitung (Folge 20/2009) schon beschriebene Schafleuchter aus Keisd, der eher an weihnachtliche Krippen erinnert, und es unterscheidet sich davon der Deutschweißkircher Leuchter mit seinen üppiger mit Grün umwundenen Kränzen ohne Überschienen und dem ebenso reichen wie andersartig gestalteten Fähnchenschmuck oder dem prunkvollen Strauß.

Gestalter der Leuchter und Träger des damit zusammenhängenden Brauchtums waren die Kinder, Jungen und Mädchen gemeinsam, bloß vereinzelt (Deutsch-Kreuz) wird ein gesonderter „Mädchenleuchter“ erwähnt. Als „Leuchterhalter“ galten traditionell die vier ältesten Jungen der siebten Klasse, die sich in abwechselnder Wahl unter den Schülern der Sekundarstufe ihre Gruppen bildeten, die das Schmuckmaterial der Leuchter beibrachten, unter Mithilfe der Eltern die Leuchter gestalteten (in Hamruden und Katzendorf übernahmen die Väter die heikle Arbeit, die Blättchen auf die Schienen zu binden) und schließlich zum Frühgottesdienst des ersten Weihnachtstages den Festgesang bestritten.

Einen gesonderten Teil des Buchs widmet der Autor diesem Quempassingen und liefert mit einer Karte der Stammlande des Quempas (Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg, Pommern, Schlesien) sowie mehreren Bildern schlesischer Christleuchter Fingerzeige auf grenzüberschreitende Zusammenhänge des siebenbürgischen Weihnachtsbrauchtums. Denn das im mittelalterlichen Katholizismus Zentraleuropas verbreitete, 1460 im böhmischen Kloster Hohenfurth (Vyšši Brod) erstmals aufgezeichnete, hundert Jahre später in Prag, Breslau und anderen Orten wiederholt gedruckte lateinische Lied Quem pastores laudavere war bis 1793 auch in siebenbürgisch-lutherischen Kirchengesangbüchern enthalten und eng mit dem Leuchterbrauch verbunden. Der vierstrophige Wechselgesang wurde zeilenweise erst lateinisch, dann in der deutschen Fassung (1607) von Michael Praetorius (1571-1621) von den vier Kindergruppen an den vier verschiedenen Leuchterstandorten („der Quempas geht um“) gesungen. Aus dem Material des siebenbürgischen Volksliedforschers Gottlieb Brandsch lassen sich Fassungen aus Großau (1857), Nadesch (1881), Kleinschenk (1900), Alzen (1928), Dobring (1938), Rode (1953), Hamruden (1964) nachweisen, gemäß der landeskirchlichen Umfrage von 1988 wurde es laut Hermann Binder noch in Alzen, Dobring und in Ortschafen der Repser Gegend (Deutsch-Kreuz, Deutschweißkirch, Stein) als gebräuchlich genannt.

Zwischen die Strophen des Quem pastores wurden Strophen des lateinischen Kirchenliedes Nunc angelorum gloria eingeschoben, und es war diese Kombination zweier Lieder, die traditionell mit dem Begriff Der Quempas bezeichnet wurde. Diese Kombination ist in Siebenbürgten als brauchmäßig geprägte Form auch dann geblieben, wenn die einzelnen Lieder ersetzt wurden; geblieben ist auch das Singen von vier Gruppen an vier verschiedenen Orten im Kirchenraum. Das berechtigt Förderreuther, vom Quempassingen zu sprechen, obwohl nach seinen Erhebungen das Quem pastores allein noch in Deutschweißkirch üblich war und auch gegenwärtig von den Weißkirchern in Nürnberg noch gesungen wird. Als Rahmenchoral werden sonst laut Erhebungen Förderreuthers gesungen: Dies ist der Tag, den Gott gemacht (Katzendorf, Keisd, Leblang, Seiburg, Schweischer); Lobt Gott, ihr Christen, freuet euch (Arkeden, Bodendorf, Deutsch-Tekes); Heil uns Christen, Trost und Wonne (Draas, Felmern, Meeburg) u.a. Als Chor- oder Gemeindegesang werden dazwischen Strophen von Er kommt, er kommt, der starke Held, Dir Vater aller Gnaden oder Wie soll ich dich empfangen gesungen, in Deutschweißkirch der Männerchor Kommt, hört die Engel singen.

Werner Förderreuther dokumentiert, „was war“, in vielen eigenen Bildern, aber fast ausschließlich im vorgefundenen Wort. Ich bedauere ausdrücklich die selbstauferlegte Zurückhaltung mit eigenen Darstellungen, denn nach jahrzehntelangem Umgang mit dem Stoff ist er dessen bester Kenner, und was er bei weniger Bescheidenheit leisten kann, leuchtet Seite 137 einmal auf, wo er, um diesen zu datieren, die Malerei des Schafleuchters mit der Keisder Möbelmalerei sowie der Kirchenmalerei von MAGISTRI GEORGIUS ROSLER und ANDREAS HERMAN, KISDENSIS 1783 in Vergleich setzt.

Förderreuthers „Spurensuche“ wird von nüchterner Sachlichkeit getragen, doch das Wissen darum, an einem Schwindenden zu arbeiten, hat ihn betroffen gemacht und offenbar so berührt, dass er zum Abschluss des siebenbürgischen Teils seines Buchs Seite 178 das Bild eines verlassenen Leuchters in einer dem Vandalismus preisgegebenen siebenbürgischen Kirche als sinniges Zeichen gesetzt hat.

An ein gewandeltes Weiterleben des dargestellten Brauchtums muss man nicht glauben. Dennoch stellen, wie in dieser Zeitung zu lesen, Leuchtergottesdienste verschiedener siebenbürgischer Ortschaften neben den selteneren Kronenfesten den lebendigsten, wenn auch vermutlich nur zeitweiligen Importbrauch der Aussiedler in Deutschland dar und sind, so lange noch ein Bedürfnis der Herkunftsorte nach Zusammenhalt besteht, mehr als bloße Schaustellung und beliebige Brauchtumsvorführung.

Michael Markel


Das Buch ist zum Preis von 30 Euro (zuzüglich Versandkosten) nur beim Autor zu bestellen: Werner Förderreuther, Kirchenweg 3, 91224 Hartmannshof, Telefon: (09154) 4809.

Schlagwörter: Buch, Besprechung, Brauchtum, Weihnachten, Lichtert, Förderreuther, Markel

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Neueste Kommentare

  • 08.12.2018, 08:40 Uhr von Melzer, Dietmar: ein sehr schönes und interessantes Buch, diesen winterlichen, siebenbürgischen Brauch auch für die ... [weiter]

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