6. März 2019
Erinnerungsfördernde und identitätsstiftende Ortsmonografie zu Kleinschelken
Diese Monografie ist, wie der Autor Hans Gerhard Pauer selbst im Vorwort offenlegt, das Ergebnis einer intensiven „Sammel- und Forschertätigkeit“, die sich während seines Geschichtsstudiums 1968 in Jassy anbahnte und „die über die Jahre zur Leidenschaft“ wurde. Als Angehöriger des dargestellten Milieus bestand für den Verfasser die Gefahr, die Ebene der Objektivität zu verlassen und das Geschehen einseitig, subjektiv darzustellen. Diese Hürde hat Pauer durch fundiertes Fachwissen, präzise wissenschaftliche Arbeit sowie anhand zahlreicher Quellen mit Erfolg überwunden. Sachlichkeit kennzeichnet sogar jene Kapitel der Monografie, in denen die problematische Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Ende des kommunistischen Regimes dargestellt wird.
Den Text der Monografie bereichern eine Vielfalt von Karten, Illustrationen, Diagramme, Statistiken und Bilder mit historisch-dokumentarischem Charakter sowie zahlreiche Fotos des gesellschaftlichen Lebens in Kleinschelken. Das Buch besteht aus sieben Kapiteln und zeichnet sich durch eine klare und konsequente Gliederung aus.
Im ersten Kapitel präsentiert der Verfasser eingangs die geografischen Verhältnisse und die geschichtliche Entwicklung Siebenbürgens vor der Kolonisation mit Rückgriffen bis in die Antike. Im Zentrum stehen jedoch die Einwanderung der Siebenbürger Sachsen sowie die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der zwei Stühle Mediasch und Schelk bis zum 15. Jahrhundert. In diesen Kontext ordnet der Verfasser anhand von archäologischen und schriftlichen Quellen den Status Kleinschelkens innerhalb der zwei Stühle ein. Abgerundet wird das Kapitel mit kritischen Bezügen zum Stand der Forschung und der Quellenlage. In logischer Folge werden im zweiten Kapitel die geografischen Gegebenheiten Kleinschelkens beschrieben mit dem Fokus auf Gemarkung und Flurnamen. Ein fiktiver Wanderer richtet vor allem das Auge des Kleinschelker Lesers auf den Heimatort und illustriert, unterstützt von Karten, Skizzen und Fotos, die Umgebung der Gemeinde samt den Flurnamen.
Im umfangreichsten dritten Kapitel widmet sich Pauer der bis in die Antike zurückreichenden Geschichte Kleinschelkens. Die zufällige Entdeckung eines römischen Grabmals durch einen Landwirt löste bereits im 19. Jahrhundert ein archäologisches Fieber aus. Der bedeutsame Fund erreichte europäische Bekanntheit. Die Giebelplatte des römischen Grabmals befindet sich auch heute noch in der nördlichen Eingangshalle der Kleinschelker Kirche.
Die Gründung Kleinschelkens ordnet der Verfasser in den allgemeinen kolonisatorischen Kontext ein und beweist anhand von archäologischen Funden, dass schon im 13. Jahrhundert die ersten Siebenbürger Sachsen auf der Gemarkung Kleinschelkens ansässig waren. Die wachsende Bevölkerung zwang die Bewohner, sich später auf der Gemarkung des heutigen Ortes niederzulassen, ein Areal, das der Zisterzienser-Abtei von Egresch gehörte und zahlreiche Auseinandersetzungen der Kleinschelker mit dem Kloster zur Folge hatte. In diesem Zusammenhang erfolgte die erste urkundliche Erwähnung des Ortes im Jahr 1311.
Wissenschaftliche Kompetenz beweist Pauer auch bei der Darstellung der historischen Verhältnisse Kleinschelkens innerhalb des Königreichs Ungarn (1542-1691) sowie unter österreichischer und ungarischer Herrschaft (1691-1918). Zurate gezogen wurden dabei vielfältige Archivquellen und eine umfangreiche Sekundärliteratur. Erwähnenswert ist hier das Manuskript des Stephan Adolph Bergleiter aus dem Jahr 1844, das die Abschriften von 23 Urkunden aus den Jahren 1365 bis 1738 enthält und für die Ortsgeschichte besonders wichtig ist, da während des Ersten Weltkrieges das Kleinschelker Archiv verloren ging. Die wirtschaftliche Entwicklung Kleinschelkens wird im Kontext der politischen Verhältnisse, Kriegswirren und sozialen Unruhen im Fürstentum Siebenbürgen dargestellt. Die Kleinschelker Zünfte lieferten zu der Zeit denen aus Mediasch und Hermannstadt einen intensiven Wettbewerb, sodass laut Pauer das 16. und 17. Jahrhundert als eine Blütezeit in der Geschichte Kleinschelkens eingestuft werden kann. Eine kurze politische Rolle spielte die Gemeinde, als in Kleinschelken der Landtag abgehalten wurde, auf dem am 22. November 1661 die Krönung des Fürsten Michael Apafi unter dem Druck eines türkischen Heeres durchgesetzt wurde.
Zwischen 1691 und 1867 gehörte Siebenbürgen zur Habsburgischen Monarchie. Gegenreformation, Kurutzenkriege, die Reformen Josephs II., die Revolution von 1848 und auch Naturkatastrophen wirkten sich negativ auf die wirtschaftliche Lage des Ortes aus. In diesem Zusammenhang greift der Verfasser zurück auf die Protokolle der Nachbarschaften und die Aufzeichnungen der Ortspfarrer. So zum Beispiel liegen von Stephan Gottlieb Roth (1762-1847), dem Vater des Pädagogen und Politikers Stephan Ludwig Roth, der 44 Jahre in Kleinschelken als Pfarrer wirkte (1803-1847), detaillierte schriftliche Aufzeichnungen zur Abgabe des Zehnten vor.
Ihren privilegierten Status verloren die Kleinschelker wie alle Siebenbürger Sachsen, als 1867 Siebenbürgen der ungarischen Reichshälfte einverleibt wurde. Hand in Hand mit der politischen Marginalisierung vollzog sich zum Teil als Folge von staatlichen Verfügungen auch ein wirtschaftlicher Wandel, der die Sachsen in die Krise trieb. Die Auflösung der Zünfte sowie die Schädigung der Weinberge durch die Reblaus trafen den Winzerort Kleinschelken besonders hart und veranlassten zahlreiche Kleinschelker nach Amerika auszuwandern. Eingebunden in diesen Textteil sind mehrere Abbildungen mit den Schiffen der Auswanderer sowie eine Tabelle mit den Auswanderern zwischen 1900-1923. Trotz der Krise im Weinbau, der Auswanderung und der hohen Kindersterblichkeit stieg die Bevölkerungszahl kontinuierlich an.
Ein tiefer Einschnitt im Leben der Kleinschelker war der Erste Weltkrieg mitsamt seinen Folgen. Als wichtigste Quelle für diese Zeit verwendet der Verfasser das Gedenkbuch der evangelischen Kirchengemeinde Kleinschelken und beschreibt mit Hilfe weiterer Quellen die Teilnahme der Kleinschelker an den Kämpfen sowie die Auswirkungen des Krieges auf das Gemeindeleben.
Im Jahre 1918 vereinigte sich Siebenbürgen mit dem Königreich Rumänien. Mit der neuen Zugehörigkeit gingen tief greifende wirtschaftliche und politische Veränderungen einher. Zu Beginn des Jahres 1921 wurde von den staatlichen Behörden ein Rumäne als Ortsrichter eingesetzt, obwohl die Rumänen nur einen Bevölkerungsanteil von 26,5 Prozent hatten. Die Maßnahmen des neuen Ortsrichters zerstörten schon nach kurzer Zeit das Vertrauen der Kleinschelker Sachsen in den neuen Staat.
Durch die Bodenreform von 1921 verlor die evangelische Kirchengemeinde Kleinschelken einen großen Teil ihres Grundbesitzes. Diese Enteignung führte in Kleinschelken zu gesellschaftlichen Spannungen zwischen der Gemeinde, der Kirche und den Lehrern, denn die Kirche war nicht mehr in der Lage, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen und der neue Staat wollte diese für die sächsischen Lehrer nicht übernehmen. Trotz der Nationalisierungen herrschte bis zur Wirtschaftskrise von 1929-1933 Aufbruchstimmung unter den Kleinschelker Sachsen, wie das auch aus den Fotos zu diesem Textteil hervorgeht.
Die erwähnte Missstimmung und die Erhöhung der Kirchensteuern als Folge der Nationalisierungen waren die Hauptursachen für die Entstehung der so genannten Unzufriedenenbewegung, die auch Kleinschelken erfasste. Wirtschaftliche Nachteile, persönliche Enttäuschungen und politische Ambitionen richteten die Bewegung nicht nur gegen die Kirche, sondern auch gegen die traditionelle Elite des Dorfes. Die Einheit bröckelte, die Spaltung der Bevölkerung vertiefte sich infolge der Propaganda und der Aktionen diverser nationalistisch orientierter Gruppierungen, die allmählich unter dem Einfluss Deutschlands und der NS-Ideologie ihre Selbstständigkeit verloren.
Diese historisch heikle Zeit hat Pauer hervorragend dargestellt und einen hohen Grad an Objektivität und Wissenschaftlichkeit unter Beweis gestellt. Während in zahlreichen Heimatbüchern dieses umstrittene Thema ausgeklammert wird, bietet der Verfasser dem Leser eine detaillierte Analyse der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Kleinschelkens in der NS-Zeit, deren Authentizität durch Fakten, Dokumente und Fotos als beispielhaft eingestuft werden kann.
In der Präsentation des Zweiten Weltkrieges und des Zusammenbruchs musste der Verfasser immer mehr auf Lebenserinnerungen, Briefe, Zeitzeugenberichte und Fotos aus persönlichen Beständen zurückgreifen, da infolge wiederholter kommunistischer Säuberungsaktionen nach dem Krieg in den Archiven kaum noch Quellen vorhanden sind. Innerhalb des allgemeinen historischen Rahmens lässt der Verfasser vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen, deren Ausführungen durch Fotos, Tabellen und Statistiken in ihrer Wahrhaftigkeit bestärkt werden. Beeindruckende Textstellen und Fotos illustrieren die Gesinnung der Kleinschelker, die gesellschaftlichen Wandlungen innerhalb des Dorfes und decken schonungslos die Übergriffe der Roten Armee wie Plünderungen, Folter, Vergewaltigungen und sogar Exekutionen auf. Ausführlich und anschaulich schildern Zeitzeugen auch andere einschneidende Ereignisse für die Kleinschelker wie die Entrechtung, Verfolgung, Enteignung und die Verschleppung nach Russland.
Dieselbe methodische Vorgehensweise kommt auch bei der Beschreibung Kleinschelkens nach dem Zweiten Weltkrieg zum Tragen. Die kommunistische Umgestaltung Rumäniens führte zu grundlegenden Umstrukturierungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse. Die Kleinschelker arbeiteten in der landwirtschaftlichen Staatswirtschaft und durften sich in die Kollektivwirtschaft einschreiben, obwohl sie infolge der Enteignung über keinen Grundbesitz zum Beitritt verfügten. Viele Handwerker suchten Arbeit in den sozialistischen Industriebetrieben der nahe gelegenen Städte. Dargestellt werden im Heimatbuch bedeutsame Erfolge und Fortschritte wie die Erdgaseinführung oder die Elektrifizierung. Die enteigneten Häuser wurden zurückerstattet, die politische Ausgrenzung endete und die Sachsen übernahmen Verantwortung im Dorfleben. Das kommunistische Regime ermöglichte die Wiederaufnahme der Kulturarbeit. Im Zusammenhang mit dem Stellenwert der Kulturtätigkeit wagt Dieter Huber, der Verfasser des Textteils „Kultur und Sport in den Jahren 1900-1989“, die Behauptung, in kaum einer anderen ländlichen Ortschaft habe sich das Liedgut und die Musik so entfaltet, entwickelt und bewahrt wie in Kleinschelken.
Dieses Kapitel wird abgerundet mit Betrachtungen zu der Zeit nach 1989, die von Pauer als schicksalhaft bezeichnet wird. In Kleinschelken verlief die Revolution relativ friedlich. Die darauffolgende Auswanderung beendete das sächsische Gemeindeleben in Kleinschelken. Periodische Heimattreffen in Deutschland und im Heimatort, die Gründung der HOG Kleinschelken werden als neue Organisationsformen der ehemaligen Gemeinschaft präsentiert, die sich anscheinend etabliert haben. Wehmütig wird der Kleinschelker Leser auf die Fotos mit den verfallenen sächsischen Häusern zurückblicken. Abgeschlossen wird die geschichtliche Betrachtung mit dem Bedauern des Verfassers, dass die Leistungen der Sachsen von der heutigen rumänischen Dorfbevölkerung keine Anerkennung und Würdigung erfahren.
Im vierten Kapitel beschreibt der Verfasser das Alltagsleben der Kleinschelker. Gut dokumentiert und sorgfältig erarbeitet sind die Darstellungen der Nachbarschaften als Institution der gegenseitigen Hilfeleistung und der Wahrung eines geregelten Gemeinschaftslebens sowie das Brauchtum und die Feste. Im weiteren Verlauf veranschaulicht Pauer die landwirtschaftlichen Beschäftigungen der Dorfbewohner. Vor allem der Weinbau sicherte den Kleinschelkern in fast allen Zeitabschnitten einen gewissen Wohlstand. Der letzte Teil des Kapitels befasst sich mit den Rumänen in Kleinschelken, die erst 1992 nach der massiven Abwanderung der Sachsen die absolute Mehrheit im Dorf erreichten.
Im Mittelpunkt des fünften Kapitels stehen die Kirche und der Glaube. Kennzeichnend für die vorreformatorische Zeit waren die Konflikte der Kleinschelker mit den katholischen Bischöfen. Dabei ging es nicht nur um kirchliche Angelegenheiten, sondern auch um die Durchsetzung allgemeiner Interessen, in denen sich die Kirche der Siebenbürger Sachsen schon in dieser Zeit instituierte. Die Kirchenburg wurde in mehreren Bauphasen errichtet, erweitert und den zeitlichen Erfordernissen entsprechend umgebaut sowie renoviert. Beachtenswerte Kunstwerke aus der Kleinschelker Kirchenburg sind das bronzene Taufbecken aus dem Jahr 1477, der gotische Flügelaltar von 1665, der Grabstein des Kleinschelker Pfarrers Michael Oltardt (1573-1623), der neue barocke Altar, errichtet 1773, und die vergoldeten Kelche, allesamt auch anhand von Fotos präsentiert.
Das Schulwesen der Kleinschelker wird im umfangreicheren sechsten Kapitel behandelt. Über die Kleinschelker Schule bis zum 17. Jahrhundert existieren nur vereinzelte Quellen oder zufällige Nachrichten, die jedoch von Pauer mit akribischer Genauigkeit gesammelt, geordnet und interpretiert wurden und ihm so ermöglichten, die Entstehung und Entwicklung der Kleinschelker Schule im Mittelalter in den Grundzügen zu skizzieren und sie in die allgemeine Entwicklung des Schulwesen in Siebenbürgen einzubetten. Genauere Informationen zur Schule in Kleinschelken sind erst in den statistischen Erhebungen der evangelischen Landeskirche in Siebenbürgen ab 1863 enthalten. Die kontinuierlich wachsende Schülerzahl hatte den Bau eines neuen Schulgebäudes sowie von Lehrerwohnungen in den Jahren 1911-1912 zur Folge.
Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns und die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien brachten sowohl den Schülern als auch den Lehrern tief greifende Veränderungen und leiteten eine Zeit der Umbrüche und Wechsel ein, nicht losgelöst von Spannungen und Krisen. Im August 1942 musste das Kleinschelker Schulgebäude und der gesamte Schulbesitz der Deutschen Volksgruppe in Rumänien übergeben werden. Nach dem politischen Umsturz vom 23. August 1944 übernahm die evangelische Kirche bis 1948 erneut die Trägerschaft der Schule, als dann im Rahmen der proletarischen Kulturrevolution die Epoche der sozialistischen Einheitsschule eingeleitet wurde. Richtig ist Pauers Fazit, dass die Kleinschelker Schule auch nach dem Zweiten Weltkrieg einen guten Ruf hatte und dass der Geist der deutschen Schule auch in der Zeit der sozialistischen Einheitsschule in gewissem Maße fortbestand.
Das letzte Kapitel, das der Verfasser als Kleinschelker Lesebuch bezeichnet, beinhaltet Erzählungen, Sagen, Anekdoten und Berichte aus und über Kleinschelken, in denen weitere Ereignisse und Aspekte vermittelt werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass Hans Gerhard Pauer mit der Ortsmonografie der Gemeinde Kleinschelken eine akribisch recherchierte, anspruchsvoll verfasste Abhandlung vorgelegt hat. Seine Studie baut auf einer beeindruckenden Zahl von Quellen aus den Archiven auf. Außerdem hat Pauer zahlreiche Tagebücher und Korrespondenzen ausgewertet sowie auch selbst eine Kategorie von Quellen geschaffen, nämlich durch die mehr oder weniger ausführlichen Antworten der von ihm interviewten Zeitzeugen. Er scheut sich nicht vor klaren Aussagen über das Verhalten mancher Gemeindemitglieder, berücksichtigt aber zugleich ihre damalige Situation in der heiklen Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus.
Der jüngeren Generation gibt die Monografie Auskunft über das Leben in der alten Heimat, der älteren bietet sie Zusammenhalt und übernimmt gleichzeitig eine erinnerungsfördernde Funktion, denn mit dem Ableben der Erlebnisgeneration versiegen die Informationsquellen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die nach der Auswanderung geborene Generation stiftet es Identität und fördert ihre gesellschaftliche Teilhabe. Darüber hinaus illustriert die Monografie beispielhaft und anschaulich eine Reihe typischer Elemente der ländlichen siebenbürgischen Lebensweise, eingebettet in die historisch bewegten Verhältnisse Siebenbürgens.
Hans Gerhard Pauer: „Kleinschelken. Markt- und Winzerort an der Großen Kokel“. Eine Publikation im Auftrag der Heimatortsgemeinschaft Kleinschelken. Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2018, 388 Seiten, 40 Euro. Bestellungen per E-Mail an: hog[ät]kleinschelken.de oder bei Georg Weiss, Friedrichstraße 11, 71069 Sindelfingen, Mobil: (01 75) 1 63 18 03.
Im ersten Kapitel präsentiert der Verfasser eingangs die geografischen Verhältnisse und die geschichtliche Entwicklung Siebenbürgens vor der Kolonisation mit Rückgriffen bis in die Antike. Im Zentrum stehen jedoch die Einwanderung der Siebenbürger Sachsen sowie die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der zwei Stühle Mediasch und Schelk bis zum 15. Jahrhundert. In diesen Kontext ordnet der Verfasser anhand von archäologischen und schriftlichen Quellen den Status Kleinschelkens innerhalb der zwei Stühle ein. Abgerundet wird das Kapitel mit kritischen Bezügen zum Stand der Forschung und der Quellenlage. In logischer Folge werden im zweiten Kapitel die geografischen Gegebenheiten Kleinschelkens beschrieben mit dem Fokus auf Gemarkung und Flurnamen. Ein fiktiver Wanderer richtet vor allem das Auge des Kleinschelker Lesers auf den Heimatort und illustriert, unterstützt von Karten, Skizzen und Fotos, die Umgebung der Gemeinde samt den Flurnamen.
Im umfangreichsten dritten Kapitel widmet sich Pauer der bis in die Antike zurückreichenden Geschichte Kleinschelkens. Die zufällige Entdeckung eines römischen Grabmals durch einen Landwirt löste bereits im 19. Jahrhundert ein archäologisches Fieber aus. Der bedeutsame Fund erreichte europäische Bekanntheit. Die Giebelplatte des römischen Grabmals befindet sich auch heute noch in der nördlichen Eingangshalle der Kleinschelker Kirche.
Die Gründung Kleinschelkens ordnet der Verfasser in den allgemeinen kolonisatorischen Kontext ein und beweist anhand von archäologischen Funden, dass schon im 13. Jahrhundert die ersten Siebenbürger Sachsen auf der Gemarkung Kleinschelkens ansässig waren. Die wachsende Bevölkerung zwang die Bewohner, sich später auf der Gemarkung des heutigen Ortes niederzulassen, ein Areal, das der Zisterzienser-Abtei von Egresch gehörte und zahlreiche Auseinandersetzungen der Kleinschelker mit dem Kloster zur Folge hatte. In diesem Zusammenhang erfolgte die erste urkundliche Erwähnung des Ortes im Jahr 1311.
Wissenschaftliche Kompetenz beweist Pauer auch bei der Darstellung der historischen Verhältnisse Kleinschelkens innerhalb des Königreichs Ungarn (1542-1691) sowie unter österreichischer und ungarischer Herrschaft (1691-1918). Zurate gezogen wurden dabei vielfältige Archivquellen und eine umfangreiche Sekundärliteratur. Erwähnenswert ist hier das Manuskript des Stephan Adolph Bergleiter aus dem Jahr 1844, das die Abschriften von 23 Urkunden aus den Jahren 1365 bis 1738 enthält und für die Ortsgeschichte besonders wichtig ist, da während des Ersten Weltkrieges das Kleinschelker Archiv verloren ging. Die wirtschaftliche Entwicklung Kleinschelkens wird im Kontext der politischen Verhältnisse, Kriegswirren und sozialen Unruhen im Fürstentum Siebenbürgen dargestellt. Die Kleinschelker Zünfte lieferten zu der Zeit denen aus Mediasch und Hermannstadt einen intensiven Wettbewerb, sodass laut Pauer das 16. und 17. Jahrhundert als eine Blütezeit in der Geschichte Kleinschelkens eingestuft werden kann. Eine kurze politische Rolle spielte die Gemeinde, als in Kleinschelken der Landtag abgehalten wurde, auf dem am 22. November 1661 die Krönung des Fürsten Michael Apafi unter dem Druck eines türkischen Heeres durchgesetzt wurde.
Zwischen 1691 und 1867 gehörte Siebenbürgen zur Habsburgischen Monarchie. Gegenreformation, Kurutzenkriege, die Reformen Josephs II., die Revolution von 1848 und auch Naturkatastrophen wirkten sich negativ auf die wirtschaftliche Lage des Ortes aus. In diesem Zusammenhang greift der Verfasser zurück auf die Protokolle der Nachbarschaften und die Aufzeichnungen der Ortspfarrer. So zum Beispiel liegen von Stephan Gottlieb Roth (1762-1847), dem Vater des Pädagogen und Politikers Stephan Ludwig Roth, der 44 Jahre in Kleinschelken als Pfarrer wirkte (1803-1847), detaillierte schriftliche Aufzeichnungen zur Abgabe des Zehnten vor.
Ihren privilegierten Status verloren die Kleinschelker wie alle Siebenbürger Sachsen, als 1867 Siebenbürgen der ungarischen Reichshälfte einverleibt wurde. Hand in Hand mit der politischen Marginalisierung vollzog sich zum Teil als Folge von staatlichen Verfügungen auch ein wirtschaftlicher Wandel, der die Sachsen in die Krise trieb. Die Auflösung der Zünfte sowie die Schädigung der Weinberge durch die Reblaus trafen den Winzerort Kleinschelken besonders hart und veranlassten zahlreiche Kleinschelker nach Amerika auszuwandern. Eingebunden in diesen Textteil sind mehrere Abbildungen mit den Schiffen der Auswanderer sowie eine Tabelle mit den Auswanderern zwischen 1900-1923. Trotz der Krise im Weinbau, der Auswanderung und der hohen Kindersterblichkeit stieg die Bevölkerungszahl kontinuierlich an.
Ein tiefer Einschnitt im Leben der Kleinschelker war der Erste Weltkrieg mitsamt seinen Folgen. Als wichtigste Quelle für diese Zeit verwendet der Verfasser das Gedenkbuch der evangelischen Kirchengemeinde Kleinschelken und beschreibt mit Hilfe weiterer Quellen die Teilnahme der Kleinschelker an den Kämpfen sowie die Auswirkungen des Krieges auf das Gemeindeleben.
Im Jahre 1918 vereinigte sich Siebenbürgen mit dem Königreich Rumänien. Mit der neuen Zugehörigkeit gingen tief greifende wirtschaftliche und politische Veränderungen einher. Zu Beginn des Jahres 1921 wurde von den staatlichen Behörden ein Rumäne als Ortsrichter eingesetzt, obwohl die Rumänen nur einen Bevölkerungsanteil von 26,5 Prozent hatten. Die Maßnahmen des neuen Ortsrichters zerstörten schon nach kurzer Zeit das Vertrauen der Kleinschelker Sachsen in den neuen Staat.
Durch die Bodenreform von 1921 verlor die evangelische Kirchengemeinde Kleinschelken einen großen Teil ihres Grundbesitzes. Diese Enteignung führte in Kleinschelken zu gesellschaftlichen Spannungen zwischen der Gemeinde, der Kirche und den Lehrern, denn die Kirche war nicht mehr in der Lage, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen und der neue Staat wollte diese für die sächsischen Lehrer nicht übernehmen. Trotz der Nationalisierungen herrschte bis zur Wirtschaftskrise von 1929-1933 Aufbruchstimmung unter den Kleinschelker Sachsen, wie das auch aus den Fotos zu diesem Textteil hervorgeht.
Die erwähnte Missstimmung und die Erhöhung der Kirchensteuern als Folge der Nationalisierungen waren die Hauptursachen für die Entstehung der so genannten Unzufriedenenbewegung, die auch Kleinschelken erfasste. Wirtschaftliche Nachteile, persönliche Enttäuschungen und politische Ambitionen richteten die Bewegung nicht nur gegen die Kirche, sondern auch gegen die traditionelle Elite des Dorfes. Die Einheit bröckelte, die Spaltung der Bevölkerung vertiefte sich infolge der Propaganda und der Aktionen diverser nationalistisch orientierter Gruppierungen, die allmählich unter dem Einfluss Deutschlands und der NS-Ideologie ihre Selbstständigkeit verloren.
Diese historisch heikle Zeit hat Pauer hervorragend dargestellt und einen hohen Grad an Objektivität und Wissenschaftlichkeit unter Beweis gestellt. Während in zahlreichen Heimatbüchern dieses umstrittene Thema ausgeklammert wird, bietet der Verfasser dem Leser eine detaillierte Analyse der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Kleinschelkens in der NS-Zeit, deren Authentizität durch Fakten, Dokumente und Fotos als beispielhaft eingestuft werden kann.
In der Präsentation des Zweiten Weltkrieges und des Zusammenbruchs musste der Verfasser immer mehr auf Lebenserinnerungen, Briefe, Zeitzeugenberichte und Fotos aus persönlichen Beständen zurückgreifen, da infolge wiederholter kommunistischer Säuberungsaktionen nach dem Krieg in den Archiven kaum noch Quellen vorhanden sind. Innerhalb des allgemeinen historischen Rahmens lässt der Verfasser vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen, deren Ausführungen durch Fotos, Tabellen und Statistiken in ihrer Wahrhaftigkeit bestärkt werden. Beeindruckende Textstellen und Fotos illustrieren die Gesinnung der Kleinschelker, die gesellschaftlichen Wandlungen innerhalb des Dorfes und decken schonungslos die Übergriffe der Roten Armee wie Plünderungen, Folter, Vergewaltigungen und sogar Exekutionen auf. Ausführlich und anschaulich schildern Zeitzeugen auch andere einschneidende Ereignisse für die Kleinschelker wie die Entrechtung, Verfolgung, Enteignung und die Verschleppung nach Russland.
Dieselbe methodische Vorgehensweise kommt auch bei der Beschreibung Kleinschelkens nach dem Zweiten Weltkrieg zum Tragen. Die kommunistische Umgestaltung Rumäniens führte zu grundlegenden Umstrukturierungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse. Die Kleinschelker arbeiteten in der landwirtschaftlichen Staatswirtschaft und durften sich in die Kollektivwirtschaft einschreiben, obwohl sie infolge der Enteignung über keinen Grundbesitz zum Beitritt verfügten. Viele Handwerker suchten Arbeit in den sozialistischen Industriebetrieben der nahe gelegenen Städte. Dargestellt werden im Heimatbuch bedeutsame Erfolge und Fortschritte wie die Erdgaseinführung oder die Elektrifizierung. Die enteigneten Häuser wurden zurückerstattet, die politische Ausgrenzung endete und die Sachsen übernahmen Verantwortung im Dorfleben. Das kommunistische Regime ermöglichte die Wiederaufnahme der Kulturarbeit. Im Zusammenhang mit dem Stellenwert der Kulturtätigkeit wagt Dieter Huber, der Verfasser des Textteils „Kultur und Sport in den Jahren 1900-1989“, die Behauptung, in kaum einer anderen ländlichen Ortschaft habe sich das Liedgut und die Musik so entfaltet, entwickelt und bewahrt wie in Kleinschelken.
Dieses Kapitel wird abgerundet mit Betrachtungen zu der Zeit nach 1989, die von Pauer als schicksalhaft bezeichnet wird. In Kleinschelken verlief die Revolution relativ friedlich. Die darauffolgende Auswanderung beendete das sächsische Gemeindeleben in Kleinschelken. Periodische Heimattreffen in Deutschland und im Heimatort, die Gründung der HOG Kleinschelken werden als neue Organisationsformen der ehemaligen Gemeinschaft präsentiert, die sich anscheinend etabliert haben. Wehmütig wird der Kleinschelker Leser auf die Fotos mit den verfallenen sächsischen Häusern zurückblicken. Abgeschlossen wird die geschichtliche Betrachtung mit dem Bedauern des Verfassers, dass die Leistungen der Sachsen von der heutigen rumänischen Dorfbevölkerung keine Anerkennung und Würdigung erfahren.
Im vierten Kapitel beschreibt der Verfasser das Alltagsleben der Kleinschelker. Gut dokumentiert und sorgfältig erarbeitet sind die Darstellungen der Nachbarschaften als Institution der gegenseitigen Hilfeleistung und der Wahrung eines geregelten Gemeinschaftslebens sowie das Brauchtum und die Feste. Im weiteren Verlauf veranschaulicht Pauer die landwirtschaftlichen Beschäftigungen der Dorfbewohner. Vor allem der Weinbau sicherte den Kleinschelkern in fast allen Zeitabschnitten einen gewissen Wohlstand. Der letzte Teil des Kapitels befasst sich mit den Rumänen in Kleinschelken, die erst 1992 nach der massiven Abwanderung der Sachsen die absolute Mehrheit im Dorf erreichten.
Im Mittelpunkt des fünften Kapitels stehen die Kirche und der Glaube. Kennzeichnend für die vorreformatorische Zeit waren die Konflikte der Kleinschelker mit den katholischen Bischöfen. Dabei ging es nicht nur um kirchliche Angelegenheiten, sondern auch um die Durchsetzung allgemeiner Interessen, in denen sich die Kirche der Siebenbürger Sachsen schon in dieser Zeit instituierte. Die Kirchenburg wurde in mehreren Bauphasen errichtet, erweitert und den zeitlichen Erfordernissen entsprechend umgebaut sowie renoviert. Beachtenswerte Kunstwerke aus der Kleinschelker Kirchenburg sind das bronzene Taufbecken aus dem Jahr 1477, der gotische Flügelaltar von 1665, der Grabstein des Kleinschelker Pfarrers Michael Oltardt (1573-1623), der neue barocke Altar, errichtet 1773, und die vergoldeten Kelche, allesamt auch anhand von Fotos präsentiert.
Das Schulwesen der Kleinschelker wird im umfangreicheren sechsten Kapitel behandelt. Über die Kleinschelker Schule bis zum 17. Jahrhundert existieren nur vereinzelte Quellen oder zufällige Nachrichten, die jedoch von Pauer mit akribischer Genauigkeit gesammelt, geordnet und interpretiert wurden und ihm so ermöglichten, die Entstehung und Entwicklung der Kleinschelker Schule im Mittelalter in den Grundzügen zu skizzieren und sie in die allgemeine Entwicklung des Schulwesen in Siebenbürgen einzubetten. Genauere Informationen zur Schule in Kleinschelken sind erst in den statistischen Erhebungen der evangelischen Landeskirche in Siebenbürgen ab 1863 enthalten. Die kontinuierlich wachsende Schülerzahl hatte den Bau eines neuen Schulgebäudes sowie von Lehrerwohnungen in den Jahren 1911-1912 zur Folge.
Der Zusammenbruch Österreich-Ungarns und die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien brachten sowohl den Schülern als auch den Lehrern tief greifende Veränderungen und leiteten eine Zeit der Umbrüche und Wechsel ein, nicht losgelöst von Spannungen und Krisen. Im August 1942 musste das Kleinschelker Schulgebäude und der gesamte Schulbesitz der Deutschen Volksgruppe in Rumänien übergeben werden. Nach dem politischen Umsturz vom 23. August 1944 übernahm die evangelische Kirche bis 1948 erneut die Trägerschaft der Schule, als dann im Rahmen der proletarischen Kulturrevolution die Epoche der sozialistischen Einheitsschule eingeleitet wurde. Richtig ist Pauers Fazit, dass die Kleinschelker Schule auch nach dem Zweiten Weltkrieg einen guten Ruf hatte und dass der Geist der deutschen Schule auch in der Zeit der sozialistischen Einheitsschule in gewissem Maße fortbestand.
Das letzte Kapitel, das der Verfasser als Kleinschelker Lesebuch bezeichnet, beinhaltet Erzählungen, Sagen, Anekdoten und Berichte aus und über Kleinschelken, in denen weitere Ereignisse und Aspekte vermittelt werden.
Abschließend lässt sich sagen, dass Hans Gerhard Pauer mit der Ortsmonografie der Gemeinde Kleinschelken eine akribisch recherchierte, anspruchsvoll verfasste Abhandlung vorgelegt hat. Seine Studie baut auf einer beeindruckenden Zahl von Quellen aus den Archiven auf. Außerdem hat Pauer zahlreiche Tagebücher und Korrespondenzen ausgewertet sowie auch selbst eine Kategorie von Quellen geschaffen, nämlich durch die mehr oder weniger ausführlichen Antworten der von ihm interviewten Zeitzeugen. Er scheut sich nicht vor klaren Aussagen über das Verhalten mancher Gemeindemitglieder, berücksichtigt aber zugleich ihre damalige Situation in der heiklen Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus.
Der jüngeren Generation gibt die Monografie Auskunft über das Leben in der alten Heimat, der älteren bietet sie Zusammenhalt und übernimmt gleichzeitig eine erinnerungsfördernde Funktion, denn mit dem Ableben der Erlebnisgeneration versiegen die Informationsquellen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die nach der Auswanderung geborene Generation stiftet es Identität und fördert ihre gesellschaftliche Teilhabe. Darüber hinaus illustriert die Monografie beispielhaft und anschaulich eine Reihe typischer Elemente der ländlichen siebenbürgischen Lebensweise, eingebettet in die historisch bewegten Verhältnisse Siebenbürgens.
Dr. Erwin Jikeli
Hans Gerhard Pauer: „Kleinschelken. Markt- und Winzerort an der Großen Kokel“. Eine Publikation im Auftrag der Heimatortsgemeinschaft Kleinschelken. Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2018, 388 Seiten, 40 Euro. Bestellungen per E-Mail an: hog[ät]kleinschelken.de oder bei Georg Weiss, Friedrichstraße 11, 71069 Sindelfingen, Mobil: (01 75) 1 63 18 03.
Schlagwörter: Ortsmonographie, Kleinschelken, Vorstellung, Besprechung, HOG
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